Die Lage ist schon einigermaßen schwierig, weil sie doch alle irgendwie nette Kerle sind. Der Rudi, der Otmar, der Jürgen, ja, der Philipp auch, der Louis vielleicht nicht unbedingt. Und auf einmal wird da gekeilt, da macht der ehemalige Stürmer und ehemalige Teamchef die Blutgrätsche, Arjen Robben kommt auch mal freiwillig in die Rückwärtsbewegung und springt van Gaal bei. Rudi Völler schäumt wie bei seiner Anti-Waldi-Wutrede: „erbärmlich”, „schäbig”, „auf dem Platz Weltklasse, außerhalb Kreisklasse”.
Und die Männer von der „Bild” reiben sich die Hände, nachdem sie aus Philipp Lahms besonnenem und mitunter bis zur Langeweile unaufgeregtem Buch „Der feine Unterschied” (Kunstmann Verlag) die paar Stellen herausgebrochen haben, auf die jemand, wenn man sie ihm nur empört genug in die Ohren brüllt, wütend sein könnte. Bedingte Reflexe nennt man so was auch. Was Lahm über das Training der Nationalelf unter Völler sagt („völlig unsystematisch”), das hat dem Spiel der Mannschaft doch jeder angesehen; dass es mit Klinsmann und den Bayern nicht gut gehen würde, auch dass diese Entwicklung nach zwei Monaten absehbar war – all das sind doch keine Staatsgeheimnisse. Felix Magath hat sich im Übrigen noch nicht zu Wort gemeldet, obgleich Lahm in aller Ruhe erklärt, dass die Quälix-Strategie auf Dauer nur sehr limitierte Erfolgsaussichten hat. Und die Art und Weise, in der Christian Seiler das aufgeschrieben hat für Lahm, sie zeigt ja nur, dass sich Lahm nicht wichtiger, größer, toller machen will, als er ist. Er sagt, was auf der Hand liegt beziehungsweise: auf dem Platz.
Der Einwand, so etwas sage man nicht öffentlich, nicht in einem Buch – wer sagt das eigentlich, dass man so etwas nicht sagen darf? Am Ende nur diejenigen, über die etwas gesagt wird, was sie nicht hören wollen. Ich kann mir, ohne es im Mindesten zu wissen, vorstellen, nur zum Beispiel, dass Joachim Löw das ganz in Ordnung findet, es aber nie sagen würde, weil er halt Bundestrainer ist; wogegen Philipp Lahm, in all seiner öffentlichen Bravheit und in der Gebügeltheit seiner Auskünfte nach Spielschluss, ganz offensichtlich intelligent genug ist, um zu wissen, dass er es sagen kann – und dass er genau deshalb auch wie ein Führungsspieler agiert. So wie er absehen konnte, dass sein Interview mit der „SZ” 2009 ihn nicht mehr als die Vorladung und die 50.000 Euro Strafe kosten würde, die verhängt wurde.
Auf jeden Fall ist da in seinem Buch kein verborgener Krawallwunsch, wie damals bei Toni Schumachers „Anpfiff”, kein bloßer Geltungsdrang wie bei Oliver Kahn, der sich keine andere Form von Führung vorstellen kann als die eigene Brachialität; allenfalls steckt das Kalkül darin, dass einem für die eine oder andere Äußerung der Wind etwas schärfer ins Gesicht wehen wird – und das Selbstbewusstsein, dass man das schon aushalten wird.
Jetzt warten wir eigentlich nur noch, dass der Plan von „Bild” aufgeht und des Kaisers „Bild”-Bauchredner ihm eine Verlautbarung schreibt. In Spiegelfechtereien erprobt, hat „Bild” ja schon den angestrebten „Riesen-Wirbel” erreicht, den es heute online meldet, garniert mit dem Völler-Bonus-Zitat „Lahm hat keinen Funken Anstand.” Wobei Anstand ungefähr die letzte Kategorie ist, die einem in diesem Zusammenhang einfällt.
Flüssiges Positionsspiel, so könnte man es auch nennen, was da gerade passiert; oder Automatismen, die greifen, ohne dass ein Trainer sie einstudiert hätte. Aber so diabolisch möchte man dann auch nicht sein, das Ganze als konfliktorientierte Kampagne zu sehen, obwohl Philipp Lahms Buch jetzt schon vor seinem Erscheinen am kommenden Montag bei Amazon auf Rang 3 der Bestsellerliste liegt.