Die Zeichen am deutschen Aktienmarkt stehen auf Hausse, wenn man einem alten Indikator aus der technischen Analyse glaubt: Sowohl im 100 deutsche Werte umfassenden F.A.Z.-Index als auch im aus 30 Werten gebildeten Dax bildet sich gerade ein “Goldenes Kreuz” heraus. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die 50-Tage-Linie die 200-Tage-Linie von unten schneidet. Die entgegengesetzte Formation heißt “Todeskreuz” und gilt als ein Baissesignal: Hier schneidet die 50-Tage-Linie die 200-Tage-Linie von oben. Die 50-Tage-Linie beschreibt für jeden Handelstag den Durchschnittskurs der vergangenen 50 Handelstage; die 200-Tage-Linie beschreibt für jeden Handelstag den Durchschnittskurs der vergangenen 200 Handelstage. Diese sogenannten “gleitenden Durchschnitte” (“moving averages”) gehören zu den ältesten Indikatoren in der technischen Analyse und werden von manchen modernen “Technikern” als etwas altbacken angesehen.
Eine Analyse seit Anfang 1999 – der Zeitraum ist so gewählt, dass mehrere Beobachtungen vorliegen – zeigt, dass diese Indikatoren nicht perfekt, aber auch nicht schlecht gewesen sind. Wer damals beim Stand von 1474 Punkten breit in den deutschen Aktienmarkt investierte und seine Aktien einfach hielt, hat nicht sehr viel gewonnen: Der F.A.Z.-Index liegt heute nur knapp 5 Prozent höher. Hinzu kommen immerhin noch die Dividendenerträge seit 1999, die der Index nicht abbildet.
Wer bei einem „Goldenen Kreuz” in den Aktienmarkt eingestiegen ist und ihn bei einem „Todeskreuz” verlassen hat, war seit Anfang 1999 nur knapp 7 Jahre lang am deutschen Aktienmarkt investiert. Er hätte also einen Teil der Dividenden seit 1999 vereinnahmt und in der Zeit, in der er nicht am Aktienmarkt investiert war, sein Geld zinsbringend anlegen können. Wie aber hat der Anleger während der knapp 7 Jahre abgeschnitten, in denen er deutsche Aktien hielt?
Ein erstes „Goldenes Kreuz” bildete sich im April 1999. Wer damals kaufte, erlebte die Schlussphase der „New-Economy-Blase” und den Beginn der Baisse mit, ehe im März 2000 ein „Todeskreuz” ein Verkaufssignal lieferte. Hier entstand ein Kursgewinn von gut 30 Prozent. Ende März 2002 lieferte ein neues „Goldenes Kreuz” dann ein Fehlsignal. Wer damals kaufte und beim nächsten „Todeskreuz”, das sich schon kurze Zeit im Juni 2002 einstellte, ausstieg, erlitt einen Verlust von rund 18 Prozent.
Besser verliefen die nachfolgenden Anlageperioden von Juni 2003 bis April 2004 (rund 12 Prozent Kursgewinn) und von November 2004 bis Juli 2006 (rund 30 Prozent Kursgewinn). Das nächste „Goldene Kreuz” lockte schon im Oktober 2006 zum Einstieg. In der Zeit bis zum „Todeskreuz” im Januar 2008, das kurz nach dem Ausbruch der großen Finanzkrise entstand, vereinnahmte der Anleger einen Kursgewinn von gut 20 Prozent. Weitere 12 Prozent ließen sich in der Hausse zwischen Juli 2009 und August 2011 verdienen.
Was bleibt? Wir haben in den vergangenen 13 Jahren sechs Zyklen mit “Goldenen Kreuzen” und “Todeskreuzen” gesehen – das ist für diesen relativ kurzen Zeitraum sehr häufig und ein Beleg für die sehr unruhigen Zeiten, die der Aktienmarkt seitdem erlebt hat. In fünf dieser sechs Fälle stiegen die Kurse im Anschluss an ein “Goldenes Kreuz”, wenn auch nicht immer unmittelbar, sondern gelegentlich mit einer Verzögerung von mehreren Wochen. Somit war eine an den „Kreuzen” orientierte Strategie für den genannten Zeitraum deutlich besser als ein einfaches „Kaufen und Halten” im Stile André Kostolanys.
Ein kurzer Blick in die Nachbarschaft: Im schweizerischen SMI-Index war schon Anfang Februar ein “Goldenes Kreuz” zu beobachten, ebenso im amerikanischen S&P-500. Im 50 Werte umfassenden Euro-Stoxx sowie im aus 100 Werten gebildeten F.A.Z.-Euro-Index zeichnen sich “Goldene Kreuze” für die nahe Zukunft ab. Der italienische MIB-Index und der spanische Ibex könnten in rund 4 Wochen folgen, der portugiesische PSI-Index aber erst in rund 2 Monaten – sofern es nicht zu radikalen Kursveränderungen in der nahen Zukunft kommt.
Im übrigen kann man diese eigentlich schon sehr einfache Anlagestrategie noch simplifizieren, indem man sich ausschließlich an der 200 Tage-Linie ausrichtet und nur kauft, wenn die 200-Tage-Linie den Kurschart von unten durchschneidet und konsequent verkauft, wenn die 200-Tage-Linie den Kurschart von oben schneidet. Bei dieser Strategie kauft man nie zum Tiefstkurs, so wie man auch nie zum Höchstkurs verkauft, aber man ist auch nie bei einer schweren Baisse bis zum Ende dabei. Es existieren Untersuchungen von Fondsmanagern, wonach man mit dieser simplen Strategie in den vergangenen Jahren am amerikanischen Aktienmarkt den S&P-500 geschlagen hätte. Ob es in der Zukunft auch wieder so sein wird? Die Antwort kennt nur der Wind.
Eine kürzere Fassung dieses Beitrags ist am 24. Februar 2012 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.
Update 18. Mai 2012: Der Index liegt nach den Kurseinbußen der vergangenen Wochen nunmehr knapp unter seiner 200-Tage-Linie, die derzeit bei rund 1384 Punkten verläuft. Sollte sich der Index nicht bald wieder berappeln, wäre dies als ein charttechnisches Verkaufssignal zu deuten. Wir werden über den weiteren Gang der Dinge berichten.
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