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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die optimale Steuer

Müssen starke Schultern mehr tragen, oder muss sich Leistung mehr lohnen? Der Sonntagsökonom von Patrick Bernau

Müssen starke Schultern mehr tragen, oder muss sich Leistung mehr lohnen?

Von Patrick Bernau

Wie viel Steuern sollen die Reichen zahlen? Es ist eine endlose Debatte, egal, wie hoch die Steuern gerade sind. Immer werden linke Politiker fordern, dass die Reichen mehr berappen. Liberale Politiker werden für Steuersenkungen plädieren und im Gegenzug die Sozialleistungen kürzen wollen. Jetzt hilft eine neue Studie zweier Harvard-Ökonomen, den ewigen Streit besser zu verstehen – und sie gibt sogar einen kleinen Hinweis darauf, wo der Kompromiss liegen könnte.

Die beiden Illustration: Alfons Holtgreve Forscher Benjamin Lockwood und Matthew Weinzierl sind von den alten Argumenten ausgegangen, die sich die Menschen am Stammtisch immer wieder um die Ohren hauen: “Starke Schultern müssen mehr tragen”, sagen die einen, und die anderen antworten: “Das Geld der Reichen ist doch hart erarbeitet. Leistung muss sich auch lohnen.”

Diese Sätze verdeutlichen, wie schwer es ist, das richtige Steuersystem zu finden. Denn beide Argumente sind ja im Prinzip anerkannt. Die meisten Leute werden es gerecht finden, dass die Bürger mehr Geld behalten dürfen, wenn sie das Geld durch viel und harte Arbeit verdient haben. Die Anreize dazu sollen auch erhalten bleiben. Umgekehrt finden es die meisten Leute schlecht, wenn der Zufall den Lohn bestimmt: Wer einfach Glück hatte oder eine besondere Begabung mitgebracht hat, der soll nicht allein davon schon profitieren. Das würde der Chancengleichheit widersprechen.

Die Nobelpreisträger Peter Diamond und James Mirrlees haben solche Überlegungen einst zu einer Theorie der optimalen Besteuerung verdichtet. Sie sagen: Theoretisch wäre das Steuersystem dann am besten, wenn es den Teil des Einkommens besteuert, den die Menschen dank Zufalls, Glück und Begabung bekommen – aber nicht den Teil, der die Frucht harter Arbeit ist.

Praktisch ist dieser Satz völlig unbrauchbar. Wer kann schon entscheiden, ob der Kollege im Prinzip viel zu faul ist für seinen Lohn? Wer kann messen, wie viele seiner Tore der Fußballspieler Lionel Messi seiner Begabung verdankt und wie viele seinem Training? Niemand. Deshalb ist das Steuersystem in allen Ländern bisher eine Krücke: Der Staat kümmert sich nur darum, was ein Mensch verdient. Wenn der viel verdient, dann wird ein Teil davon Glück sein, sagt der Staat, und berechnet ihm einen höheren Steuersatz. Wenn einer nichts verdient, dann wird er daran nicht allein selbst schuld sein, sagt der Staat – und bezahlt Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe.

Benjamin Lockwood und Matthew Weinzierl haben jetzt einen Weg gefunden, die Bedeutung dieser beiden Einflüsse wenigstens für ganze Staaten zu messen. Die beiden nutzen dazu den World Value Survey, eine standardisierte Umfrage für mehrere Länder. Darin werden die Teilnehmer auch gefragt, wie sie Arbeit und Freizeit abwägen: Ihnen werden zwei Sätze vorgelegt, und sie müssen sich entscheiden zwischen dem Satz “Freizeit macht das Leben lebenswert, nicht Arbeit”, dem Satz “Arbeit macht das Leben lebenswert, nicht Freizeit” oder einer von drei Stufen dazwischen.

Die meisten Menschen sehen sich in der Mitte zwischen diesen beiden Sätzen, nur in Korea, Tschechien, der Slowakei, der Türkei und Mexiko gibt es besonders viele Fleißige – so zumindest zeigt es die Umfrage. Den beiden Forschern war es aber auch gar nicht so wichtig, wie faul oder fleißig sich diese Länder selbst finden. Stattdessen haben sie untersucht, ob die Menschen in einem Land alle ungefähr gleich fleißig sind oder ob es große Unterschiede zwischen den einzelnen Leuten gibt.

Dann haben sie die Fleißunterschiede in jedem Land damit verglichen, wie stark der Staat die Einkommen umverteilt: ob der Spitzensteuersatz hoch ist, der Staat generell hohe Steuern verlangt und ob das Sozialsystem einen großen Anteil an der Wirtschaftsleistung ausmacht.

Dabei ergibt sich tatsächlich ein klares Muster: Je gleichmäßiger der Fleiß in einem Land verteilt ist, desto stärker werden die Einkommen umverteilt. Offenbar ist in solchen Ländern das Gefühl stärker, dass Verdienstunterschiede mehr durch Glück entstehen als durch Fleiß. Gleichzeitig müssen die Leute, die hohe Steuern zahlen, weniger fürchten, dass ihr Geld Mitbürgern zugutekommt, die einfach nicht so viel arbeiten wollen.

Schweden ist in dieser Untersuchung das gleichmäßigste Land mit der höchsten Umverteilung. Korea und Mexiko haben in ihrer Bevölkerung sehr unterschiedliche Arbeitsethiken, dafür verteilen sie weniger Geld um. Die Türkei könnte nach dieser Betrachtungsweise ihre Steuern ein gutes Stück erhöhen, während die Slowakei selbst mit ihrem kleinen Sozialsystem noch relativ viel Geld umverteilt von Leuten, die viel arbeiten zu Leuten, die wenig arbeiten wollen. Die Vereinigten Staaten mit ihren niedrigen Steuern und Deutschland mit seinem großen Sozialsystem liegen beide ungefähr dort, wo es die Fleißunterschiede im Land nahelegen. Die Deutschen unterscheiden sich in ihrer Arbeitsethik einfach nicht besonders.

Mit diesem Ansatz können die beiden Forscher immerhin rund ein Viertel der Variation zwischen den unterschiedlichen Umverteilungssystemen erklären.

Zudem konkretisieren sie eine Erkenntnis über das Steuersystem, die Harvard-Ökonom Alberto Alesina und sein Kollege George-Marios Angeletos schon vor einigen Jahren hatten: Sie stellten fest, dass die Umverteilung in den Ländern klein ist, in denen die Menschen stärker an ihre eigene Leistung glauben und davon ausgehen, dass sie ihr eigenes Schicksal beeinflussen können. Das sind vermutlich die Länder, in denen wirklich einige Leute mehr verdienen könnten – würden sie sich nur ein bisschen mehr anstrengen.

Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 19. Februar 2012. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

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