Dies ist eine gute Gelegenheit, auf ein eher neues Blog hinzuweisen, dass einem in letzter Zeit viel Freude gemacht hat: https://spielverlagerung.de/2011/09/06/gotze-und-ozil-vertragt-die-dfb-elf-keine-zwei-spielmacher/ Es macht gar nichts, dass „Spielverlagerung” sich bis hin zum Seitenaufbau an dem britischen Taktik-Blog „Zonalmarking” orientiert, auf den wir hier schon mehrfach hingewiesen haben, weil gegen Qualitätsimport nie etwas spricht. Die Analysen sind profund, und das Niveau der „Comments” ist meist richtig gut, sachlich, frei von Pöbeleien halt.
„Spielverlagerung” also nimmt sich der Frage Götze und/oder Özil? an – und lässt gleich erst mal die Luft aus den hysterischen Medienanfällen, die daraus schon so etwas wie eine Schicksalsfrage gemacht haben. Es werden drei Varianten angeboten und minutiös durchgearbeitet, wie es funktionieren könnte, dass beide zusammenspielen. Liest sich gut, methodisch sauber – und hat für mich nur den kleinen Nachteil, dass die defensive Anfälligkeit der deutschen Elf nur am Rande gestreift wird.
Nach dem Polen-Spiel, aber auch nach der Österreich-Erfahrung, mache wohl nicht nur ich mir meine Laien-Sorgen, es wird auch Joachim Löw vermutlich quälen, wie die Zukunft seiner Hintermannschaft und des gesamten Defensivverhaltens aussieht. Ausnahmsweise bin ich sogar mal mit dem einverstanden, was Oliver Kahn zum Besten gibt, der für ZDF-Verhältnisse schon in der Halbzeit erstaunlich präzise argumentierte, was sich natürlich bei einem ahnungslosen Gegenüber wie Katrin Müller-Hohenstein leicht zu versenden droht.
Kahn also, der sowieso lieber auf die Defensive guckt, hat nicht nur mit Recht gesagt, es sei albern, sich ständig an den Spaniern zu orientieren, statt erst einmal nach den spezifischen Voraussetzungen im deutschen Fußball zu gucken und daraus Schlüsse zu ziehen; womit er dann auch schon neulich die Streberfrage nach Barcelonas neuer Dreierkette abweisen konnte. Sie würde sich erst dann sinnvoll stellen, wenn man geklärt hätte, wer überhaupt die Glieder dieser Kette sein könnten – und wie die Situation vor der Dreier-Kette aussieht.
Kahn hat aber auch knapp erläutert, warum das 4-1-4-1-System, welches die deutsche Mannschaft gestern (und auch schon gegen Brasilien) spielte, nicht auf Anhieb funktionieren konnte. Wenn es denn überhaupt brauchbar ist für jene Spieler, die Löw zur Verfügung hat (und haben wird).
Es verlangt nämlich von mindestens einem der Innenverteidiger größere Variabilität und Aufmerksamkeit, insofern er sich praktisch wie ein zweiter Sechser betätigen muss bei gegnerischen Angriffen. Die beiden Spiele haben gezeigt, dass weder Hummels noch Badstuber, weder Mertesacker noch Boateng eine „natürliche” Begabung für diese Rolleninterpretation haben, dass es vermutlich für alle Vier auch eher mühsam werden dürfte, sich in diese Position hineinzufinden. Wobei man mal ruhig außer Acht lassen kann, wie desolat Christian Träsch gestern agierte. So unzulänglich hat man weder Boateng noch Höwedes auf der rechten Seite gesehen, wenngleich auch diese schon einen sehr guten Tag haben müssen, um das Niveau eines durchschnittlichen Philipp Lahm auf links zu erreichen.
Die Innenverteidigung ist nämlich die verkannte Schlüsselposition des modernen Fußballs, egal, ob der in Barcelona, London, Mailand, Madrid oder München gespielt wird. Wir haben uns seit vielen Jahren an den offensivstarken Außenverteidiger gewöhnt, der das Anforderungsprofil verschärft hat; wir erwarten von den offensiven Außenbahnen ungleich mehr als noch vor fünf bis zehn Jahren, wir haben spätestens seit Arjen Robben etwas über die Effizienz des „inverted winger” gelernt, und wir erwarten von 20-Jährigen selbstverständlich ein modernes Torwartspiel, wie es Jens Lehmann dank Arséne Wenger schon vor Jahren mit Arsenal vorgeführt hat.
Nur der IV ist noch ein Mann zwischen den Zeiten und Welten. Er ist, das kann ich hier nur grob skizzieren, jene Position, die im modernen Fußball noch nicht ganz angekommen ist, in deren Ausgestaltung Altes und Neues noch im Clinch miteinander liegen. Es ist kein Wunder, dass diese Position auch in der Bundesliga einen neuralgischen Punkt darstellt. Laut der letzten „Kicker”-Rangliste, die Mats Hummels vorne sah (als einzigen in der Kategorie „Internationale Klasse”) waren von 17 aufgeführten Spielern neun Akteure ohne deutschen Pass. Was nicht heißt, das Problem sei international auch nur ansatzweise gelöst.
Wenn man sich an die WM in Südafrika erinnert, dann fällt einem sofort ein, dass es fast überall – mal mehr, mal minder gut kompensiert – in der Innenverteidigung knirschte. Es fehlt, mal abgesehen vielleicht von Barcelonas Piquet, an leuchtenden Rollenvorbildern, an Interpreten, die, idealtypisch und daher auch überspitzt formuliert, die Humorlosigkeit eines Eisenfußes und die kaiserliche Libero-Eleganz derart verbinden, dass die Position auf ein neues Niveau gehoben und zum organischen Bestandteil des Spiels wird.
Aber das lässt sich hier erst einmal nicht weiter ausführen. Es ist nur ein Aspekt in der Entwicklung des Spiels, der mich nicht erst seit 2010 besonders interessiert, weil er eine besondere Form der Ungleichzeitigkeit zeigt. Wir bleiben dran!
"wir erwarten von den...
“wir erwarten von den offensiven Außenbahnen ungleich mehr als noch vor fünf bis zehn Jahren”
*hüstel* Man denke an Kaltz, Brehme, Frontzeck … und all die heute weniger bekannten Außenverteidiger der 80iger wie Groh, Schaaf, Otten, etc. etc.
Die “offensiver Außenbahnen” erschienen im beliebten 4-4-2 der letzten 15-20 Jahre eher wenig offensiv, sodaß Offensivaktionen der o.g. “defensiven Außenbahnen” geradezu verpönt schienen … und “doppelte Besetzung” schon nicht Gutes verhieß.
Vielleicht muß man von den “offensiven Außenbahnen” deshalb mehr erwarten, weil in einem 4-2-3-1 oder 4-1-4-1 eben nur noch 1 Stürmer auftaucht und nicht jedermann einen Drogba oder Ibrahimovic hat, der die gegnerischen Abwehrreihen im Alleingang einreißt.
Die “offensive Außenbahn” zu klassischen (80iger Jahre- oder Ajax-) Flügelstürmern zu machen, kann auch denen helfen, die mit weniger begabten Mittelstürmern oder weniger torgefährlichen (zentralen) Mittelfeldspielern versehen sind.
Es ist halt nicht nur eins...
Es ist halt nicht nur eins gegen eins: Auch Piqué wäre nicht so souverän, wenn er nicht Puyol zur Seite hätte, wenn das Mittelfeld nicht so gut wäre und wenn die Angreifer nicht Druck auf den gegnerischen Spielaufbau ausüben würden. Kann das alles die DFB-Elf? Ich meine, sie sind von Spanien noch so weit entfernt wie Madrid von Barça: Der Abstand verringert sich, aber (Özil hin oder her) es reicht immer noch nicht. Aber bis Polen/Ukraine bleibt ja noch etwas Zeit. Viel Glück!