„Das Erreichen großer Höhen ist von geringem wissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weit über der Schneegrenze liegen, und nur auf wenige Stunden besucht werden können.“ So schrieb Alexander von Humboldt im Jahre 1836 in seinem Aufsatz „Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen“. Für ihn waren seinerzeit vor allem Flora, Fauna und die geologischen Steinformationen am Vulkan von großem Interesse. Die ersten Karten des Chimborazo mit seinen verschiedenen Vegetationszonen und der vereisten Kuppe hat er noch aufwendig per Hand gezeichnet. Wertvolle Momentaufnahmen.
Heutzutage stehen uns ganz andere Mittel und Methoden zur Verfügung. Satellitenaufnahmen beispielsweise verraten uns eine Menge über die Gebirgsgletscher und deren Veränderung: ihre Ausdehnung, Fließgeschwindigkeit, das Schmelzen an der Oberfläche, um nur einige zu nennen. Vor allem der erschreckende Rückgang der Gebirgsgletscher hier in den Anden in Folge des menschengemachten Klimawandels lässt sich so über die vergangenen fast 60 Jahre gut nachvollziehen. So wissen wir, dass die tropischen Gletscher innerhalb von nur 30 Jahren zwischen 35 Prozent und 50 Prozent ihrer Fläche und ihres Eisvolumens verloren haben. Und die ersten Gletscher sind bereits ganz verschwunden.
Nicht erkennen lassen sich auf Satellitenbildern die ebenso wichtigen kleineren Strukturen und Details: Wie sind Eis und Schnee beschaffen? Wie alt ist das Eis an einer bestimmten Stelle? All das können wir nur vor Ort untersuchen. Das erfordert viel Aufwand – denn die meisten Gebirgsgletscher lassen sich nur beschwerlich und zu Fuß erreichen.
Aber genau darum sind wir ja hier und so führt uns auch unser Weg auf der Expedition Anthropozän zu verschiedenen Gletschern in Ecuador: Zunächst zum Antisana-Gletscher, später zu den Gletschern an den Hängen des Cotopaxi und des Chimborazo. Hier wollen wir hochauflösende Fotografien aufnehmen, um genau diese Details und Strukturen im Eis untersuchen zu können. Am Antisana-Gletscher gelingt uns die erste hochauflösende Aufnahme mit etwa 1,3 Milliarden Bildpunkten, die neben der Struktur des Gletschers eine Menge Details über seine Beschaffenheit verrät – und bei sehr genauem Heranzoomen auch einen Teil unseres Teams, das parallel zu den Aufnahmen einen Eiskern birgt.

Besonders spannend für uns ist der Stübel-Gletscher, der auf einer Alternativroute zur Besteigung des Gipfels des Chimborazo liegt. Für viele Extrembergsteiger ist die Besteigung des Chimborazo ein Lebensziel: Der Gipfel ist der höchste Punkt der Erde gemessen vom Erdmittelpunkt und befindet sich nahe am Äquator. Nirgendwo auf der Erde ist man dem Mond so nahe. Im Gegensatz zur einfacheren, vielbenutzten Hauptroute auf den Chimborazo ist der an der Westflanke gelegene Stübel-Gletscher jedoch wenig begangen und bietet damit ideale Bedingungen, um eine hochauflösende Bestandsaufnahme des Gletschers zu machen.
Für die Aufnahmen wird ein Kameraroboter verwendet, der auf der gleichen Technik basiert wie die Kameraroboter der Mars-Rover Spirit und Opportunity. Der Kameraroboter nimmt Hunderte leicht versetzter Bilder auf, die später zu einem einzigen großen Bild oder Panorama zusammengesetzt werden können. Insgesamt wiegt die gesamte Fotoausrüstung im Rucksack gut 12 Kilogramm: Neben der Kamera und dem Kameraroboter fallen noch diverse Objektive, ein Stativ, ausreichend viele Akkus und eine große Speicherkarte ins Gewicht. Viel Speicher ist wichtig, denn eine einzelne Aufnahme ist schnell mehrere Gigapixel groß, da sie aus Milliarden von Bildpunkten besteht.
Caption:: Bericht von der Gigapixelaufnahme am Antisana-Gletscher © Christian Hof
Nach dreieinhalb Stunden Aufstieg in der dünnen Höhenluft zeigt sich dann das ernüchternde Bild: Den Stübel-Gletscher können wir nur aus der Ferne erspähen. In den letzten 5 Jahren hat er sich um über 100 Höhenmeter zurückgezogen (wir berichteten). So bleibt uns nur, eine geeignete Stelle für die Dokumentation des massiv geschrumpften Stübel-Gletschers und seiner Umgebung zu finden.

Bleibt zu hoffen, dass die Wetterlage lange genug stabil bleibt und der Berg nicht gleich wieder in Wolken versinkt – oder der Regen einsetzt. Das kann hier oben ganz schnell passieren, denn das Wetter schwingt extrem häufig um. Die extrem unbeständigen Witterungsbedingungen – laut lokalen Wissenschaftlern und Bergführern eine der Auswirkungen des Klimawandels – sind unsere größte Herausforderung. Um ihr zu begegnen, müssen wir die Aufnahme am Stübel-Gletscher auf gut 200 Bilder beschränken. Unter optimalen Bedingungen hätte diese Aufnahme ca. 34 Minuten gedauert. Wir brauchten über eine Stunde. Der Grund: Binnen einer halben Stunde änderte sich das Wetter am Chimborazo mehrfach, die Lichtverhältnisse changierten zwischen wenigen Metern Sicht und kurzen Momenten des Sonnenscheins. Daher mussten wir die Aufnahme wiederholt unterbrechen. Die wechselnden Lichtverhältnisse erlauben es sonst nicht, die einzelnen Bilder zu einem stimmigen Gesamtpanorama zusammenzufügen. Also heißt es hoffen auf bessere Sicht. Und immerhin: Das Wetter ist zumindest so gnädig, dass wir die Aufnahmen am Stübel-Gletscher nicht wie an anderen Tagen wegen Regens abbrechen müssen.
Wie genau helfen aber nun die hochauflösenden Aufnahmen der Forschung? An den Gletschern ermöglichen sie beispielsweise An- und Einsichten, die mit bloßem Auge oder aus der Vogelperspektive nicht erkennbar sind. So ist auf den Bildern zu erkennen, dass es auch unterhalb der Gletscherzunge noch Reste des früheren Gletschers gibt, verborgen unter größeren Mengen Geröll und auf Satellitenbildern nicht zu erkennen. Das ist relevant für unser Ziel, den aktuellen Stand der Gletscher zu dokumentieren. In Gesprächen mit lokalen Wissenschaftlern haben wir erfahren, dass der Rückgang der Gletscher in Ecuador weit weniger gut dokumentiert ist als beispielsweise in den Alpen. Ein weiterer Ansatz ist es, diese Fotos auszuwerten, um z.B. Rückschlüsse auf die Beschaffenheit und das Fließverhalten des Gletschereises zu ziehen. Dazu gleichen wir die aktuellen Fotos mit älteren Bildern, aber auch mit dem Wissen der lokalen Bewohner und der Bergführer ab. So hatten unsere Bergführer den avisierten Fotopunkt als Anfang des Stübel-Gletschers beschrieben – heute, fünf Jahre nach ihrem letzten Besuch, war der Punkt eisfrei, die Gletscherzunge in weiter Ferne. Die Auswirkungen des Klimawandels sind hier hautnah zu spüren.
Aber auch in anderen Bereichen kann die hochauflösende Fotografie zur Bestandsaufnahme wie auch bei der Auswertung von Dokumentationen hilfreich sein: Mit intelligenten Verfahren lassen sich Vegetationsgrenzen, Tiere und Pflanzen automatisch erkennen und zuordnen.

Diese Art der Fotografie ermöglicht es, den direkten und indirekten Einfluss des Menschen vom Gletscherrückgang über die Landnutzung bis hin zur Artenvielfalt sowohl ober- als auch unterhalb der Schnee- und Eisgrenze eindrucksvoll und detailreich zu dokumentieren. In der Kombination von Bild mit Ton, Messungen und Zeitzeugenberichten bietet sich damit die Möglichkeit eines facettenreichen und umfassenden Gesamtbildes. Was hätte wohl Humboldt mit heutiger Technik auf seinen Expeditionen noch alles erreichen können?
Mehr zu uns und dem Projekt auf der Webseite der Jungen Akademie.