Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Jobwunder: Ein Lob auf Gerhard Schröder

Hartz IV zeigt Wirkung: Seit 2005 steigt die Beschäftigung in Deutschland. Und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Von Rainer Hank.

Von Rainer Hank

Das Wunder des deutschen Arbeitsmarktes ist kein Wunder, sondern das Werk des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Den Beweis dafür liefert jetzt der Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit für den Monat Januar. Die Charts auf Seite 50 dieses Berichts sind spektakulär. Danach sinken Erwerbstätigkeit und Beschäftigung in Deutschland bis zum Ende 2004, während zugleich Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und die Zahl der Deutschen, die von Stütze leben, ansteigen. Das war der Peak. Ab dann ändert sich die Richtung: Die Arbeitslosigkeit geht zurück von ehedem fast fünf Millionen auf derzeit rund drei Millionen Menschen ohne Arbeit, während die Erwerbstätigen mit rund 41 Millionen sich auf einem Allzeithoch befinden.

HartzStetig mit der Erwerbstätigkeit steigt auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung: Es sind „gute” Jobs, die entstehen, quer durch alle Qualifikationen. Wer behauptet, das deutsche Jobwunder verdanke sich den Billigjobs, erzählt Märchen. Dass freilich die qualifikatorische Lohnstruktur auch am unteren Ende weiter aufgefächert wurde – einfacher gesagt, der Bereich der Niedriglöhner größer wurde – ist geradezu gewünschte Folge. Wenn unter den Arbeitslosen mehr einfach Qualifizierte als Akademiker sind und wenn dann diese Arbeitslosen Arbeit finden, dann werden sich logischerweise deren Jobs eher am unteren als am oberen Ende der Lohnskala finden. Fakt ist jedenfalls: Mit einer Erwerbslosenquote (saisonbereinigt) von 5,6 Prozent liegt Deutschland in Europa jetzt auf Platz vier, hinter Österreich, Luxemburg und den Niederlanden, aber vor dem Rest, angefangen mit Tschechin (6,4) bis Spanien (22,9).

Just am 1. Januar 2005 traten die Hartz-IV-Reformen (vornehm: Sozialgesetzbuch II) der rot-grünen Bundesregierung in Kraft. Ihr Grundsatz lautet „Fordern und Fördern”, oder, wie häufig betont: Gefördert werden soll Arbeit und nicht Nichtarbeit. Den revolutionären Einschnitt brachte die Umstellung der früheren Arbeitslosenhilfe zum heutigen Arbeitslosengeld II. Während die aus Steuermitteln gezahlte Arbeitslosenhilfe am letzten Erwerbseinkommen Maß nahm, ist das Arbeitslosengeld II einkommensunabhängig. Jeder erhält die gleichen – niedrigen – Regelsätze. Das schafft enorme Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Weil die Unterscheidung zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ebenfalls abgeschafft wurde und jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten soll, schrumpft inzwischen auch die Sockelarbeitslosigkeit. Die strukturelle Verhärtung des Arbeitsmarktes weicht auf. Gewiss, dass sich zugleich die Arbeitsnachfrage in den vergangenen Jahren signifikant besserte, liegt an der moderaten Lohnpolitik der Gewerkschaften, verbunden mit ihrer geschwächten monopolistischen Preissetzungsmacht und verstärkt durch die implizite Abwertung des Euro in Deutschland. Das hat Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit entscheidend gestärkt und zugleich die Jobs sicherer gemacht. Aber konjunkturelle Schwankungen sind eben nicht einschlägig für die fundamentale Richtungsänderung des deutschen Arbeitsmarktes, die 2005 einsetzt und bis heute andauert. Weder Finanzkrise noch Fiskalkrise halten diese Entwicklung auf. Gerhard Schröder hat den Arbeitsmarkt gedreht und – demnächst – das Ziel erreicht, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren.

Selbst die viel gescholtenen „Aufstocker” (Lohndumping!) dürfen inzwischen als rehabilitiert gelten. Bei den Aufstockern wird der Marktlohn, der sich an der Produktivität bemisst, bis zum gesellschaftlich definierten Existenzminimum mit Steuergeld aufgefüllt. Das ist die dem Mindestlohn überlegene, bessere Alternative der Marktkorrektur. Sie folgt dem Grundsatz, wonach am Markt Knappheitspreise gezahlt werden, die der Staat, wenn er dies aus Gerechtigkeitsgründen für geboten hält, aus Steuermitteln kompensieren kann: ein in der sozialen Marktwirtschaft übliches Verfahren. Die neue Statistik der BA über die Aufstocker (nach diesem Absatz eingebunden) weist nun aus, dass die Vollzeit-Aufstocker – also jene Menschen, deren Job kein existenzsicherndes Einkommen abwirft – zwischen 2007 und 2010 von 400 000 auf 340 000 gefallen ist. 60 000 Menschen scheinen also auf diesem Weg inzwischen eine auskömmliche Arbeit gefunden zu haben und nicht mehr auf staatliche Kompensationen angewiesen zu sein. Das war genau das Ziel des Aufstocker-Modells: Einen Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Es ist merkwürdig, dass die SPD aus diesem nachhaltigen, humanisierenden und die Gesellschaft integrierenden Erfolg der Schröder-Regierung propagandistisch nicht mehr macht. Das Fortschrittspathos der Sozialdemokratie, wonach Arbeit stolz und reich macht, würde es geradezu fordern. Das die SPD sich dieser historischen Leistung so wenig rühmt, kann nur mit dem Trauma der Spaltung zu tun haben, der entscheidenden Blessur durch den Auszug der „Linken” aus der SPD als Folge der Schröderschen Reform. Umso mehr installiert Kanzlerin Angela Merkel sich jetzt als Erbin dieser Reform, die sie damals bekämpft hat. Inzwischen gibt sich sogar der bürgerliche französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy als bekennender Schröderianer, der seinen Landsleuten statt der 35-Stunden-Woche die Hartz-Reformen als Vorbild empfiehlt.

Gravierende Fehlanreize der Reform sollten freilich nicht verschwiegen werden. Denn zugleich mit der Abnahme in Vollzeit arbeitender Aufstocker steigt im selben Zeitraum zwischen 2007 und 2010 die Zahl jener Aufstocker, die Teilzeit arbeiten (bei den geringfügig Beschäftigten sogar von 570 000 auf fast 700 000). Bei dieser Gruppe wird nicht ein niedriger Lohn mit Staatsgeld aufgestockt, sondern – umgekehrt – ein Transfereinkommen durch einen Teilzeitminijob aufgestockt. Insbesondere für Alleinerziehende, die häufig gar nicht Vollzeit arbeiten können, ist Hartz plus Minijob inzwischen ein Geschäftsmodell, das schnurstracks in die Kombilohnfalle führt. Die ersten hundert Euro des Hinzuverdienstes sind komplett anrechnungsfrei und stellen somit willkommenes Zubrot und zugleich entscheidende Schwelle dar, von der an mehr Arbeit unattraktiv wird. Diese Form des Aufstockens verfehlt sein Ziel, mehr Menschen dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu bringen. Schon vor ein paar Jahren hat deshalb der Sachverständigenrat eine interessante Korrektur vorgeschlagen: Demnach müsste der Regelsatz für das Arbeitslosengeld II gesenkt werden (30 Prozent), zugleich aber die Transferentzugsrate in Richtung einer negativen Einkommensteuer gelockert und gestreckt werden.

 

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