Man muss schon sehr lange nachdenken, bis einem eine Szene einfällt, in der ein Spieler von seinem Trainer vor laufenden Kameras derart zusammengefaltet wird wie Piotr Trochowski am Sonntag von Amin Veh. Mir ist erst mal keine eingefallen. Selbst bei Jugendspielen meines Sohnes, wo Trainer sich vereinzelt als Brüllaffen und Zwergtyrannen betätigen, habe ich das schon länger nicht mehr erlebt. Was in den Kabinen bei sogenannten Ansprachen passiert, ist noch mal ein anderes Kapitel, und das wird nicht in der Öffentlichkeit geschrieben.
Interessant ist deshalb vor allem, was Vehs Verhalten sagen will. Dass ein medienerfahrener Mann in der Öffentlichkeit die Kontrolle verliert, ist entweder Kalkül und Schauspielerei oder ein Indiz für den Druck, unter dem Veh derzeit steht und der sich ein Ventil sucht. Es ist dabei auch eher nebensächlich, dass Trochowskis Ballverlust nur den Beginn einer Fehlerkette markiert, dass auch Demels Abwehrverhalten ungenügend war, was man nach dem Spiel in der Analyse alles hätte ansprechen können. Wenn ein Trainer so brüsk die Konvention verlässt, vor den Kameras keine Einzelkritik zu äußern, gibt es eigentlich nur zwei Gründe.
Erstens: Man kann, in Analogie zu Vehs Wolfsburger Zeit, seinen Auftritt als Anfang vom Ende in Hamburg interpretieren. Da merkt einer, dass nichts mehr geht, muss erleben, wie der von ihm halbwegs ausgemusterte Petric dem HSV das Unentschieden am Millerntor rettet, spürt womöglich schon die wachsende Unzufriedenheit der Vorstandsetage – und macht seiner Wut und Ohnmacht Luft, weil er eh nicht mehr viel zu verlieren hat. Ich lasse jetzt mal die Floskel vom Trainer weg, der seine Mannschaft „nicht mehr erreicht”. Bezeichnend ist auch, dass er sich einen der Schwächsten für seinen Ausbruch sucht – schwach nicht vom Leistungsvermögen her, sondern in seinem Standing, schon unter Vehs Vorgängern. Das gewährt ihm noch einen gewissen Aufschub, den er vermutlich nicht bekäme, wenn er über einen sogenannten Führungsspieler hergefallen wäre.
Zweite Variante: Der HSV will Trochowski loswerden, am besten schon im Winter, wenn der Transfermarkt wieder öffnet. Im Sommer 2011 läuft sein Vertrag aus, er wäre also ablösefrei. Ich halte diese Variante jedoch für eher unwahrscheinlich, weil Veh kaum öffentlich ausrasten müsste, um einen Transfer zu beschleunigen.
Bleibt also nur Variante eins: Dass Armin Vehs Tage in Hamburg gezählt sind. Um zu beurteilen, wie viel Verantwortung er selbst daran trägt, müsste man seine tägliche Arbeit, seinen Kommunikationsstil mit den Spielern sehen. Es kann aber ebenso gut sein, dass die Verantwortlichen beim HSV einfach nicht in der Lage sind, einen Trainer zu verpflichten, der zu dem gut besetzten und auch recht teuren Kader passt. So dass bei einem Veh-Nachfolger mit einem weiteren Fall von schlechtem Casting zu rechnen wäre.