Fazit – das Wirtschaftsblog

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Wahlkampf mit Altmeistern

Keynes mag die Demokraten, Hayek die Republikaner: Amerika schnitzt sich seine Helden. Der Sonntagsökonom von Gerald Braunberger

Keynes mag die Demokraten, Hayek die Republikaner: Amerika schnitzt sich seine Helden.

Von Gerald Braunberger

In den Vereinigten Staaten von Amerika finden im kommenden Jahr Präsidentenwahlen statt. Dort wird sehr wahrscheinlich für die Demokraten der Amtsinhaber Barack Obama gegen einen noch nicht bekannten Kandidaten der Republikaner antreten. Die Lektüre amerikanischer Ökonomenblogs könnte in diesen Wochen jedoch zu dem Schluss verleiten, dass die Präsidentenwahl in einem Duell zwischen den Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) und Friedrich von Hayek (1899 bis 1992) entschieden wird.

Illustration: Alfons HoltgreveVor dem Ausbruch der aktuellen Krise waren Keynes und Hayek in jeglicher Hinsicht tot gewesen. Die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, also das, was man gewöhnlich unter Keynesianismus versteht, spielte in den Lehrbüchern zuletzt keine große Rolle mehr. Hayek wiederum war in den vergangenen Jahrzehnten in der Rolle des Herolds der liberalen Botschaft in der Öffentlichkeit hoffnungslos hinter Milton Friedman zurückgefallen.

Mit der Krise tauchte zunächst Keynes aus der Versenkung auf. Als im Umfeld des Zusammenbruchs von Lehman Brothers das Finanzsystem zu wanken schien und anschließend die Konjunktur in der industrialisierten Welt abzustürzen drohte, erinnerte man sich plötzlich wieder der Lehren des verstorbenen Briten, der Unsicherheit als Auslöser für schwere Krisen identifiziert und staatliches Handeln empfohlen hatte.

Der Wiedergeburt Keynes’ folgte ein größeres Interesse an Hayek als einem Apostel freier Märkte, der sich scheinbar als Antipode für Keynes eignete. Für dieses Comeback gab es gleich mehrere Gründe: Erstens ist die Wirksamkeit keynesianischer Politik auch in dieser Krise umstritten geblieben. Zweitens fiel Friedman als Antipode aus, weil der im Jahre 2006 verstorbene Amerikaner die sehr expansive – und für puristische Liberale mindestens dubiose – Geldpolitik der Fed vermutlich eher gutgeheißen hätte. Drittens wurde Hayeks Mitte der vierziger Jahre verfasster “Weg zur Knechtschaft” in den Kreisen der amerikanischen Tea Party außerordentlich populär, was Hayek zumindest in den Vereinigten Staaten ein Stück weit aus dem Elfenbeinturm holte. Viertens wurde die Konjunkturtheorie Hayeks im Zuge der aktuellen Krise wiederentdeckt.

Und schließlich verfügt eine Gruppe von Hayekianern im Umfeld der George Mason University in Virginia über ein nicht geringes Marketingtalent: Sie produzierten unter anderem die beiden weitverbreiteten Keynes-Hayek-Rap-Videos (Folge 1Folge 2), in denen das (vermeintliche) Duell zwischen Keynes und Hayek über das Internet mit großem Erfolg in die weite Welt exportiert wurde. Seit kurzem liegt ein von dem Journalisten Nicholas Wapshott geschriebenes Buch mit dem Titel “Keynes Hayek: The Clash that Defined Modern Economics“, das die beiden Verblichenen zu außergewöhnlich einflussreichen Heroen macht und auf diese Weise die ökonomische Dogmengeschichte bedenklich verengt.

Mittlerweile schlägt man in Blogs aufeinander ein. Der Nobelpreisträger Paul Krugman preist seit langem Keynes und schrieb kürzlich abwertend über Hayek. Daraufhin schlugen nicht nur die Virginia-Hayekianern in ihren Blogs zurück, indem sie Hayek verklärten und Keynes verdammten.

Man fragt sich, warum sich gestandene Ökonomen des Jahres 2011 verstorbene Altmeister um die Ohren hauen müssen. Krugman besitzt als (ehemals) forschungsstarker Ökonom und Nobelpreisträger über genügend Prestige, um die Altmeister im Mausoleum ruhen zu lassen. Die Virginia-Hayekianer sind zwar bisher nicht im gleichen Maße als forschungsstarke Ökonomen wie früher Krugman in der Öffentlichkeit hervorgetreten. Aber sie könnten beispielsweise die von ihnen immer angemahnte Modernisierung der ökonomischen Theorie im Geiste Hayeks erbringen anstatt mithilfe der Dogmengeschichte Dispute zu führen.

Tatsächlich scheint es hier um etwas ganz anderes zu gehen: Keynes und Hayek werden instrumentalisiert, um Positionen im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf zu fixieren. Krugmans Identifikation mit der Demokratischen Partei ist bekannt. Aber ebenso bekannt ist, dass Obama Krugman nicht in die Administration nach Washington holte und dass Krugman sich eine deutlich expansivere Finanzpolitik als die von Obama betriebene wünschen würde. Mit Berufung auf Keynes – zu Recht oder zu Unrecht – will Krugman offensichtlich auf das Innenleben der Demokraten einwirken. Mit seinen Schmähungen Hayeks wiederum will er seine Demokraten gegen die Bedrohung durch die Republikaner in Stellung bringen.

Auf der Seite der Republikaner wiederum steht der Herausforderer Obamas noch nicht fest. Es kann aber sein, dass dieser Herausforderer, auch wenn er nicht der Tea Party entstammt, den Teefreunden Konzessionen machen muss. Aus deren Sicht wäre eine Wirtschafts- und Finanzpolitik wünschenswert, die mehr auf Märkte setzt und weniger auf gesamtwirtschaftliche Steuerung. Dafür ließe sich der Name Hayek nutzen.

Im Grunde genommen ist das Ganze irgendwie peinlich. Es spricht manches dafür, dass sich aus einer Lektüre von Keynes und Hayek auch heute noch wichtige Erkenntnisse gewinnen ließen. Das zeigen unter anderem die Arbeiten des New Yorker Ökonomen Roman Frydman. Dabei zeigt sich, dass die beiden Männer keineswegs nur Antipoden waren, sondern in vielen Fragen übereinstimmten und sich ihre Lehren eher ergänzen als einander ausschließen.

Aber man würde von der heute aktiven Generation erwarten, dass sie auf ihren eigenen Füßen steht – in der Forschung wie in der Politikberatung. Gleichwohl ist spätestens seit Ausbruch der Krise der Eindruck entstanden, dass die Politik zunehmend weniger auf akademische Ökonomen hört. Das mag an der Politik liegen, vielleicht aber auch an der Weltabgewandtheit mancher Bewohner der Elfenbeintürme, die gerade in einer Krise, in der auch einmal schnell Entscheidungen getroffen werden müssen, nicht erst einen Antrag für ein langfristiges Forschungsprojekt stellen können.

Natürlich haben in dieser Krise auch Ökonomen Einfluss gewonnen – die sitzen aber entweder an der Macht (zum Beispiel an der Spitze von Zentralbanken) oder nicht allzu weit von der Macht entfernt (zum Beispiel als Chef-Volkswirte großer Finanzhäuser, deren Einfluss oft unterschätzt wird). Gefragt sind zudem Universitätsökonomen, die praxisorientiert an relevanten Themen arbeiten, zum Beispiel an der Regulierung von Finanzmärkten. Wenn ein Regierungschef verstehen will, wie Finanzmärkte funktionieren, fragt er keinen Ökonomen, der sich mit dem Duell Keynes gegen Hayek befasst, sondern eine Person mit Kenntnissen der relevanten Materie.

Dieser Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 25.12.2011.

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