Vieles spricht dagegen, den Nobelpreis Wirtschaftswissenschaftlern zu verleihen. Noch mehr spricht dafür.
Von Werner Mussler
Ein Sonntagsökonom darf den Wirtschafts-Nobelpreis im Prinzip nicht in Frage stellen. Wir leben sozusagen von ihm. Vor einigen Wochen, unmittelbar vor der Vergabe des Preises, haben wir an dieser Stelle wieder einmal unsere persönlichen Wunschkandidaten genannt, und wie in den Vorjahren haben sich unsere Wünsche nicht erfüllt: Keiner von unseren Favoriten ist es geworden. Das wird uns nicht daran hindern, im kommenden Jahr eine neue Kandidatenliste zu präsentieren, mit voraussichtlich demselben Ergebnis. Schließlich lassen sich ja auch andere Ökonomen gerne darüber aus, warum dieser und jener den Preis schon längst hätte bekommen müssen oder dass dieser oder jener Preis ganz und gar nicht gerechtfertigt ist.
Ob es wirkli ch einen Sinn hat, einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften auszuloben, darf man dennoch fragen. Bekanntlich gibt es den Preis erst seit 1969, er wurde auch nicht vom Erfinder des Dynamits gestiftet, sondern von der schwedischen Reichsbank. Er heißt deshalb “Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel”. Die Erben Nobels haben gegen die “Erfindung” des Wirtschafts-Nobelpreises protestiert – und verweisen auf einen Brief, in dem Nobel schreibt: “Ich habe keine Wirtschaftsausbildung und hasse sie von Herzen.”
Ein prinzipielles Argument gegen einen Ökonomie-Nobelpreis ist das natürlich nicht. Es gibt ernster zu nehmende Einwände. Der erste lautet: Objektive Kriterien für die Auszeichnungswürdigkeit gibt es nicht wirklich. Für die Nobelpreise für Medizin, Physik und Chemie gibt es sie zumindest eher: Laut Nobel-Testament sollen die “bedeutendsten Entdeckungen oder Erfindungen” ausgezeichnet werden, die “der Menschheit den größten Nutzen erbracht” haben. Für die von ihm ebenfalls gestifteten Preise für Literatur und Frieden hat Nobel so objektive Kriterien nicht zu formulieren vermocht. Entsprechend umstritten waren und sind die Preisträger allzu oft.
Nun unterscheidet sich die Ökonomik vom Friedensstiften und vom Romanschreiben dadurch, dass sie den Anspruch erhebt, eine Wissenschaft zu sein – wenn auch eine Sozialwissenschaft, in der es nicht so exakt zugeht wie in den Naturwissenschaften und in der “Leistung” und “Fortschritt” entsprechend schwerer zu messen sind. Preiswürdige “Erfindungen” gibt es in der Ökonomik selten. Aber in einem weiteren Sinne “entdeckt” hat wohl jeder Ökonomie-Nobelpreisträger etwas. Es mag schwieriger sein als in den Naturwissenschaften, die Preiswürdigkeit solcher Entdeckungen zu würdigen, unmöglich ist es nicht.
Aber ist die Preisverleihung an einen Ökonomen oder generell einen Sozialwissenschaftler sinnvoll? Ausgerechnet ein Nobelpreisträger hat das mit einem grundsätzlichen Argument in Frage gestellt. Friedrich August von Hayek sagte in seiner Preisrede 1974, es sei gefährlich, einzelnen Ökonomen mit dem Preis eine Kompetenz zu verleihen, die keiner haben könne. Der Preisträger werde gewissermaßen vom Wettbewerb der Ideen freigestellt, der eben auch in der Wissenschaft als Entdeckungsverfahren diene. Der Preis verleihe dem Preisträger ein vermeintliches Erkenntnismonopol, das er nicht haben dürfe – schon gar nicht auf jenen Feldern, von denen er nichts verstehe.
Dieses Erkenntnis- und Meinungsmonopol ist laut Hayek in den Sozialwissenschaften gefährlicher als in den Naturwissenschaften. Ein Physik-Nobelpreisträger erhalte nur stärkeren Einfluss auf seine Fachkollegen. Ein mit dem Preis geadelter Ökonom beeinflusse aber vor allem jene, die nicht beurteilen könnten, ob er richtig liege: Laien, Politiker, Journalisten, Beamte, die Öffentlichkeit im Allgemeinen. Hayek forderte deshalb von allen Preisträgern intellektuelle Demut und Vorsicht in öffentlichen Äußerungen.
Die von ihm beschworene Gefahr hat sich seither indes in Grenzen gehalten. Schon allein die Zahl der mittlerweile ausgezeichneten Ökonomen sollte dafür gesorgt haben, dass es eben auch unter den Preisträgern einen Wettbewerb der Ideen gibt. Und die meisten Wissenschaftler haben sich an die Maxime gehalten, sich nur zu Themen zu äußern, von denen sie etwas verstehen. Ausnahmen wie Paul Krugman – der sich freilich schon vor seiner Auszeichnung 2008 als omnikompetenter Publizist verstand – bestätigen die Regel.
Es ist im Nachhinein schwer zu beurteilen, ob der Nobelpreis die inhaltliche Entwicklung der Disziplin beeinflusst oder diese nur nachgezeichnet hat. Das Stockholmer Komitee mag sich bisweilen allzu konventionell an den ökonomischen Mainstream gehalten und so Risiken vermieden haben. Es hat sich auch einige Fehlgriffe geleistet. Sicher ist aber, dass sich die Ökonomik in ihrer Vielfalt im Großen und Ganzen in den Preisträgern wiederfindet. Es sind auch vermeintliche Außenseiter zum Zuge gekommen, welche die Disziplin auf neue Pfade geführt haben. Hayek gehört dazu genauso wie Douglass North, Daniel Kahneman oder Amartya Sen. Diese und andere Namen stehen für einen allgemeinen sozialwissenschaftlichen Anspruch der Ökonomik. Und das ist nur positiv. Je mehr sich der Preis als Auszeichnung für Sozialwissenschaftler begreifen lässt, desto unberechtigter wird die Kritik, es handle sich um einen “unechten” Preis.
Der Freiburger Ökonom Michael Wohlgemuth fügt in diesem Sinne hinzu, der Nobelpreis bilde die Vielfalt ökonomischer Forschung allemal besser ab als die üblichen wissenschaftlichen Selektionskriterien, sprich die gängigen Ökonomen-Rankings. Dieses Argument spricht zwar mehr gegen die Rankings als für den Nobelpreis. Es stimmt aber wohl dennoch.
Michael Wohlgemuth: Wie sinnvoll ist der Ökonomie-“Nobelpreis”?, erscheint in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium WiSt 40, Heft 12, Dezember 2011.
Dieser Beitrag ist der “Sonntagsökonom” aus der F.A.S. vom vergangenen Sonntag.
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