Überirdisch, besser als alle, besser vielleicht als jemals eine Mannschaft – nach dem gestrigen Sieg schwingen sich die Beschreibungen, besser: die Anrufungen des FC Barcelona in letzte Höhen auf. Wie die Kollegen von “Zonalmarking” – www.zonalmarking.net – anmerken, können damit alle leben: Barcelona sowieso, aber auch Manchester, dessen Niederlage dann, wenn sie gegen Überirdische erfolgte, so schwer ja auch nicht war. Vor allem aber die Jubelreporter können sich mit dem Hinweis aufs Unfassbare ihrer Aufgabe entledigen, das Geschehen zu erklären. Dabei hatte der SAT1-Reporter in den ersten Minuten durchaus Manchester United am Drücker gesehen, die Frage dann aber unterdrückt, wie es sein kann, dass eine Mannschaft sieben Minuten lang das Spiel ihres Gegners empfindlich zu stören vermag, für den Rest des Spiels dann aber die Sache völlig aus der Hand gibt. Man behilft sich dann mit Formulierungen wie “Barca ist jetzt ins Spiel gekommen”. Aber wer hat sie hereingelassen? Die Fernsehleute interessiert jedoch nur das, was sie gerade sehen, ihrem Kurzzeitgedächtnis entfällt, was auch nur drei Minuten her ist. (Ein besonders dramatisches Beispiel war gerade wieder Steffen Simon, der beim Spiel von Gladbach gegen Bochum genau so lange Bochum überlegen und Gladbach in Schwierigkeiten sah wie es 1:0 für Bochum stand).
Nun also: Gibt es außer verdienter Bewunderung auch eine Erklärung für Barcelonas 75minütige grandiose Überlegenheit? Ein Element der Erklärung könnte dieses sein: Am Stil der Mannschaft fällt auf, wie sie immer wieder auf dieselben Routinen zurückgreift. Der Spieler, der den Ball zugespielt bekommt, spielt ihn sehr häufig genau (und oft auch in der Vertikalen) zu dem Spieler zurück, von dem er ihn erhalten hat. Das sind dann keine Doppelpässe im hergebrachten Verständnis, sondern es ist ein Hin und Her, das aus dem One-touch-Pass einen One-touch-Redundanz-Pass macht. Das Vorgehen ist ganz logisch, denn derjenige, der den Pass gegeben hat, ist sehr oft danach frei, weil er ihn erstens ja gar nicht hätte spielen können, ohne relativ frei zu sein, und – wichtiger – weil sich zweitens, da er den Ball nicht mehr hat, für Sekunden die Aufmerksamkeit der Verteidiger von ihm abgewendet hat. Barcelona setzt die Aufmerksamkeit, die sich auf den Ball, den ballhabenden Spieler und auf die Stars lenkt, am konstruktiuvsten von allen Mannschaften Europas ein.
Weil sich während dieses Hin und Hers die Mannschaft leicht verschiebt und das Hin und Her auch die vollen 360 Grad des Kreises nutzt, in dem sich ein spieler drehen kann (Iniesta dreht sich das ganze Spiel über das Feld), entstehen auf diese Weise fast zwanglos offene Räume. Und eben Orientierungsschwierigkeiten beim Gegner. Mitunter hatte man den Eindruck, dass Manchester einem Aufwärmtraining zuschaut, in einer Art entspannten Lähmung, die von dem selber anstrengungslosen Habitus der Katalanen hervorgebracht wird. Messi beispielsweise steht bei solchen Redundanzpässen oft herum, als habe er die Hände in den Hosentaschen. Barcelona drückt nicht, es fordert die Verteidiger gar nicht dazu auf, um den Ball zu kämpfen. Erst sehr spät und manchmal fast unwillig wird die Mannschaft energisch. Das ist auch der Grund dafür, dass Fouls an Xavi, Iniesta oder Messi – wie gestern die zahllosen Fouls von Valencia – so ungebührlich hart erscheinen, weil sie oft wie Fouls an einem Spieler erscheinen, der selber gar keine Aggression ausstrahlt. Die Pass-Routinen Barcelonas haben also zugleich spieltaktische und mentale Folgen.
Manchester stellte sich tief, hatte einen Mann zu wenig im Mittelfeld und einen Stürmer zu viel: Hernandez, der zuerst scharf störte, dann aber so oft ins Abseits lief, bis er gar nicht mehr lief. Wenn Manchester noch einen zweiten Park im Team gehabt hätte, der sich schon früh auf die Gegner stürzen hätte können, wäre der mitunter fast gemächliche Aufbau Barcelonas vielleicht länger erschwert worden als nur in den ersten fünf Minuten. An der Kondition kann es nicht gelegen haben. Ausschlaggebend war vielmehr, dass Giggs und Carrick überbeschäftigt waren, weil sie oft erst attackierten, wenn Messi schon in Angriffsnähe stand. Dann aber zieht er eben, weil er so gut ist wie er ist und weil die Verteidiger Angst haben, dass er noch viel besser ist, die Gegner und deren Aufmerksamkeit auf sich. Letzteres ist mindestens so wichtig: Beim ersten Tor für Barcelona macht der Verteidiger, der Pedro Rodriguez zu bewachen hatte, fast reflexhaft einen Schritt in die Mitte, weil dort der Xaviniestamessi-Komplex werkelte – und das war der Schritt, der ihm dann fehlte, um den Torschuß zu stören.
Dies alles erklärt natürlich nicht den Sieg, nicht einmal komplett die Überlegenheit von Barcelona. Aber man sollte jedenfalls das Vertrauen darauf, dass sich etwas daran erklären läßt, unter dem Eindruck der blumigen Redensarten von den Überirdischen nicht ganz aufgeben.