Das war der Prolog zum Großkampftag, zumindest für meine Bar dello Sport in der Eisenacher Straße. Fast volles Haus zum römischen Derby am Sonntagabend, die Anhänger beider Teams mehr oder weniger sauber verteilt vor den beiden Bildschirmen, ich hatte mich als neutraler Beobachter an der Theke postiert. Für wen sollte man auch sein? Bei Lazio fällt mir immer nur der Hitlergruß des inzwischen verrenteten Paolo di Canio ein. Und als ich vor 14 Tagen im Stadio Olimpico war, bei AS Rom gegen Atalanta Bergamo, war die Stimmung zwar blendend, das Spiel jedoch nur mäßig und die Heimmannschaft auch nicht sonderlich sympathisch. So dass ich mir im Kopf ein Szenario zurechtgelegt hatte, das dann zu meinem eigenen Erstaunen tatsächlich eintrat: Miroslav Klose und kein anderer darf Lazio zum Sieg schießen. Hätte mal darauf wetten sollen!
Übers Foro Italico, zu dem auch das Stadion gehört, weht noch immer ein Hauch vom Foro Mussolini, wie es einst hieß. Was dem Berliner Olympiastadion die klotzigen Nazi-Skulpturen sind, sind dem Foro die marmornen Herrenmenschen in Sportlerhaltung, und auch hier hat man eine dem Fußball nicht so bekömmliche Laufbahn ums Spielfeld, auf der sich 1990 auch die deutsche Weltmeisterelf tummeln durfte. Immerhin ist sie nicht blau wie in Berlin.
Dafür gibt es personalisierte Eintrittskarten. Auch im Vorverkauf geht nichts ohne Personalausweis, und beim Einlass sowie beim Betreten des entsprechenden Blocks im Stadion werden Ticket und Ausweis kontrolliert. Wozu das gut sein soll, hat sich mir nicht so ganz erschlossen, denn Leibesvisitationen und Taschenkontrollen, welchen sich etwa in Berlin auch Kinder unterziehen müssen, werden nur stichprobenartig durchgeführt. Was den Effekt hat, dass eine Frau, die wir beim Kauf (sehr preiswerter) Feuerwerkskörper auf dem Weg zum Stadion beobachtet hatten, undurchsucht den Einlass passierte.
Das muss man wohl unter internationaler Fußball-Folklore verbuchen, so wie die Anwesenheit von Tieren im Stadion. Ob es den Adler gefreut hat, dass er vorm Spiel auf der Laufbahn vor Lazio-Kurve präsentiert wurde, ist fraglich; immerhin treiben die Fans der Roma nicht auch noch eine Wölfin über die Bahn. Dass tags zuvor in Rom Autos gebrannt hatten, ließ befürchten, dass auch die Fans beider Teams, die sich aufrichtig hassen, richtig loslegen würden; aber im Stadion blieb es offenbar vergleichsweise friedlich.
Das Spiel selber war erwartungsgemäß mäßig. Beide Teams werden um die Meisterschaft kaum mitspielen, beide haben zwar den einen oder anderen teuren Altstar an Bord, aber moderner Hochgeschwindigkeitsfußball sieht doch anders aus. De Rossi, der mir, trotz seines gelegentlichen Brutalo-Spiels, vor zwei Wochen sehr gut gefallen hatte, weil er in einer Schweinsteiger-Rolle als Abräumer und Initiator vieler Angriffe glänzte, hob zwar wieder und wieder flehentlich die Hände zum Himmel, aber da kam nichts, wohl auch, weil der Stadtheilige Totti verletzungsbedingt fehlte. Stattdessen viele dürftige Schauspieleinlagen auf dem Rasen, deren Qualität auch erklärt, warum das italienische Kino seit Jahren nicht vom Fleck kommt; dazu anatomische Wunder, wenn an der Schulter berührte Spieler mit vors Gesicht geschlagenen Händen stürzen wie nach einem schweren Kopftreffer
Dass die Roma eher auf Verwaltung ihrer frühen 1:0-Führung aus war, rächte sich nach dem Platzverweis von Kjaer, der durchweg besser agiert hatte als je in Magaths Wolfsburg. Lazio machte mehr Druck, kombinierte besser, beherrschte das Mittelfeld vor allem dank des großartigen Hernanes, weil die Roma viel zu tief stand und Lazio sich in den letzten zwanzig Minuten praktisch jeden zweiten Ball sichern konnte. Und so gewann auch Miro Klose, der schon zuvor viel gearbeitet hatte, gewaltig an Präsenz. Ein Kopfball an die Latte, ein missglückter Volley und dann der Weg in die vorläufige Unsterblichkeit – zumindest für die Laziali. Wenn er so weiter macht, wird Klose für Lazio werden, was Rudi Völler für den AS Rom war – wobei Klose den Vorteil hat, auch noch in Polen geboren zu sein, wie Johannes Paul II.
Dergleichen kann in Rom ein Omen sein – in Neapel wäre es das ganz sicher, wobei es allerdings ungleich schwerer sein dürfte, dort den sakralen Staus eines Diego Maradona zu erreichen. Immerhin gibt es aber auch von anderen Napoli-Akteuren schon Nachbildungen als Krippenfiguren. Weshalb es in meiner Bar dello Sport vermutlich auch die Mehrheit der Besucher als Sakrileg empfinden wird, wenn die Bayern morgen den Schrein von San Paolo als Sieger verlassen sollten.