Wenn man gestern oder heute in Berlin U- oder S-Bahn gefahren ist, wenn man die lokalen Zeitungen liest, dann ist da nicht gerade der Gluthauch der Derbyhitze zu spüren. Zwar werden heute im Tagesspiegel” die Präsidenten beider Clubs an einen Tisch gebracht, um sich zu streiten, um noch mal über die – ziemlich problematische – Stundung der Stadionmiete für die Hertha und über die Eigeninitiative zu sprechen, mit der Union-Fans ihr Stadion an der Alten Försterei für den Zweitliga-Spielbetrieb herrichteten. Doch ein richtiger Funke will da nicht überspringen, der die Stadt erfasste. Was einerseits gut ist, da Mobilisierungsversuche der Fans auch schnell mal umkippen können; andererseits ist natürlich dieser Western-Gestus des „This town ain’t big enough for the both of us” ein enormer Stimmungskatalysator.
Die relative Ruhe hat auch viel mit Markus Babbel zu tun, dem Hertha-Trainer, für den es ein Spiel wie jedes andere ist, weil er aus München kommt und als langjähriger Spieler des FC Liverpool neben dem Bayern-gegen-1860-Duell allenfalls Liverpool-Everton gelten lassen will. Babbel ist nicht müde geworden, kühl auf die Derby-Frage zu antworten, und er hat natürlich recht, weil die Hertha-Mannschaft unter einem eklatanten Mangel an Berlinern leidet und weil auch die Verweildauer der meisten Akteure in Berlin kaum ausreicht, um sich mit dem Derby-Fieber zu infizieren. Mal abgesehen davon, dass Derbys meist eher große Stunden für den Underdog bedeuten, erst recht, wenn er daheim spielt, in der Hochdruckatmosphäre des eigenen Stadions.
Aber auch beim Blick nach Hamburg oder ins Ruhrgebiet hat man, zumindest aus der Ferne, informiert nur von den Thermostaten der Medien, das Gefühl, dass da kaum mehr als leicht erhöhte Temperatur herrscht. Jürgen Klopps unbedachte Boykott-Äußerung ist schon beinahe wieder vergessen, Christoph Metzelder als aussichtsreichste Reizfigur fällt aus, wegen seiner Verletzung heißt es, und Felix Magath hat für einen Anheizer zuviel Ironie auf den Lippen und zu schwache Beliebtheitswerte bei den Fans. Für seine Aufstellungs- und Mannschaftsfindungsexperimente wäre ihm vermutlich ein leichterer Gegner als der BVB sogar lieber, der seinerseits nach der Wackelpartie von Lwow andere Sorgen hat.
In Hamburg hält sich die Aufregung auch in Grenzen, sogar „Bild” bemühte sich mehr um die ivorisch-ghanaische Völkerverständigung der Freunde Demel und Takyi. Der FC St.Pauli ist ja auch längst viel zu arriviert, den „radical chic” des Totenkopfes würden einige am liebsten wohl aus dem Markenkern entfernen, und beim HSV ist nicht zu übersehen, wie tief trotz „Ruuuuud” der Graben zwischen Vereinsspitze und Supporters ist. Um den Farbanschlag aufs Pauli-Wappen und die HSV-Schläger von vor vier Wochen zum “bizarren Reverikampf” hochzustemmen, braucht es wohl schon “Spiegel online”.
Ich werde mir auf jeden Fall alle drei Derbys ansehen, im Fernsehen, und dabei ein wenig darüber nachdenken, ob das „Derby” nicht auch zu den verwelkenden Mythen des Fußballs zählt, in dessen nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien organisierten Welt – „kommerzialisiert” klingt immer so moralin und nach „früher war eh alles besser” – man die alte Western-Frage: „Wer regiert die Stadt?” nur stellen kann, wenn man auch bereit ist, dafür eine Inszenierung wie bei den Karl-May-Festspielen in Kauf zu nehmen.