Und woran hat es jetzt gelegen? Der Fußball ist so, dass man auf diese Frage vom Kleinsten ins Große gehen kann. Und vom Emde zum Anfang. An Holger Badstuber hat es gelegen, der nicht mitsprang, an Mats Hummels, der den Ball erobern wollte, anstatt den Mann zu blocken, an Mesut Özil, der ihn erst verlor und dann nicht nachsetzte. Vom zweiten Treffer der Italiener wollen wir schweigen, wenn man solche Tore bekommt, stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht, denn solche Tore kann man auch gegen Irland bekommen. Und wo wir schon beim Grundsätzlichen sind: an Joachim Löw hat es gelegen, der Podolski brachte, der seit Jahren nicht gut spielt und das ganze Turnier über sowieso nicht, Schweinsteiger überm Zenit, Gomez, der in der ersten halben Stunde besser gar nicht auf dem Platz gewesen wäre, dann hätte man ihn auch nicht vergeblich anspielen können.
Löw weiß das selber, denn schon während des Spiels schien er, in seinen Sitz gekauert, darüber nachzudenken, wie er denn auf diese Aufstellunng kommen konnte. Und danach zuckte er eigentlich nur mit den Achseln, weil er diese Frage eben auch nicht mehr beantworten konnte.
So könnte man weitermachen, nachträglich Recht behaltend, es vielleicht auch vorher schon so gesehen habend.
Doch in all diesen Erklärungen, zu denen man noch die Unfähigkeit der Deutschen zu überraschendem Spiel und ein fehlende Boshaftigkeit ihrer Spielanlage hinzunehmen könnte, in all diesen Erklärungen fehlt etwas. Es fehlt das berühmte “Umfeld”. Im Umfeld der deutschen Fußballnationalmannschaft stimmt nämlich etwas nicht. Ich meine das journalistische Umfeld, vor allem, aber nicht nur, das televisionäre.
Denn dort ertönte von Anfang der EM an immer wieder dieselbe Melodie: Jetzt ist es so weit. Die Zeit ist reif. Wir erwarten den Titel. Halbfinale war gestern. Diesmal muss es passieren. Noch kurz vor dem Spiel gegen die Italiener meinte Steffen Simon, den man immerhin besser aushalten konnte als die meisten anderen Reporter (“Kommentatoren”), das alles dafür spreche, dass diesmal der Bann gebrochen werde und die Italiener geschlagen würden. Alles? Wo leben Leute, die so etwas sagen? Haben Sie die Italiener zuvor nicht nur gesehen, sondern auch darüber nachgedacht, was sie gesehen haben? Oder haben sie vergessen, dass Deutschland gegen Portugal die schwächere Mannschaft war, nur gegen Holland einen starken Gegner schlug und die ganze Euphorie auf einem Sieg gegen Griechen beruhte? Hatten sie mal die Tore gezählt, die Deutschland in den ersten vier Spielen bekommen hat? Deutschland: 4, Italien: 2, Spanien: 1. Sprach also alles für die Deutschen? Sprach – siehe oben – auch die Aufstellung dafür?
Das mediale Umfeld der Deutschen jubelt sie seit Jahren hoch. Und zwar nicht nur, was völlig richtig ist, wenn Spiele wie gegen Schweden 2006, England und Argentinien 2010 oder zuletzt gegen Brasilien und Holland bestritten wurden. Sondern auch, wenn noch gar nicht gespielt wurde, vor der EM. Und wenn nur gewonnen, aber nicht gut gespielt wurde. Ständig ist alles super, ständig “steckt ein riesiges Potential in der Mannschaft”. Wie viele Fehleranfälligkeiten in ihr stecken, darüber wird wenig geredet. Als Gomez dreimal traf, sollten alle Kritiker nach Canossa pilgern, der Sachgesichtspunkt der Kritik schien inexistent.
Und eben dies trägt zur Atmosphäre um die deutsche Mannschaft bei: dass so unsachlich über sie geredet wird. Dass dem Bundestrainer keinerlei ernsthafte Auseinadersetzung mit seiner Arbeit begegnet. Dass das ganze Poldi- und Gomez- und Schweinsteiger-Getue nur zwischen Jubelblabla und wohlfeiler Charakterkritik bzw. Charakterlob schwankt. Die ganze Strandpartystimmung, die um den deutschen Fußball herum ist, passt zu seinen Grenzen: Mit dieser unerwachsenen Haltung reicht es eben bestenfalls und richtigerweise nur bis zum Halbfinale. Weil sie zu ständigen Selbsttäuschungen führt.
Lieber Herr Kaube, da hoffe...
Lieber Herr Kaube, da hoffe ich mal, daß Ihre Kollegen vom Sport Ihren Blog auch lesen. Das ist ja das Interessante am Feuilleton der FAZ: Da findet man Kommentierungen, die so gar nicht zu dem passen, was in der Wrtschaftsredaktion oder in der politischen Redaktion (gedacht,) geschrieben, veröffentlicht wird.
Lieber Herr Kaube,
ich...
Lieber Herr Kaube,
ich wiederhole ein bisschen, wenn ich auch die Sportjournalisten, Namen will oder darf ich keine nennen, der FAZ bezichtigen muss, in das allgemeine “Wir werden jetzt Europameister” eingestimmt und in der weitverbreiteten Euphorie über die ach so phantastische deutsche Mannschaft (“vermutlich besser als die von 1972”, obwohl man diese altersbedingt gar nicht erlebt haben konnte) die schwachen Spiele mit dem Mäntelchen “es wird schon werden” überdeckt zu haben. Mit Wehmut denke ich an die Weltmeisterschaften 1954 und 1958 zurück, an die damaligen Mannschaften unter Sepp Herberger, an die quasi unschlagbare Elf mit Beckenbauer, Netzer und Heynckes bei der EM 1972. Löw hat heute in vieler Hinsicht ganz andere Möglichkeiten als damals. Und doch wird es ihm nie gelingen, aus dem vorhandenen Potential einen Europa- oder gar Weltmeister zu formen. Warum? Weil ihm persönlich alle Voraussetzungen dazu fehlen.