Wer politische Spitzenkräfte haben möchte, der muss auch Spitzengehälter zahlen. Doch wenn die Abgeordneten mehr Geld bekommen, kann das die Falschen ins Parlament locken.
Von Patrick Welter
Wenn es um die Gehälter von Abgeordneten und Politikern geht, ist dieses Argument gut bekannt: Die Gehälter müssen steigen, damit der Steuerzahler besonders gute Abgeordnete bekommt. Auf den ersten Blick ist das Argument solide in der ökonomischen Theorie verankert. Wer politische Spitzenkräfte haben möchte, der muss auch Spitzengehälter zahlen. Sonst ist es für die fachlich hochqualifizierten Abgeordneten lukrativer, in die Wirtschaft zu wechseln, wo sie mehr verdienen können.
Einen posit iven Nebeneffekt haben höhere Gehälter für Parlamentarier außerdem, weil sie den Anreiz verstärken, eine Wiederwahl anzustreben. Im Glücksfall führt das dazu, dass Politiker mehr auf ihre Wähler hören, was dem Sinn der Demokratie entgegenkommt.
Bemerkenswert an dem Argument ist, dass höhere Einkommen gleichgesetzt werden mit einer besseren Qualität des Einkommensbeziehers. Im Einzelfall wird man daran Zweifel haben, im Durchschnitt aber dürfte es einigermaßen zutreffen. An dieser Stelle könnte man diesen Sonntagsökonomen beenden – wenn, ja wenn da nicht diese nagende Unsicherheit wäre, ob Politiker wirklich dem monetären Eigennutz folgen.
Diese rein pekuniäre Sicht widerspricht dem Selbstbild der Politiker, das sie vor dem Wahlvolk abgeben. Jeder Abgeordnete würde die Idee weit von sich weisen, er säße im Parlament, weil er dort mehr Geld verdient als an anderer Stelle. Immer sagen Politiker, dass es ihnen allein um die Sache gehe, um das Volk und um das Land. Eine solche Diskrepanz zwischen Außendarstellung und Motiven ist auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft bekannt. Man könnte darüber mit dem unguten Gefühl hinweggehen, dass selbst (oder gerade?) Politiker es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nehmen. Was aber wäre, wenn Politiker doch durch andere Motive geprägt wären als den schnöden Mammon?
Unabdingbar sind hohe Gehälter für Politiker jedenfalls nicht. Im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire erhalten die 400 Abgeordneten und 24 Senatoren bei 45 Sitzungstagen ein Gehalt von 100 Dollar im Jahr, hinzu kommt eine Entschädigung für Fahrtkosten. Das war’s. Über zu wenige Bewerber kann das Parlament sich dennoch nicht beklagen. Die Einwohner sind stolz auf ihr „Bürgerparlament”, das eine besondere Nähe zum Wahlvolk gewährleisten soll.
Vorteile niedrigerer Gehälter für Politiker lassen sich theoretisch begründen, wie so vieles in der Ökonomik. Timothy Besley von der London School of Economics etwa räsonierte 2004, dass höhere Gehälter die Qualität der Parlamentarier nicht verbessern, sondern verschlechtern könnten. Um diese überraschende Einsicht zu verstehen, ist es hilfreich, Politiker in „Überzeugungstäter” und „Karrierepolitiker” einzuordnen. Erstere wollen überwiegend der Sache dienen, das Gehalt ist zweitrangig. Das ist der Typ des Politikers, wie er ihrem Selbstbild entspricht. Letztere sind am persönlichen Fortkommen interessiert, für sie dient die Tätigkeit in der Politik etwa als Sprungbrett in eine lukrative Position in der Wirtschaft.
Man darf vermuten, dass Karrierepolitiker eher bereit sind, dem allgemeinen Wählerauftrag zuwiderzuhandeln und Sonderinteressen zu bedienen, weil ihnen so mehr Geld winkt. Zu denken ist an Bestechungsgelder oder an Versorgungsposten. Der pekuniäre Nutzen der Tätigkeit im Parlament ist für Karrierepolitiker höher; als Gruppe bieten sie insoweit im Durchschnitt eine höhere Qualität. Denn im Gegensatz zu den Überzeugungstätern zieht der Typus des Karrierepolitikers vergleichsweise mehr Menschen an, die auch anderswo viel Geld verdienen könnten.
Eine Gehaltserhöhung für Parlamentarier bewirkt nun zweierlei: In beiden Gruppen, den Überzeugungstätern und den Karrierepolitikern, steigt die Qualität des politischen Personals. So weit, so gut. Zugleich aber verringert sich der relative Einkommensvorteil der Karrierepolitiker gegenüber den Überzeugungstätern – und in der Folge steigt der Anteil der Überzeugungstäter im Parlament. Ist dieser Effekt stark genug, können höhere Gehälter für Parlamentarier die Qualität der Politiker insgesamt sinken lassen.
All das ist graue Theorie, und es bedarf des Blicks in die Wirklichkeit. In einem Glücksfall für Forscher kam es im Europäischen Parlament 2009 zu einer historischen Änderung. Wurden Europaparlamentarier zuvor wie ihre jeweiligen nationalen Kollegen bezahlt, wurden ihre Gehälter 2009 vereinheitlicht. Für manche von ihnen führte das zu heftigen Gehaltseinbußen: Das Gehalt der Italiener sank von 144 000 (2004) auf 84 000 Euro im Jahr. Andere, Spanier, Portugiesen oder Schweden, vor allem aber die Abgeordneten aus den EU-Staaten Osteuropas, erhielten erheblich mehr Geld. Die Gehälter der deutschen Abgeordneten änderten sich kaum. Das große sozialökonomische Experiment bietet Ökonomen die Chance, die Wirkungen von Gehaltsänderungen auf Parlamentarier detailliert zu prüfen.
In einer gerade veröffentlichten Studie belegen vier Ökonomen zunächst, dass Politiker monetären Anreizen folgen. Die höheren Gehälter im Europaparlament führten dazu, dass sich mehr Abgeordnete um eine Wiederwahl bemühten und dass weniger Abgeordnete ihre Stelle vorzeitig verließen. Anzeichen, dass die Abgeordneten sich mehr anstrengten, finden die Ökonomen indes kaum. Die Teilnahme an Abstimmungen und die Versuche, ungerechtfertigt Sitzungsgelder einzuheimsen, sind vor allem von der nationalen Herkunft bestimmt: Abgeordnete aus Ländern, die für Korruption bekannt sind, schummeln auch im Europaparlament häufiger als andere.
Das erschreckendste Ergebnis betrifft die Qualität der Abgeordneten, nimmt man als Maß die Qualität der von ihnen besuchten Hochschulen. Eine Verdoppelung des Gehalts verringert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Europaparlamentarier eine gute Hochschule besucht hat, um 4,2 Prozent. Das Ergebnis ist wie immer umstritten. Offen ist auch, ob es für andere Parlamente gilt. Aber die Studie bestätigt die Zweifel, dass höhere Gehälter für Politiker dem Bürger ein besseres politisches Personal bescheren.
Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23. März 2012. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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