Vor ein par Tagen noch hatten wir uns über Reals Aussichten für den Clasico unterhalten, und ein Kollege, der Mourinhos B-Elf beim Sieg in Amsterdam beobachtet hatte, berichtete, dass sich in diesem Spiel ziemlich gut die Vorbereitung der Madrilenen auf den gestrige Samstag habe studieren lassen: ein kompaktes 4-3-3, extrem schnelles Umschalten ohne filigranes Kombinationsspiel im Mittelfeld, lange Bälle in die Spitze. Und bloß kein Kampf um die Hoheit im Mittelfeld, weil da gegen Barcelona nichts zu holen ist.
Der Verlauf des Abends im Bernabeu schien dieser Taktik in die Karten zu spielen. Victor Valdes’ Ausetzer – Ähnliches hatte ich noch am Nachmittag bei einem D-Jugend-Torwart gesehen, mit ähnlich fatalen Folgen – setzte die Katalanen unter Druck und eröffnete Real die Option, die alle Mourinho-Mannschaften lieben: den Gegner kommen lassen, massiv und unerbittlich verteidigen, bei Ballgewinn rasant umschalten.
Wir wissen, dass es nicht funktioniert hat, was auch daran lag, dass weder Cristiano Ronaldo noch di Maria noch Benzema oder später Higuain die Gefahr ausstrahlten, die für das Aufgehen dieser Taktik erforderlich ist. Und wir wissen auch, dass man selbst mit einem Keeper wie Valdes zur besten Mannschaft der Welt werden kann, obwohl die Barcelona-Fans in meiner Bar dello Sport in der Eisenacher Straße jedes Mal laut, fast verzweifelt aufstöhnten, wenn Valdes mal wieder einen Rückpass verarbeiten musste.
Barcelonas Hegemonie, deren Ende für diesen Abend viele vorausgesagt hatten – auch ich hatte an einen Sieg von Real geglaubt -, blieb jedenfalls intakt. Und wenn man gesehen hat, wie das Team den Schock aus der 22. Sekunde abstreifte, wenn nach den Gründen sucht, landet man sofort bei Xavi, dem demütigen Genie. Er muss, das nur nebenbei, jetzt endlich auch mal den Titel bekommen, der ihm entspricht: Weltfußballer des Jahres.
Messi leuchtete immer mal wieder kurz, Ronaldos Präsenz blieb, wie meist in großen Matches, eher schattenhaft. Xavi dagegen spielte fast keinen Fehlpass, obwohl er die meisten Pässe spielte, er wusste immer, was zu tun war, und glänzte, weil er die anderen glänzen ließ. Sein ganzer Stil, seine Körpersprache, sie zeigen, dass er die Verantwortung will für das Spiel. Ohne Generals- und Dirigentengesten, ohne alles an sich zu reißen. Er fordert die anderen, indem er nicht bloß einfache, sondern auch nur mit größter technischer Fertigkeit zu verarbeitende Bälle spielt, die, wenn alles gelingt, den Angespielten mehr brillieren lassen als den Anspieler.
Das ist die Demut gegenüber der Größe des Spiels: das intuitive Wissen, wie man die eigenen Fähigkeiten nutzt, um die der anderen sich entfalten zu lassen. Xavi ist nicht nur Kopf oder Motor oder welche Bezeichnung auch immer man ihm zuschreiben will; er ist, um ein altmodisches Wort zu benutzen, die Seele des Spiels, er verkörpert den Spirit des Teams. Und das ist eine Haltung, die mehr verlangt als die immensen fußballerischen Fähigkeiten. An dieser Haltung konnten die anderen sich aufrichten in einer Situation wie nach dem 0:1. Bei Real Madrid war von einer solchen Haltung weit und breit nichts zu sehen.