Auch nach dem Gipfel ist der Euro noch lange nicht gerettet. Er hat die Krise mit verursacht und spaltet Europa: Ohne den Euro hätten wir weniger Probleme.
Von Philip Plickert
Glühende Euro-Europäer reagieren auf das Wort “Euro-Krise” allergisch. “Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche ,Krise des Euro’ ist leichtfertiges Geschwätz von Medien, von Journalisten und von Politikern”, schimpfte Helmut Schmidt jüngst auf dem SPD-Parteitag. Er war einer der Vordenker der Gemeinschaftswährung. Auch der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker, der den Euro mit Kohl und Mitterrand aus der Taufe gehoben hat, bekommt Zustände beim Wort Euro-Krise: “Es macht mich wütend, wenn ich höre, der Euro sei in der Krise.” Viele Veteranen der europäischen Einigung denken so.
“De r Euro ist stabil”, lautet das Mantra der Verteidiger. Die Inflation sei wie versprochen niedrig gewesen, im Durchschnitt knapp unter 2 Prozent, rechnet die Europäische Zentralbank (EZB) vor. Auch seinen Außenwert, etwa gegenüber dem Dollar, habe der Euro gut gehalten. Die Gemeinschaftswährung als solche habe mit der Krise nichts zu tun. Es gebe lediglich eine Schuldenkrise einiger Euroländer, deren Fiskalpolitik zu lax war. Und die sollen nun mit verschärften Sanktionen diszipliniert werden.
Vernichtende Bilanz
Unter Ökonomen gibt es aber schon länger Zweifel, ob die 1999 begonnene Währungsunion wirklich eine so tolle Sache war. Jetzt hat Harvard-Professor Martin Feldstein, einer der am meisten geachteten amerikanischen Ökonomen, eine vernichtende Bilanz gezogen: Der Euro sei ein kostenträchtiges Experiment, das wenig Nutzen und viel Schaden gebracht habe. Feldstein geht so weit, den Euro als Hauptursache der gegenwärtigen Krise auszumachen. Das Aufkommen von Staatsschuldenkrisen nur zwölf Jahre nach Beginn der Währungsunion “war kein Unfall oder Ergebnis von bürokratischem Missmanagement, sondern die unvermeidliche Folge davon, einer sehr heterogenen Gruppe von Ländern eine Einheitswährung aufzuerlegen”.
Schuldenkrise, Bankenprobleme, die hohe Arbeitslosigkeit, die Handelsbilanzdefizite vieler Länder – praktisch alle ökonomischen Übel, die nun den Euroraum plagen, führt Feldstein auf die Schaffung des Euro zurück. Schon früher hat er dazu pessimistische Aufsätze geschrieben. Dass die Inflationsrate in der Eurozone gering gewesen sei, worauf die EZB so stolz ist, hält er für keine besondere Leistung. Auch andere Länder hätten eine Dekade niedriger Inflation hingekriegt, meint Feldstein, einst oberster Wirtschaftsberater von Präsident Ronald Reagan und langjähriger Chef des National Bureau of Economic Research.
Ein Einheitszins mit verzerrender Wirkung
Seine Kritik richtet sich vor allem auf die verzerrende Wirkung des Einheitszinses für den gesamten Euroraum. Der sei stets für die einen zu tief und für die anderen zu hoch. Für die Peripherie-Länder war der Zins die ersten Jahre deutlich zu niedrig. Denn real, also abzüglich ihrer höheren Inflationsrate, hatten sie sogar negative Zinsen und konnten extrem günstige Kredite aufnehmen. Diese Chance ließen sie sich nicht entgehen. Die privaten Haushalte begannen, sich stark zu verschulden. Die Konjunktur zog an, die Immobilienpreise stiegen – bis eine Blase entstand und platzte. Nun kamen wieder die alten Wettbewerbsschwächen der südeuropäischen Länder zum Vorschein. Die Staatsverschuldung steigt rasant, und die Kapitalmärkte erheben höhere Risikoaufschläge.
Da es keine Abwertungsmöglichkeiten im Euro gibt, haben die Südländer ihr wichtigstes Instrument verloren, um flexibel und differenziert auf Schocks zu reagieren, kritisiert Feldstein. Nach seiner Analyse werden infolge des starren Geld-Korsetts in Europa die zyklische Arbeitslosigkeit und konjunkturelle Krisen künftig zunehmen. Die Handelsgewinne, die es im einheitlichen Währungsraum auch gibt, wögen diese Probleme nicht auf. Beim Vergleich mit den Vereinigten Staaten, die auch einen heterogenen Wirtschaftsraum umfassen, findet Feldstein mehrere entscheidende Unterschiede: Gibt es in einem amerikanischen Bundesstaat hohe Arbeitslosigkeit, ziehen die Menschen woandershin. Die hiesigen Arbeitslosen sind viel weniger mobil; zu hoch sind die Barrieren aus Sprache, Kultur, Religion, Gewerkschaften und Sozialsystemen. Auch wenn nun einige tausend Spanier oder Griechen nach Norden ziehen – es sind vergleichsweise wenige.
Die Transferunion führt zu Unfrieden
In Amerika findet noch ein anderer Ausgleich zwischen Regionen mit schwacher und Regionen mit starker Wirtschaftsentwicklung statt: über den föderalen Finanzausgleich. Etwas vereinfacht rechnet Feldstein vor, dass ein konjunktureller Einbruch beispielsweise in Massachusetts oder Ohio, der dort die Steuereinnahmen um einen Dollar drückt, durch Transfers aus der Bundeskasse von etwa 40 Cent teilweise ausgeglichen wird. Das stabilisiert erheblich. Feldstein ist skeptisch, ob die Europäer eine ähnliche Fiskalunion akzeptieren würden. Vermutlich würden die Bürger in den nordeuropäischen Geberländern auf die Barrikaden gehen, wenn sie für permanente Milliardentransfers zur Kasse gebeten würden.
Was aber wir d aus Europa als Friedensprojekt? Der Euro ist dabei, den Frieden zu stören, fürchtet Feldstein. Viele Griechen auf der Straße fühlen sich von Deutschland kojuniert. Kanzlerin Merkel zwinge Südeuropa zu schmerzhaften Sparkuren, die lange Rezessionen bedeuten und deren Erfolg nicht absehbar ist. In Frankreich mehren sich die Stimmen, die sich vor einer germanischen Dominanz ängstigen. Europaminister Jean Leonetti fühlt sich gar an die Stimmung zwischen den Weltkriegen erinnert und warnte vor “hysterischem Deutschenhass”. In der Londoner “Times” leistete sich der europhile Kolumnist Anatole Kaletsky die irre Bemerkung, Deutschland sei “wieder im Krieg mit Europa – wenigsten in dem Sinne, als deutsche Politik in Europa charakteristische Kriegsziele zu erreichen versucht – die Verschiebung internationaler Grenzen und die Unterwerfung fremder Völker”.
Das ist es, das hässliche Wort Krieg. Sagte nicht einst Helmut Kohl, der Euro sei “eine Frage von Krieg und Frieden”? Nun kommt tatsächlich feindselige Rhetorik auf – weil Deutschland nicht bereit ist, eine Transferunion zu schaffen und die Staatsfinanzierung über die Notenpresse zuzulassen. “Die Einführung des Euro hat Spannungen und Konflikte innerhalb Europas geschaffen, die es andernfalls nicht gegeben hätte”, lautet Feldsteins Fazit. Es ist schwer, ihm da zu widersprechen.
Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11. Dezember. Eine andere Ansicht vertritt Olaf Storbeck im Handelsblog.
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