Expedition Anthropozän

Expedition Anthropozän

Eine interdisziplinäre Forschungsreise zum höchsten Punkt der Erde

Die Suche nach dem Eis

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Knapp 5100 Meter Höhe. Mehrere Stunden des Aufstiegs am Chimborazo liegen hinter uns, endlich haben wir das Lager erreicht, von dem aus wir eine Eisprobe entnehmen wollen. Eigentlich sollten wir jetzt genau am Fuße des Stübel-Gletschers stehen… Doch als die Wolken den Blick freigeben – erwarten uns nur Geröll und Schneereste. Auch unser Bergführer ist erschrocken. Vor fünf Jahren war er selbst das letzte Mal hier und hat die Gletscherausdehnung aufgezeichnet. In dieser kurzen Zeit hat sich der Stübel-Gletscher um mehr als 100 Höhenmeter zurückgezogen. Das ist ein Schock.

Und es ist bei Weitem kein Einzelfall. Tropische Gebirgsgletscher, von denen 99 Prozent in den Anden liegen, gelten als die empfindlichsten Anzeiger für den fortschreitenden Klimawandel. Laut UN-Weltklimarat IPCC sind sie in den vergangenen 30 Jahren um 30 bis 50 Prozent geschrumpft. In erdgeschichtlichen Maßstäben ist das enorm. Hier wird es direkt sichtbar: das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen als bestimmende geologische Kraft. 

© Dirk PflügerSeit 2015 hat sich der Gletscher mehr als 150 Meter Höhenmeter zurückgezogen.

Entlang der westlichen Kordilleren Ecuadors ist die Eisbedeckung in den letzten zehn Jahren bereits vollständig verschwunden. Und auch die Gletscher entlang der östlichen Vulkane, an denen wir forschen – Chimborazo, Cotopaxi, Cayambe und Antisana – ziehen sich rasant zurück.

Dies sind keine kleinen Berge. Jeder von ihnen ist mehr als 5700 Meter hoch, vom Erdmittelpunkt aus gesehen ist der Gipfel des Chimborazo sogar der höchste Punkt auf unserem Planeten, gemessen nicht am Meeresspiegel sondern als Erhebung relativ zum Erdmittelpunkt. Doch trotz der Höhe, in der es eigentlich verlässlich kalt sein sollte, reagieren Andengletscher besonders empfindlich auf sich ändernde Klimabedingungen.  In besonders kühlen Jahren verlangsamt sich der Rückgang, oder manche Gletscher werden sogar wieder ein wenig größer – doch das ist nicht von Dauer. Der Trend ist klar. Unsere Enkel werden diese tropischen Gebirgsgletscher nur noch von Fotos kennen.

In Ecuador können wir den Gletscherrückgang mit eigenen Augen beobachten. Für den Carihuairazo-Gletscher am Chimborazo, ganz in der Nähe von unserem Refugio, ist es vermutlich schon zu spät: Wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass er bereits in den kommenden Jahren vollkommen verschwunden sein wird.

 Dieser schnelle Wandel und der Rückgang der Gletscher betrifft die Bevölkerung Ecuadors unmittelbar. „Für uns hat das große Auswirkungen, nicht nur durch den Rückgang der Gletscher – es sind die ganzen Ökosysteme. Manche Jahre sind besonders trocken, und die Menschen brauchen mehr Wasser, auf den Farmen, aber auch in den Städten“ berichtet mir Romel Sandoval, Bergführer und Umweltingenieur. 

 Die Gletscher tragen zur direkten Wasserversorgung bei, zur Erzeugung von Wasserkraft und insbesondere zur Bewässerung in der Landwirtschaft. Ihr Schmelzwasser sorgt während der Trockenzeit normalerweise für die dringend benötigte Wasserversorgung. Fällt diese regulierende Wirkung durch die schwindende Eisbedeckung in Zukunft weg, könnte während der Trockenzeit die Wasserversorgung von Millionen von Menschen gefährdet sein.    Letztendlich können wir durch die Unterstützung unseres sehr erfahrenen Bergführers Jaime Vargas doch noch eine Eisprobe vom Stübel-Gletscher gewinnen. Trotz schwierigem Gelände bietet er uns an, mit Eispickel und leichtem Gepäck eine Probe von der Oberfläche zu holen. Das macht vier Proben in vier Tagen von vier sehr unterschiedlichen Gletschern Ecuadors: Antisana, Cotopaxi, und die Abras- und Stübel-Gletscher am Chimborazo.  Mithilfe eines Eiskernbohrers – eine Art Rohr mit Messerchen, die sich ins Eis drehen – können wir von der Oberfläche jedes Gletschers etwa einen Meter in die Tiefe bohren und den Kern anschließend herausziehen. Für uns Kopfarbeiter ist das mal Handarbeit. Mit einer Säge zerlegen wir den Kern noch vor Ort in mehrere Segmente  verpacken sie dicht, damit die Proben nicht verunreinigt werden.   

Die Proben nehmen wir mit nachhause ins Labor in Jena. Neben dem physikalischen und eisdynamischen Vergleich der vier Gletscher – also der Eigenschaften ihres Eises, die wiederum entscheidend sind für ihre Empfindlichkeit gegenüber dem Klimawandel, weil Eis keineswegs gleich Eis ist – interessiert uns nämlich eins besonders: Können wir selbst hier, an den höchsten Stellen der Erde, Mikroplastik im Eis finden? Es sind natürlich nur wenige Proben, aber von einem sonst kaum untersuchten Berg. Und weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit das Gleiche tun, nämlich Proben sammeln und untersuchen und die Daten der globalen Gemeinschaft zur Verfügung stellen, ergeben all diese Einzelbeobachtungen ein großes Bild. So funktioniert Wissenschaft: jede und jeder trägt etwas bei. Am Ende wird etwas sehr Kostbares daraus: Wissen. Klimawandel, Mikroplastik – der Mensch hinterlässt auf verschiedene Weise seine Spuren. Dem werden wir weiter nachgehen. Auf der Expedition Anthropozän.

Mehr zu uns und dem Projekt auf der Webseite der Jungen Akademie.


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