Der Europäische Gerichtshof hat das Staatsmonopol auf Glücksspiele, das in Deutschland etabliert ist, für rechtswidrig erkannt. Sein Argument: Die Behauptung, man müsse das Lottospielen und die Sportwetten strikt regulieren, weil darin Suchtgefahr lauere, wird zuschanden, wenn der Staat selber in seinen Casinos Spielautomaten aufstellt. Ergänzend kann man sagen, dass eine Sportwetten-Sucht bislang nicht bekannt ist. Auch die Lotto-Sucht hält sich in eben den Grenzen, die von der Handtaschenkaufsucht oder der Teesucht bislang beachtet werden. Und die Abschöpfung der existierenden Spiellaune durch den Staat ist ungefähr so plausibel wie es die Einrichtung demokratisch konsentierter Bordelle wäre.
Hinkt dieser Vergleich? Der Blogger Don Alphonso hat ihn ins Feld geführt (https://faz-community.faz.net/stuetzen/2010/09/10/die-wollen-nicht-spielen.aspx). Er meint, es gebe Dinge, die einem echten Bürger, also einem bürgerlichen Bürger, also uns strikt verboten seien: Prostitution, Drogen und Glücksspiel. Sportwetten kommen dadurch in den Rang von Besuchen bei Nutten. Wenn man einmal davon absieht, dass einem Bürger auch Maskeraden des Typs “Don” nicht gut anstehen – Herr Johann klänge bürgerlicher als Don Giovanni -, dann hat Herr Alfons natürlich recht. Wer annimmt, dass wir in einer bürgerliche Gesellschaft leben, der muß feudalen Verhaltensweisen als verschwenderischen, unzuverlässigen, exaltierten entgegentreten. Dass es den über Landbesitz herrschenden “Feudalismus”, den unser Kritiker des permissiven 18. Jahrhunderts (Stimulanzien, lockere Sexualmoral, Glücksspiel) brandmarkt, damals gar nicht mehr gab, können wir dabei getrost beiseite lassen. Ein “Don” muß selbstverständlich kein Historiker sein.
Wichtiger ist, dass die Sportwetter von derlei feinsinnigen Unterscheidungen unschuldhafterweise gar nichts wissen. Sie finden einfach, dass Leverkusen über- und Frankfurt unterschätzt wird, woraufhin sie entsprechend handeln. Weshalb soll im Sport falsch sein, was in der Wirtschaft richtig ist? Gewiß, man kann das alles, das Spekulieren und Riskieren, als unbürgerlich ablehnen. Aber leuchtet es wirklich ein, die Wirtschaftsform, in der wir leben. ausgerechnet anhand der Sportwetten, die sie zuläßt, zu attackieren? Leute, die Poker spielen, werden als “nicht akzeptable Bagage” bezeichnet. Aha, welche Hobbys will die Bürgerlichkeitsaufsicht denn zulassen? Vermutlich sind am Ende nicht nur die Sportwetter, sondern sogar diejenigen, die sich für Sport begeistern, nicht akzeptabel. Denn der Satz “so etwas tut man einfach nicht” läßt sich ja ganz problemlos auch auf Fangesänge oder den Besuch von Sportbars anwenden. Er lässt sich überhaupt auf ziemlich viel anwenden, weshalb es gut ist, dass seine Anwendung folgenlos bleibt. Die Tante Moral mag sogar finden, dass man am Wochenende einfach nicht hinter einem Ball herläuft. Doch, manche tun es. Und schaden niemandem dabei. Und brauchen auch keinen Vormund. Sind nämlich keine Kinder. Sondern Bürger, wenn auch vielleicht nicht bürgerlich.