Fußball soll ja völkerbverbindend sein. Nun erweist es sich aber, dass Fußball auch völkertrennend ist. Schließlich geht es ja um “Die einen gegen die anderen”, was auf beiden Seiten die Einigkeit besonders dadurch stärkt, dass es die Einigkeit gegen die Anderen ist. Zwar teilen die Konfliktparteien eine Menge, ähneln sich gewissermaßen im Konflikt mehr als sie sich sonst ähneln, doch den Ball und den Sieg teilen sie eben nicht, höchstens – zur beiderseitigen Unzufriedenheit meistens – die Punkte. Man kann das alles schön bei Georg Simmel, in seiner Soziologie des Streits nachlesen: https://socio.ch/sim/soziologie/soz_4.htm
Simmel hat allerdings noch ein anderes Kapitel geschrieben, das für den Fußball einschlägig ist, das über die “quantitative Bestimmtheit der Gruppe”. Darin geht es um die Frage, was es für soziale Zusammenhänge ausmacht, wie groß die Gruppen sind, die sich an ihnen beteiligen (https://socio.ch/sim/soziologie/soz_2.htm). Dass es beispielsweise heißt “Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte”, verweist auf eine solche Abhängigkeit des sozialen Handelns von Gruppengrößen.
Der ganze Ärger beim Fußball ensteht nun daraus, dass es zwei Mannschaften sind, die sich dort begegnen. Und hier kommen wir auf einen älteren Hinweis zurück, den wir einmal in den “Berliner Seiten” der F.A.Z. gegeben haben, vor elf Jahren. Denn es gibt noch ein zweites Problem im Fußball: Die Mannschaften müssen zu viele Spiele um alle möglichen Pokale, Schüsseln, Schalen absolvieren. Und es wird immer deutlicher, dass die Sieger ihre Siege nicht mehr selber siegen. Je knapper und zugleich viel betriebsamer es zugeht, desto mehr Verflechtung besteht zwischen den Ereignissen. Damals, in der Saison 1999/2000 war der Anlaß dieser:
“Der FC Bayern München – geben wir es immerhin zu – hat die deutsche Fußballmeisterschaft gewonnen. Aber nur scheinbar im heimischen Olympiastadion. Denn die SpVgg. Unterhaching hat, nur wenige Kilometer entfernt, die deutsche Meisterschaft entschieden. Werder Bremen hat diese Entscheidung kräftig nicht verhindert. Und Bayer 04 Leverkusen hat bei alledem unkräftig zugeschaut. Derselbe Tatbestand ließ sich am Wochenende noch ein zweites Mal beobachten. Hertha BSC hat sich für den UEFA-Cup qualifiziert, Borussia Dortmund hat das selbst mit einem Sieg über die Berliner nicht verhindern können, denn tatsächlich hat Arminia Bielefeld darüber entschieden. Und der VfB Stuttgart hat bei alledem mitgeschlafen.”
Auf dem Platz, war damals unser Schluß, ist also nicht auf dem Platz. Diese lästige Vielfelderwirtschaft, diese Interdependenz von Siegen und Niederlagen auszuschalten, schien uns, machte schon immer den großen Reiz des Pokals gegenüber der Meisterschaft aus. Dass er, wie stets vermerkt, “seine eigenen Gesetze” hat, heißt vor allem, dass die Resultate seiner Spiele nicht von Dritten bestimmt werden. Zu viele Spiele, zu indirekte Entscheidungen – lässt sich daran etwas ändern? Es kommen uns hier, wie so oft, Wissenschaft und Kunst zu Hilfe. Zunächst die Kunst: Es war offenbar der dänische Maler Asger Jorn, Mitglied der Künstlergruppe COBRA, der sich vor Jahren das Fußballspiel für drei Mannschaften ausdachte. Wie auf unserer Skizze zu sehen, streiten dabei drei Mannschaften auf einem hexagonalen Feld mit drei Torgehäusen um nach wie vor einen einzigen Ball.
Und das war die Simmel-Analyse des Jorn-Spiels: Das Spiel mit drei Mannschaften mischt Konflikt und Kooperation. Es verlegt auf einen einzigen Platz, was sich in der Schlussphase der Bundesliga auf verschiedenen zuträgt: die Wechselwirkung der Ergebnisse. Jeder Angriff und jede Verteidigung muss hier zwischen Spielern mit uneinheitlicher Interessenlage abgestimmt werden. In bestimmten Zonen des sechseckigen Spielfeldes ist es für die Beteiligten dann überhaupt ganz unklar, ob sie sich nun im Angriff oder in der Verteidigung befinden. Sie müssen sich gewissermaßen gleichzeitig in zwei Richtungen bewegen. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Täuschung im Fußball. Ganze Mannschaften können nun Haken schlagen, es kommt zu kollektivem Dribbeln. Anders aber als in den bekannten Brett- und Kartenspielen mit drei Parteien bleibt auf dem Platz für die Abstimmung solcher Finten nur wenig Zeit, weil das Spiel ja niemals anhält. Außerdem sorgt die Vielzahl an Spielern in jedem Team für das zusätzliche Problem, wie sicherzustellen ist, dass möglichst viele Mitglieder einer Mannschaft zum selben Zeitpunkt dieselbe Koalition im Blick haben.
Und jetzt zurück in die Gegenwart: Der Fußball mit drei Mannschaften hat sich nämlich inzwischen ganz gut etabliert. Vor allem im Dreiländereck Polen/Tschechien/Deutschland ist die Idee als wahrhaft völkerverbindende Art des Spiels aufgenommen worden: www.trikick.net. Und sei deshalb auch anderen Regionen (Niederlande/Belgien/Deutschland; Schweiz/Österreich/Deutschland; Schweiz/Frankreich/Deutschland) empfohlen. Nur mit England hat niemand ein Dreiländereck, schade eigentlich.
<p>"Nur mit England hat...
“Nur mit England hat niemand ein Dreiländereck, schade eigentlich.”
Außer Schottland und Irland (oder Wales, wobei die fußballerisch nicht so ruhmreich sind) :-)
<p>Vergessen hatte ich darauf...
Vergessen hatte ich darauf hinzuweisen, dass die Spielergebnisse natürlich schon kurios und nur von Experten zu dekodieren sind. Wer kann mit -17:-13:3 schon viel anfangen? Außerdem hat mich die Frage beschäftigt, wie man das “Bandenspiel” verhindert? Sie kennen das doch vom Tischtennis-Rundlauf, bei dem man gerne mal einen Ballonball vorlegt, damit der Nachfolgende den Übernächsten schön abschiessen kann. Oder sind die Tri-Kicker allesamt ehrenwerte Männer und Frauen?
<p>Sommerpause, noch zwei...
Sommerpause, noch zwei Wochen bis zur WM, genug Zeit für Kaube erste Bausteine seiner Soziologie des Fussballs vorzulegen. Man kann seine Zeit sinnloser vergeuden.
Im Schulsport der späten 1970er und frühen 1980er spielten wir neben Sitzfussball auch gerne auf drei oder gar vier Tore, was aber vermutlich vor allem an der damals noch sehr hohen Klassenstärke lag. Es war allemal besser als Hockey mit diesen Plastikschlägern, die man eher zum gezielten Schlag gegen die Finger des Gegners einsetzte als zum feinen Dribbling.