Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der modernen Ökonomik geht’s besser denn je

Die moderne Wirtschaftswissenschaft stecke in der Krise, behaupten viele Leute. Tatsächlich aber geht es der modernen Wirtschaftswissenschaft besser denn je, und ihre Zukunftsaussichten sind absolut rosig. Von Reiner Eichenberger.

Ein Gastbeitrag von Reiner Eichenberger

Die moderne Wirtschaftswissenschaft mit ihrer liberalen Markt- und Wettbewerbsorientierung stecke in der Krise, behaupten viele Nicht-Ökonomen, Anti-Ökonomen, Alt-Ökonomen und auch manche gute Ökonomen. Tatsächlich aber geht es der modernen Wirtschaftswissenschaft besser denn je, und ihre Zukunftsaussichten sind absolut rosig. Die Schwarzmalerei basiert auf sechs Missverständnissen:

"Capitalism is dead" - Foto: AFPErstens stecken viele Staaten tief in Wirtschafts-, Finanz- und Verschuldungskrisen. Viele Beobachter können nicht zwischen der Krise der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften unterscheiden und machen mit den Ökonomen die Überbringer und Analysten der schlechten Botschaften für die Krise verantwortlich.

Zweitens wird die Wirtschaftswissenschaft an einem viel zu hohen Anspruchsniveau gemessen. Selbstverständlich kann sie nicht alles voraussagen und erklären, und natürlich haben Ökonomen schon schwerwiegende Fehler gemacht. Aber wo ist das nicht so? Tatsächlich jedoch liegen die Ökonomen zumeist richtig, etwa als sie schon bei der Gründung der Europäischen Währungsunion die Probleme erkannten oder vor den Folgen der Staatsschuldenexplosion als Folge der wenig wirksamen Stabilisierungsmaßnahmen während der Finanzkrise warnten.

Drittens beruhen die meisten Fehler von Ökonomen nicht auf der übertriebenen Anwendung ökonomischen Denkens, sondern gerade auf seiner Vernachlässigung. So haben viele Ökonomen zu lange und übermäßig die anreiz- und erfolgsorientierte Belohnung von Managern gepredigt. Der Fehler lag jedoch nicht in der Überschätzung der Wirkung solcher Anreize, sondern vielmehr in ihrer Unterschätzung: Wenn Manager abhängig vom Gewinn bezahlt werden, dann arbeiten sie schon härter – nur leider auch an der Manipulation der Gewinnzahlen. Wenn Ökonomen etwas vorzuwerfen ist, dann dass sie ihren eigenen Ansatz zuweilen zu wenig konsequent zu Ende denken. Wirklich gute Ökonomen sind deshalb die Spezialisten für die perversen Wirkungen von Anreizen, genau so wie sie nicht Prediger des perfekten Funktionierens der Märkte sind, sondern die Spezialisten für Marktversagen und seine Heilung. Perverse Anreize sind deshalb gerade da verbreitet, wo vor allem Nicht-Ökonomen das Sagen haben, so etwa in der Politik mit all den völlig widersinnigen Anreizen durch die Landwirtschafts-, Verkehrs-, Gesundheits-, Steuer- oder Sozialpolitik.

Viertens stimmt es natürlich schon, dass manche Ökonomen oft und viel Unsinn erzählen. Das liegt aber gerade nicht an den Schwächen der modernen Ökonomik, sondern an Ihren Stärken. Diese haben sie so einflussreich gemacht, dass heute Regierungen, Behörden, Parteien, Interessengruppen und auch Manager ihre Politikvorschläge und Projekte stets mit ökonomischen Gutachten zu untermauern und rechtfertigen versuchen. Die als Gutachter eingesetzten Auftragsökonomen handeln zumeist nicht anders als Anwälte oder Pistolenmänner. Sie versuchen, die Interessen ihrer Auftragsgeber mit ihren wirksamsten Argumenten zu vertreten. Aber für unsinnige Projekte sind halt oft auch die besten Argumente nur unsinnig.

Fünftens ist ein Großteil der Kritik an der modernen Ökonomik irrelevant, weil sie eine Grundregel guter sozialwissenschaftlicher Analyse verletzt: Sie ist nicht vergleichend. sondern folgt dem Nirwanaansatz. Sie misst die moderne Ökonomik an einer fehlerfreien Idealwissenschaft, die es nicht geben kann, statt sie mit anderen real existierenden oder wenigstens realistischerweise vorstellbaren Wissenschaften und Denkansätzen zu vergleichen. Aus vergleichender Perspektive schneidet die moderne Ökonomik aber hervorragend ab. Oder behauptet jemand, die Politikwissenschaft, die Sozialpsychologie oder die Rechtswissenschaft könnten mehr über die Ursachen der Wirtschaftskrise sagen und mehr zu ihrer Lösung beitragen als die moderne Ökonomik?

Sechstens gibt es manche Ökonomik-Kritiker, die immer schon gesagt haben, freie Märkte und die Marktwirtschaft seien inhärent instabil. Jetzt argumentieren sie, die aktuelle Krise belege, dass sie immer schon Recht hatten und die moderne Ökonomik erledigt sei. Doch dabei begehen sie gleich zwei fundamentale Denkfehler: Die heutige Realität und damit unsere Probleme sind nicht durch den freien Markt, sondern durch das enge Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft geprägt. Der Staatsanteil am Bruttoinlandprodukt beträgt je nach Land und Messansatz 40 bis 50 und mehr Prozent, und auch auf den Rest hat der Staat grossen Einfluss. Wer da so wie viele Ökonomik-Kritiker den Markt und das Kapital für alle Probleme verantwortlich macht und mehr Regulierungen fordert, ohne das heutige Staatsversagen zu thematisieren, liegt grundsätzlich falsch. Zudem verletzen diese Kritiker eine entscheidende Grundregel guter Wissenschaft: Die heutige Krise zeigt nicht im Geringsten, dass ihre Theorie richtig war. Eine gute Theorie ist nicht eine, die voraussagt, dass es Krisen gibt. Denn das ist eine Trivialität, die niemand bestreitet. Zudem gibt es hunderte unterschiedlicher Krisentheorien und -weissagungen. Eine gute Theorie ist eine vergleichende Theorie, die wenigstens der Tendenz nach und besser als andere erklärt, wann und wo es Krisen gibt, und wann und wo die Krisen häufiger oder seltener, stärker oder schwächer, länger oder kürzer, folgenreicher oder folgenärmer, etc., sind.

Tatsächlich aber ist für eine solche, feinere und vergleichende Krisenanalyse die moderne Wirtschaftswissenschaft jeder heute bekannten Alternative weit überlegen. Angesichts der heutigen wirtschaftlichen und politischen Krisen und des riesigen Bedarfs nach vernünftiger Problemanalyse und wirksamen Lösungsvorschlägen bleibt deshalb nur ein Schluss: Die Aussichten für die moderne Ökonomik sind absolut rosig.

Reiner Eichenberger ist Ordinarius für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Fribourg sowie Forschungsdirektor von CREMA (Center of Research in Economics, Management, and the Arts).

 

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