Historische Studien werden in der VWL immer populärer, gerade in der Institutionenökonomik. Allerdings ist die Geschichte nur das Labor, um Fragen zu beantworten, die auch in anderen Zeiten gelten.
Von Christian Odendahl
Gerald Braunberger hat in diesem Blog vor kurzem auf ein äußerst lesenswertes Papier von Nathan Nunn hingewiesen: “The Importance of History for Economic Development”. Nun ist Geschichte um ihrer selbst Willen schon interessant genug, und doch hat diese Forschung einen höchst aktuellen Wert – und das nicht nur, weil Geschichte bis heute fortwirkt. Von Interesse ist vor allem, wie Institutionen ganz generell das Wirtschaftsgeschehen beeinflussen, unabhängig vom zeitlichen Kontext. Warum dann der Rückgriff auf die Geschichte? Dies hat vor allem methodische Gründe.
Das Problem ist: Wie entlockt man den Daten einen wirklich kausalen Zusammenhang zwischen den Institutionen eines Landes – also seiner gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Regeln – und seiner wirtschaftlichen Entwicklung? Ist Europa reich, weil es gute Institutionen hatte, oder hat es sich gute Institutionen gegeben als es reich wurde? Oder gibt es gar einen unbeobachtbaren dritten Faktor, der beides gleichzeitig prägte, Institutionen und wirtschaftlichen Erfolg, und es daher nur so erscheint, als seien die Institutionen für den Erfolg verantwortlich?
Die Institutionen, die ein Land sich gibt, sind eben alles andere als zufällig und daher unzertrennbar mit anderen Charakteristiken verbunden, die ebenso und gleichzeitig Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg haben können. Das macht es in den meisten Fällen unmöglich, einen wirklich kausalen Effekt von Institutionen heraus zu lösen.
Das Ziel der empirisch arbeitenden Forscher in diesem Fachgebiet ist daher, Unterschiede zwischen den Institutionen verschiedener Länder zu finden, die eben doch irgendwie zufällig sind. Der Grund für diesen Zufall wird in der empirischen Fachsprache als “instrument” bezeichnet, und ist im Idealfall völlig unabhängig von anderen Faktoren, die den Effekt der Institutionen überlagern und das Ergebnis verfälschen könnten. Dann kann man die Länder oder Regionen, die zufällig gute Institutionen bekommen haben, mit solchen vergleichen, die zufällig keine guten bekamen. Ein solcher Vergleich zeigt dann, ob Institutionen eine Rolle spielen, und wenn ja, welche. Und genau nach solchen Zufällen wird die Geschichte durchforstet, denn dort findet man sie eher als in der Gegenwart.
Das schönste und anschaulichste Beispiel ist das von Feyrer und Sacerdote. Ihr Argument ist so simpel wie faszinierend: Wann eine Insel (dapd-Foto: Tuvalu) kolonialisiert wurde, hing in früheren Jahrhunderten eher vom Wind ab als von strategischen Überlegungen. Der Startzeitpunkt des Kolonialregimes war also in Teilen zufällig. Feyrer und Sacerdote können daraufhin den wirtschaftlichen Erfolg der verschiedenen Inseln vergleichen, abhängig vom Startzeitpunkt der Kolonialisierung. Die maßgebliche Windrichtung im Umkreis dieser Inseln ist also das “instrument” für den Zeitpunkt der Kolonialisierung.
Das aber ist nur der erste Schritt. Denn wie Dani Rodrik es im Zusammenhang mit einem anderen, ähnlichen Papier formuliert hat: ein “instrument” ist noch lange keine Theorie.
“… What [the title “The colonial origins of comparative development“] seemed to suggest … was that they had identified differing encounters with colonialism as the root of the variance in income levels around the world. But this is a problematic interpretation. The variation in average income levels among countries that have never been colonized is almost as large as that in the colonized sample … If the roots of underdevelopment lie in contrasting encounters with colonizers, how can we explain the fact that countries that have never been colonized by Europeans are among both the poorest and richest of today’s economies?”
Mit anderen Worten: die Kolonialisierung und das “instrument” an sich sind weniger interessant. Wichtig ist im Zusammenhang mit Feyrer und Sacerdote (2009) zum Beispiel, was denn nun zum wirtschaftlichen Erfolg der früh kolonialisierten Inseln beigetragen hat, und ob es ähnliche Gründe auch bei nicht-kolonialisierten Ländern gibt, die sich ähnlich entwickelt haben. Die Windrichtung und die Kolonialgeschichte ist also nur das empirische Labor für das, was die Forscher eigentlich interessiert: Welche Institutionen führen zum Erfolg?
Aus einer solchen Perspektive betrachtet ist diese empirische Forschungsrichtung in erster Linie eine institutionenökonomische, und erst an zweiter Stelle eine historische. Denn aus der Geschichte lernen heißt in der VWL, Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, die auch heute und anderswo gelten: wie organisiert (ordnet?) man eine Wirtschaft, damit sie erfolgreich wird? Die Geschichte ist daher ein hoch interessantes Mittel zum Zweck.
Christian Odendahl promoviert an der Universität Stockholm und schreibt gelegentlich bei Free Exchange|The Economist.
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