Eins gegen Eins

Europa und sein Finale

Zunächst, Karten auf den Tisch, eine private Parteinahme: Barcelona, wer sonst? Warum? Weil sie es erfunden haben, das Fußballspiel gegenwärtiger Höchstform. Weil sie Mourinho verhindert haben. Weil sie die Idee von Holland ohne Holländer wachhalten. Weil sie den Ball nicht hergeben. Weil sie Puyol haben. Weil sie seit jeher so sind, wie Dietrich Schulze-Marmeling es in seinem hinreißenden Barca-Buch (Barca oder: Die Kunst des schönen Spiels, Göttingen 2010) geschrieben hat. Genügt das fürs Erste?

Jetzt zu Grundsätzlichem. Was Europa ist, wird oft gefragt. Und dann kommen als Antwort Werte oder Traditionen. Oder es wird ganz nüchtern die Wirtschaftsunion bezeichnet, die das Gebilde EU nach wie vor darstellt, woran ja auch gar nichts Verächtliches ist, zumal damit Bewegungsfreiheit, Karrierechancen, Importe, Auslandsstudien und dergleichen hängen. Was Europa ist, sieht man aber auch an der Champions League. Heute spielt Manchester gegen Barcelona ihr Endspiel aus. Noch vor zwanzig Jahren hätte ein Finale ohne deutsche Beteiligung hierzulande niemanden bewegt. Damals gewann Roter Stern Belgrad im Elfmeterschießen gegen Olympique Marseille, Sie erinnern sich bestimmt.

Heute sind uns die europäischen Spitzenteams durch das Fernsehen und andere Berichterstattung viel näher gerückt. Man hat einen viel besseren Sinn für Qualität und für Vergleiche. An der Rivalität von Real Madrid und Barcelona oder an der zwischen Arsenal und Chelsea mit dem lachenden Dritten ManU nimmt viel mehr Publikum teil. Hinzu kommt, dass die betreffenden Mannschaften europäische Teams sind. 1991 spielte in der ersten Elf von Belgrad außer Serben nur ein einziger Rumäne (Miodrag Belodedici, der die Schüssel als erster Spieler überhaupt zweimal, nämlich auch schon 1986 mit Steaua Bukarest gewonnen hat), bei Marseille ein Engänder (Chris Waddle), ein Brasilianer (Carlos Mozer) und Abedi Péle aus Ghana. Heute spielen bei Roter Stern Belgrad in der Anfangsformation: ein Montenegriner, zwei Ghanaer, zwei Brasilianer und ein Kolumbianer. Bei Marseille sind im Kader von vierzig Spielern gegenwärtig gerade mal zehn Franzosen. Bei Manchester spielen neun Engländer in einem Kader von 28 Spielern, bei Barcelona sind es 12 Spanier unter 21 Spielern. Aber was sagt “Spanier” überhaupt bei Katalanen?

Nun liegt der Einwand nahe: Brasilianer und Ghanaer sind keine Europäer. Doch, das sind sie, indem sie hierher gezogen wurden, den europäischen Fußball spielen, zwischen Spanien, England, Italien und zunehmend auch Deutschland wechseln, von europäischen Trainern geschuriegelt werden und von europäischen Fans bejubelt. In der Champions League spielen zu wollem, wird immer öfter als sportliches und ökonomisches Motiv von Spielern angegeben. In ihr nicht zu spielen, ist für viele Vereine ein schlimmes Versagen, so als fürchteten sie, dann vergessen zu werden. Es zweifelt eigentlich niemand daran, dass mit dem heutigen Spiel über die derzeit beste Mannschaft der Welt entschieden wird. Europäische Gipfeltreffen der politischen Art sagen insofern viel weniger über diese Region aus als der Fußball. Ein guter Europäer schaut sich das also an.

 

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