„Das Erreichen großer Höhen ist von geringem wissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weit über der Schneegrenze liegen, und nur auf wenige Stunden besucht werden können.“ So schrieb Alexander von Humboldt im Jahre 1836 in seinem Aufsatz „Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen“. Für ihn waren seinerzeit vor allem Flora, Fauna und die geologischen Steinformationen am Vulkan von großem Interesse. Die ersten Karten des Chimborazo mit seinen verschiedenen Vegetationszonen und der vereisten Kuppe hat er noch aufwendig per Hand gezeichnet. Wertvolle Momentaufnahmen.
Große Plastik, kleines Plastik
Scheinbar unberührte Natur auf unserem Weg durch die verschiedensten Klimazonen Ecuadors. Mehrere Tage sind wir bereits unterwegs, von den Gletschern in den Hochanden bis zum tropischen Regenwald im Llanganates-Nationalpark. Doch der Schein trügt. Selbst in diesen entlegenen Gebieten treffen wir überall auf menschliche Spuren: Auf Plastikmüll. Jeden Morgen nehmen wir eine leere Tüte mit, jeden Abend ist sie randvoll mit Plastikteilen vom Wegesrand.
Die Suche nach dem Eis
Knapp 5100 Meter Höhe. Mehrere Stunden des Aufstiegs am Chimborazo liegen hinter uns, endlich haben wir das Lager erreicht, von dem aus wir eine Eisprobe entnehmen wollen. Eigentlich sollten wir jetzt genau am Fuße des Stübel-Gletschers stehen… Doch als die Wolken den Blick freigeben – erwarten uns nur Geröll und Schneereste. Auch unser Bergführer ist erschrocken. Vor fünf Jahren war er selbst das letzte Mal hier und hat die Gletscherausdehnung aufgezeichnet. In dieser kurzen Zeit hat sich der Stübel-Gletscher um mehr als 100 Höhenmeter zurückgezogen. Das ist ein Schock.
Hören, was da ist
Unsere Expedition Anthropozän führte uns vorgestern zum Antisana, dem dritthöchsten Gletscher Ecuadors. Neben der Arbeit im Eis hat uns vor allem eines beschäftigt: Klang.
Neben dem Rauschen des Windes und dem lauten plätschernden Schmelzwasser hört man wenig menschengemachtes, das von weit hergetragen wird. Wenn, dann hört man die Menschen auf dem Gletscher, z.B. Ricarda und Robert, die gerade eine Probe entnehmen, ihre Stimmen und das Kratzen des Eiskernbohrers. Überhaupt sind neben uns relativ viele Menschen auf den Gletschern und den umgebenden Naturparks unterwegs. Selbst an den sehr entlegenen Orten hoch oben in den Anden, so scheint es, sind die menschlichen Spuren, wenn auch nur als flüchtige Geräusche, sehr leicht zu finden.
Uns ist bewusst, dass damit auch Forschung zum Erdsystem ihren Gegenstand verändert und so selbst Teil des Anthropozän ist, dieses neuen Erdzeitalters, in dem der Mensch die bestimmende Kraft geworden ist.
Klang – egal welchen Ursprungs – hat einen starken wenn auch zumeist unbewussten Einfluss auf uns. So kann ein bestimmter Ort oder eine besondere Umgebung für jeden einzelnen individuell beeinflussend wie auch prägend sein. Denn die Klänge bzw. die Geräusche, die uns umgeben, die wir also permanent hören, enthalten sehr viele Informationen. Ein paar davon filtert unser Gehirn weg, z.B. das Summen des Kühlschranks zuhause, das wir nach ein paar Minuten nicht mehr wahrnehmen. Andere geben uns wichtige Informationen, beispielsweise der Wecker am Morgen oder die Fahrradklingel, wenn wir in der Stadt unterwegs sind. Manche Geräusche wie Vogelgezwitscher oder leise Naturklänge wiederum erachten viele Menschen als angenehm, verbinden damit eventuell sogar positive Gefühle. Wieder andere Klänge wirken störend, zu laut, zu ablenkend, was bis hin zu körperlichem Unwohlsein wie Stress oder Unkonzentriertheit führen kann.
Ein Ansatz, den Klängen und ihren inhärenten Informationen auf die Spur zu kommen, ist in der Klangökologie zu finden. In diesem neuen Forschungsfeld wird versucht, mit Tonaufnahmen, zumeist als „Soundscapes“ oder „Klanglandschaften“ bekannt, die Gesamtheit eines Klanges an einem bestimmten Ort oder Umgebung aufzunehmen, zu dokumentieren und zu untersuchen. Neben den menschengemachten Klängen, auf die der Begründer des Ansatzes Murray Schafer in den 1960er/70er Jahren noch überwiegend abzielte, stehen heute vermehrt Geräusche natürlichen Ursprungs im Fokus. So werden Geräusche von Tieren ebenso gesammelt und ausgewertet, wie der Klang von entlegenen Landschaften, die zu verschwinden drohen. So wie auch auf unserer Expedition.
In Ecuador liegt unser Interesse vor allem auf den menschengemachten Klängen. So erstellen wir „Field Recordings“ in verschiedenen Aufnahmeformaten von Gletscherregionen sowie in Gebieten des Llanganates Nationalpark : Wie ist die Klangökologie an den besuchten Orten? Welche menschenverursachten Klänge sind hörbar? Wie verändert sich die Klanglandschaft entlang der Höhenlagen? Aber auch die ökologischen Aspekte werden betrachtet: so wird in Zusammenarbeit mit dem Christian Hof, dem Ökologen in unserem Team, die Frage gestellt, ob es Klänge von Tieren gibt, die an dem Ort der Tonaufnahme eher selten oder unvorhergesehen sind (Ort, Aktivitätszeit, Ausprägung etc.). Und die damit Informationen über mögliche Veränderungen der Natur enthalten.
Herausfordernd sind hierbei nicht nur die inhaltlichen Fragen, auch die technische Umsetzung der Tonaufnahmen wird spannend. Aktuell herrscht an den anvisierten Gletschern eine sehr wechselhafte Wetterlage mit viel Regen – eine Umgebung, die für unsere hoch empfindliche Mikrofone eher ungünstig ist. Und: Auf einer Höhe von über 4500m arbeiten, in der wir momentan unterwegs sind, ist der Luftdruck viel geringer als in den tieferen Lagen. Auch das ist eine große Herausforderung für die Mikrofone.
Und manchmal müssen die Mikrofone auch einfach in ihren Schutzgehäusen bleiben, da das Wetter keine Aufnahmen zulässt. Dann kann man der Natur einfach so zuhören.
Mehr zu uns und dem Projekt auf der Webseite der Jungen Akademie.
Aufbruch zur Expedition Anthropozän
17 Tage – 6 WissenschaftlerInnen – zusammen 1 Projekt: Den Einfluss des Menschen auf die Umwelt zu untersuchen, und zwar aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen. Von der Biologie und Chemie, über Informatik und Klimawissenschaften bis hin zu Medizin und Musikwissenschaften wollen wir die teils beunruhigenden Spuren der Zivilisation in der Natur suchen. Stark wie nie zuvor greift heute der Mensch ins Erdsystem ein – er ist die bestimmende Kraft in einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän.
Wir brechen auf zu einer Expedition in dieses neue Zeitalter. Unsere Reise führt nach Ecuador, auf den höchsten Berg der Erde, den Vulkan Chimborazo. Er ist nicht so bekannt wie die Himalayagipfel, welche die höchsten Berge gemessen am Meeresspiegel sind. Aber der Chimborazo ist die höchste Erhebung unseres Planeten, gemessen an seiner Entfernung zum Erdmittelpunkt. In Äquatornähe ist die Erde ausgebeult, das bringt die extra Höhenmeter. Und auf den Hängen dieses Berges, auf den Spuren des großen Ökologen und Forschungsreisenden Alexander von Humboldts, werden wir selbst forschen.