Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Welche Ökonomen sind in der Krise nützlich?

Michael Hüther, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, hat den Universitätsökonomen vorgeworfen, im Unterschied zu Ökonomen aus Banken und Instituten wenig brauchbare Vorschläge in der Euro-Krise unterbreitet zu haben. Eine Antwort von Gerald Braunberger.

Michael Hüther, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, hat den Universitätsökonomen vorgeworfen, im Unterschied zu Ökonomen aus Banken und Instituten wenig brauchbare Vorschläge in der Euro-Krise unterbreitet zu haben. Hüther macht hierfür eine zu theoretische Ausrichtung der modernen Volkswirtschaftslehre verantwortlich. Darauf aufbauend kritisiert er die Geringschätzung, die junge Ökonomen gegenüber den Altvorderen empfinden. Hüthers These ist kaum haltbar – vor allem, wenn man die Euro-Krise als eine Ausprägung einer größeren Krise versteht, die im Jahre 2007 ausgebrochen ist. Vielmehr arbeiten Ökonomen unterschiedlicher Provenienz häufig fruchtbar zusammen.

Von Gerald Braunberger

Als Wirtschafts- und Finanzjournalist betreibe ich weder ökonomische Forschung noch verfasse oder unterschreibe ich Manifeste von Ökonomen. Aber ich bin permanenter “Konsument” ökonomischen Wissens, das ich in meinen Beiträgen in F.A.Z.,F.A.S. und hier in FAZIT verwende. Selbstverständlich ist es mir unmöglich, alle Arbeiten von Ökonomen zu lesen. Im Nachfolgenden sei eine keineswegs vollständige Auswahl der von mir verwendeten Arbeiten angeführt, die unterschiedliche Aspekte der im Jahre 2007 ausgebrochenen Krise behandeln. Ich fasse den Begriff “Krise” somit weiter als Hüther – insofern ist dieser Beitrag weniger als eine explizite Widerlegung von Hüther gedacht, sondern eher als eine Ergänzung.

1. Regulierungsfragen

Mit dem Ausbruch der Krise hat die Frage an Bedeutung gewonnen, wie Finanzmärkte und ihre Teilnehmer besser zu regulieren seien. Aus der Fülle der Vorschläge wenige Beispiele mit einer kurzen Erwähnung ihrer Verfasser:

Der Hyun Song Shin Geneva Report von 2009. Von den Verfassern sind Markus Brunnermeier und Hyun Song Shin (Foto: Archiv) Professoren in Princeton, Charles Goodhart in London. Brunnermeier ist ein junger Ökonom, Shin in mittleren Jahren und Goodhart – mit allem gebührenden Respekt – ein “Veteran”. Hat ihre zweifellos vorhandene theoretische Kompetenz diese Professoren davon abgehalten, diskussionswürdige Vorschläge zu politischen Fragen zu entwickeln? Zu den Autoren zählten ferner Andrew Crockett von der amerikanischen Großbank JP Morgan Chase (früher war er bei der BIZ) und Avinash D. Persaud von der Londoner Beratungsfirma Intelligence Capital Limited (außerdem ist Persaud Professor emeritus). In dieser Studie erwähnte Regulierungsthemen sind auch heute noch relevant.

Die Issing-Kommission. Otmar Issing ist Berater von Goldman Sachs, war Chefvolkswirt der Bundesbank und der EZB und zuvor Professor in Würzburg und Mitglied des Sachverständigenrats. Jan Krahnen ist Professor am House of Finance der Goethe-Universität. William White war Chefvolkswirt der BIZ, Klaus Regling leitet den EFSF.

Martin Hellwig und Beatrice Weder di Mauro. Martin Hellwig leitet das Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn; zuvor war er viele Jahre Professor; zudem Vorsitzender der Monopolkommission. Beatrice Weder di Mauro ist Professorin in Mainz; sie gehörte früher dem Sachverständigenrat an. Beide haben ausgiebig zu Regulierungsfragen publiziert. Hellwig hat zudem für seine Forschungen zur Regulierung von Finanzmärkten gerade erst einen sehr hochrangigen und hochdotierten Preis erhalten.

2. Geldpolitik und Makroökonomik

Die Krise hat Zweifel an der ehemals domierenden Theorie der direkten Inflationssteuerung in der Geldpolitik aufkommen lassen; zudem wird eine Makroökonomik kritisiert, in der der Finanzsektor nur eine geringe Rolle spielt.

Rethinking Central Banking. Eine Studi Beatrice Weder di Mauro - Foto: dpae von einem guten Dutzend Autoren. Die Mehrheit sind Professoren, darunter Barry Eichengreen, Raghuram Rajan, Dani Rodrik, Kenneth Rogoff und Beatrice Weder di Mauro (Foto: dpa). Mohamed El-Erian ist einer der Leiter der Fondsgesellschaft Pimco. Die internationalen Folgen der Geldpolitik in großen Währungsräumen wie Europa und Amerika müssen beobachtet und analysiert werden. Ökonomen müssen auch in der Krise über den Tellerrand hinausblicken: Eurozentrisches Denken ist vielleicht nachvollziehbar, aber unvollständig.

Die Wiederkehr von Geld und Kredit. Die Analyse monetärer Größen im Zusammenspiel von Geldpolitik, Banken und Finanzmärkten wird wieder intensiv studiert, darunter von Hyun Song Shin und Tobias Adrian. Shin ist Professor in Princeton, Adrian Ökonom bei der Federal Reserve Bank of New York. Ist die Zwei-Säulen-Strategie der EZB vielleicht doch brauchbarer, als viele Kritiker meinen?

NGDP-Targeting. Das alte Konzept der Steuerung des nominalen BIP durch die Zentralbank wurde wiederentdeckt und vor allem über Blogs verbreitet durch akademische Ökonomen wie Scott Sumner.

Geldpolitik an der Nullzinsgrenze. Mit diesem Thema befassen sich jede Menge akademischer Ökonomen; mittlerweile gibt es empirische Arbeiten der Wirkungen von “Quantitative Easing” aus mehreren Zentralbanken. Das Thema ist auch für die EZB relevant.

Die Wiederkehr der Finanzpolitik (hier und hier). Ob expansive Finanzpolitik in Krisen helfen kann, wird kontrovers diskutiert. Aus der reichen Literatur zwei Beispiele: Während Taylor, Wieland & Co. eher skeptisch sind, sind de Long und Summers optimistisch. In der Eurozone wird Finanzpolitik derzeit vor allem unter dem Gesichtspunkt der Austerität diskutiert (siehe unten).

3. Euro-Krise

Auch hierzu ist eine unübersehbare Menge an Papier beschrieben worden.

Austeritätspolitik in Krisenländern. Gerade hierzu haben sich akademische Ökonomen ausgiebig geäußert; ein aus diesen Debatten erschienenes E-Book habe ich kürzlich in diesem Blog vorgestellt.

– Vergemeinschaftung von Staatsschulden/Eurobonds. Ein Modethema mit sehr unterschiedlichen Beiträgern. Das Grundkonzept der “roten” und “blauen” Bonds geht wohl auf das Bruegel-Institut in Brüssel zurück. Das Konzept eines Europäischen Währungsfonds wurde von Thomas Mayer (damals Chefvolkswirt der Deutschen Bank) und Daniel Gros (CEPS Brüssel) entwickelt. Markus Brunnermeier, Professor in Princeton, hat die ESBies beigesteuert. Christian Hellwig (Toulouse School of Economics) und Thomas Phillipon (New York University) empfehlen “Euro-Bills”. Last not least stammt vom deutschen Sachverständigenrat der Vorschlag eines Schuldentilgungspakts. Inwieweit diese Vorschläge “brauchbar” im Sinne Hüthers sind, ist sicherlich umstritten. Aber es kann nicht schlecht sein, wenn kompetente Ökonomen sich mit solchen Ideen und ihren Vor-und Nachteilen befassen – auch wenn man sie danach als “unbrauchbar” verwerfen sollte.

– Die Target-Debatte sei auch erwähnt: Das Thema der Bundesbanksalden wurde entdeckt von Helmut Schlesinger, dem Ex-Präsidenten der Bundesbank, der Hans-Werner Sinn (Ifo-Institut und Universität München) um Rat fragte. Sinn arbeitete das Thema aus, wobei sich an der Debatte zahlreiche Ökonomen aus Banken, Zentralbanken, Universitäten und Instituten beteiligten.

– Unterschiedliche Ansichten gibt es zu Anleihekäufen durch die EZB. Befürworter findet man unter Bankökonomen wie Joachim Fels (Morgan Stanley) und Holger Schmieding (Berenberg-Bank). Jörg Krämer (Commerzbank) und Michael Heise (Allianz) sind eher dagegen.Thomas Mayer hat sich abwechselnd für solche Käufe durch die EZB ausgesprochen, bei anderer Gelegenheit aber gegen solche Käufe durch die EZB optiert. Stattdessen soll der ESM die Käufe vornehmen und sich dafür bei der EZB refinanzieren können. Gerade bei Bankökonomen findet man in dieser wichtigen Frage die unterschiedlichsten Ansichten. Kritische Stellungnahmen habe ich unter anderem auch von dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats Wolfgang Franz und von Ansgar Belke (Universität Duisburg-Essen) gefunden. Zu diesem Thema haben sich mit Sicherheit auch viele andere Ökonomen geäußert, aber gibt es dazu neben Stellungnahmen auch wissenschaftliche Papiere? Übrigens hat sich Hüther kritisch gegenüber den Käufen geäußert.

 

Wie gesagt: Die Auswahl ist notwendigerweise unvollständig – unbedingt erwähnt werden sollten noch die Studien und Konferenzberichte aus der BIZ, für die  BIZ-Ökonomen und akademische Ökonomen schreiben. Es scheint aber eindeutig, dass in dieser Krise Ökonomen sehr unterschiedlicher Herkunft und aus unterschiedlichen Generationen an relevanten Themen arbeiten – zum Teil gemeinsam und sicherlich nicht immer ohne nachprüfbare Resultate.

Michael Hüther schreibt: “Ich würde meinem Sohn nie empfehlen, heute noch VWL zu studieren.” Meine Tochter möchte nach ihrem gerade mit Bravour bestandenen Abitur an der Goethe Universität in Frankfurt Ökonomie studieren. Ich habe ihr zugeraten.

 

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