Expedition Anthropozän

Expedition Anthropozän

Eine interdisziplinäre Forschungsreise zum höchsten Punkt der Erde

Große Plastik, kleines Plastik

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Scheinbar unberührte Natur auf unserem Weg durch die verschiedensten Klimazonen Ecuadors. Mehrere Tage sind wir bereits unterwegs, von den Gletschern in den Hochanden bis zum tropischen Regenwald im Llanganates-Nationalpark. Doch der Schein trügt. Selbst in diesen entlegenen Gebieten treffen wir überall auf menschliche Spuren: Auf Plastikmüll. Jeden Morgen nehmen wir eine leere Tüte mit, jeden Abend ist sie randvoll mit Plastikteilen vom Wegesrand.

© Robert KretschmerEine Tüte Müll am Tag: Styropor-Schale nahe der Mecha Huasca Hütte an den Ausläufern des Chimborazo.

Neben diesen gut sichtbaren Plastikteilen kommt es weltweit zu einer immer stärkeren Verschmutzung durch sogenanntes Mikroplastik. Das sind kleinste Partikel, nicht größer als eine rote Waldameise oder sogar für das menschliche Auge unsichtbar. Mikroplastik entsteht auf vielerlei Weise, zum Beispiel durch den Abrieb von Reifen, durch das Waschen synthetischer Kleidung aber auch durch die Verwitterung von Plastikteilen in der Umwelt. Durch die globalen Wasserkreisläufe gelangen die Partikel dann in die Weltmeere und konnten sogar im arktischen Eis bereits nachgewiesen werden.

Die intensive Nutzung von Kunststoffen bzw. Plastik bleibt nicht ohne Folgen: Seevögel verhungern, ihre Mägen voller unverdaulicher Plastikteile. Schildkröten verwechseln umher treibende Plastiktüten mit Quallen, einer ihrer Leibspeisen. Fische und andere Meerestiere verfangen sich in Dosenträgern und verenden darin. Die EU hat nun erste Konsequenzen aus der zunehmenden Verschmutzung insbesondere der Weltmeere gezogen: Ab 2021 sind in Europa unter anderem Einweggeschirr und Strohhalme aus Plastik verboten.

Aber wie betroffen ist unsere Umwelt jenseits der Meere? Kann sich Mikroplastik auch über die Luft ausbreiten und so bis zu den hochgelegenen Gletschern Ecuadors gelangen? Um das herauszufinden, untersuchen wir im Rahmen der Expedition, ob sich kleinste Partikel im Gletschereis nachweisen lassen.

© Martin-Immanuel BittnerFindet auch Mikroplastik: Der Eiskernbohrer.

Um Mikroplastik aufzuspüren, haben wir auf unserer Expedition einen Eiskernbohrer im Gepäck, der uns freundlicherweise von KollegInnen des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg zur Verfügung gestellt wurde. Er funktioniert praktisch wie ein Apfelausstecher, nur mit einem Meter Länge. Mit dem Bohrer auf dem Rücken besteigen wir in Ecuador die Gletscher des Antisana, Cotopaxi und Chimborazo. Auf rund 5000 Metern Höhe angekommen nehmen wir mit dem Bohrer Eiskern-Proben: Einen Meter lang und rund neun Zentimeter im Durchmesser. Obwohl das Eis vergleichsweise hart ist, gelingt das überraschend einfach.

© Robert KretschmerDie Entnahme des einen Meter langen Eiskerns am Gletscher des Cotopaxi geht überraschend leicht dank dem Eiskernbohrer.

Für den Transport ins Tal zersägen wir die Eiskerne in jeweils drei gleich große Stücke, die wir dann in speziellen Tüten versiegeln. Ein Extragewicht, das im wahrsten Sinne des Wortes zeigt, wie schwer Wissenschaft sein kann.

Unten angekommen lassen wir die Proben dann schmelzen – was überraschend lange dauert. Ins Labor nach Deutschland kommt nämlich das in Flaschen abgefüllte Schmelzwasser. Für dessen Analyse wird eine festgelegte Menge Schmelzwasser durch Filter gesaugt, die mit Poren von 200 Nanometern etwa 50 Mal so fein sind wie Kaffeefilter. Auf diesen Filtern sammeln sich Plastik und andere Partikel, die dann mit dem Spektrometer untersucht werden. Damit können wir nicht nur feststellen, wie viele Partikel in der Probe enthalten sind, sondern auch, um welche Art von Plastik es sich dabei handelt – und mit etwas Glück sogar, woher die Partikel stammen. Was die Ergebnisse dieses langwierigen Prozesses sind, der jetzt in den Laboren der Friedrich-Schiller-Universität Jena abläuft, können Sie bald auf unserer Expeditions-Webseite nachlesen.

© Romel SandovalDieser ein Meter lange Eisbohrkern wird später als Schmelzwasser im Labor auf Mikroplastik untersucht.

Doch beim Abstieg von den Gletschern in unseren wasserdichten Bergschuhen, gehüllt in unsere Ponchos, die uns vor der Nässe des Nebelwaldes schützen und mit unseren stabilen Rucksäcken, in denen das hochtechnische wissenschaftliche Gerät sicher lagert, wird auch klar: Ohne den Einsatz von Plastik wäre auch unsere Expedition kaum denkbar. Der Eiskernbohrer, die Drohne oder das Kameraequipment – alles ist ohne Kunststoffteile schwer vorstellbar und wäre ohne Plastik bedeutend schwerer. Vor- und Nachteile liegen also dicht beieinander und es ist an uns, verantwortungsvoll mit Kunststoffen umzugehen. Dazu gehört beispielsweise, wo immer möglich auf Einwegplastik zu verzichten und stattdessen Mehrwegplastik zu nutzen. Aber auch bessere Recyclingmöglichkeiten und neue, recyclebare und biologisch abbaubare Kunststoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe sind wichtige Forschungsbereiche. An solch neuen Kunststoffen arbeiten Robert Kretschmer und seine Kollegen am Jena Center for Soft Matters.

Eines wird uns auf dem Weg zu den Gletschern und durch den Llanganates-Nationalpark immer mehr bewusst: Wir leben in einer Epoche, in der wir Menschen stark wie nie zuvor in die Naturgeschichte eingreifen. Von den großen, sichtbaren Veränderungen wie der Umwandlung von Wald in Weideland, über Klimafolgen wie den Gletscherrückgang, bis hin zu den beinahe unsichtbaren Einflüssen wie dem fast allgegenwärtigen Mikroplastik.

Mehr zu uns und dem Projekt auf der Webseite der Jungen Akademie.

 

 


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