Die Volkswirte-Vereinigung beschließt einen Ethikkodex, um Skandale wie in Amerika zu vermeiden
Von Philip Plickert
Die führenden Ökonomen im deutschsprachigen Raum wollen einen Ethikkodex beschließen, um durch Transparenzregeln mögliche Interessenkonflikte aufzudecken und die Objektivität der Wissenschaft zu sichern. Das ist eine Kernforderung eines neuen „Kodex des guten wissenschaftlichen Verhaltens für Ökonomen”, über den die rund 3800 Mitglieder des Vereins für Socialpolitik (VfS) bis zum 5. September vor ihrer Jahrestagung in Göttingen abstimmen. Künftig sollen Wirtschaftswissenschaftler, wenn sie Studien veröffentlichen, „alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen, Infrastruktureinrichtungen und sonstigen externen Unterstützungen in Form einer Fußnote oder einer ausführlichen Dokumentation auf der Webseite des Autors” angeben, heißt es im Kodex-Entwurf, der dieser Zeitung vorliegt. Der traditionsreiche Verein für Socialpolitik ist die größte und wichtigste Organisation der akademischen Volkswirte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihm gehören 1500 Wirtschaftsprofessoren an, zudem mehr als 2000 Nachwuchswissenschaftler.
Professor Wall Street
Die deutschsprachige Ökonomenzunft folgt damit dem Beispiel der American Economic Association, die sich Anfang des Jahres einen Ethikkodex gegeben hat . Hintergrund waren schwere Vorwürfe – etwa in dem Film „Inside Job” über die Finanzkrise -, dass namhafte Professoren sehr hohe Honorare von Banken, Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden erhalten hatten und zugleich die Gesetzgeber in Regulierungsfragen beraten oder sich öffentlich dazu geäußert hatten (Siehe: “Professor Wall Street”). Der bekannte Columbia-Professor Frederic Mishkin etwa hatte einen sehr lobenden Artikel über das (später kollabierte) isländische Finanzsystem geschrieben und dafür 124000 Dollar von der isländischen Handelskammer erhalten – ohne dass die Leser dies erfuhren. Der Harvard-Professor und zeitweise Finanzminister Larry Summers, der entscheidend die Deregulierung des Finanzsektors vorantrieb, verdiente als Geschäftsführer und Berater von Hedgefonds eine zweistellige Millionensumme. Nach den AEA-Statuten muss künftig jeder Wissenschaftler offenbaren, ob er in den vergangenen drei Jahren Berater oder Gutachter für interessengeleiteten Organisationen war und dabei mehr als 10000 Dollar Honorar erhielt.
„In wissenschaftlichen Arbeiten sind Sachverhalte zu benennen, die auch nur potentiell zu Interessenkonflikten oder Befangenheit des Autors/der Autorin führen könnten”, heißt es nun im Ethikkodex der deutschsprachigen Volkswirte. Allerdings ist aus Deutschland kein einziger auch nur annähernd vergleichbarer Fall eines „akademischen Großverdieners” bekannt. Das Problem sei „in Deutschland von der Größenordnung nicht vergleichbar mit den Vereinigten Staaten, wo Wirtschaftsprofessoren wichtige Regierungspositionen einnehmen und sehr viel öfter als Unternehmer und Industrieberater tätig sind”, sagte der frühere VfS-Vorsitzende Lars-Hendrik Röller, jetzt Chefberater der Kanzlerin, der vor anderthalb Jahren den Anstoß zu dem deutschen Kodex gegeben hat. Ausgearbeitet wurde der jetzt zur Abstimmung stehende Entwurf von einer achtköpfigen Kommission unter dem Vorsitz des aktuellen VfS-Vorsitzenden Michael Burda, der an der Humboldt-Universität lehrt (Foto) .
Karriereknick bei Rüge
Weitere Punkte im Kodex sind strengere Vorgaben, um die Forschung transparenter zu machen: Beispielsweise sollen die Ökonomen ihre Datensätze öffentlich machen, um die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen. Auch sollen sie sämtliche Quellen angeben. Eine Studie von Lars Feld, Sarah Necker und Bruno Frey, die auf einer großen Umfrage unter europäischen Ökonomen basierte, ergab jüngst, dass es unter akademischen Volkswirten gelegentlich auch Schummeleien gibt. Mehr als ein Fünftel der Befragten gab „fragwürdige wissenschaftliche Praktiken” zu. Dazu zählen eine voreingenommene Forschung, die nur bestimmte Arbeiten zitiert, eine selektive Auswahl von Daten oder Ergebnissen, die ins Konzept oder in die Weltanschauung passen, oder die berüchtigte Salamitaktik beim Veröffentlichen. „Wissenschaftliche Gutachten sind unvoreingenommen und ergebnisoffen zu erstellen. Das Ergebnis der Analyse soll von der Interessenlage des Auftraggebers unbeeinflusst sein”, heißt es nun im Ethikkodex-Entwurf des VfS. Auch andere wissenschaftliche Disziplinen, etwa die Mediziner und Politologen und sogar Soziologen, haben sich in den vergangenen Jahren Ethikkodizes gegeben.
Im Verein für Socialpolitik wird mit einer großen Zustimmung zu dem Regelwerk gerechnet. Bei einer Befragung der Mitglieder im Juni war das Echo überwiegend sehr positiv. Einige wollten sogar noch weiter gehen und forderten die Einsetzung eines regelrechten Standesgerichts. Andere warnten aber auch vor einer zu überbordenden Regulierung. Der Kodex benennt keine Sanktionen gegen Verstöße, sieht aber die Einrichtung einer Ethikkommission und die Wahl einer „Vertrauensperson” vor, die in Konfliktfällen vermitteln soll. Damit sei der Kodex kein Papiertiger, betont etwa der Linzer Ökonom Friedrich Schneider, ein früherer VfS-Vorsitzender. Wenn die Kommission Maßnahmen beschließe, dann sei das gravierend für die Betroffenen. „Wenn der Ruf, der Kapitalstock, eines Wissenschaftlers beschädigt wird, schadet ihm das enorm”, sagte Schneider dieser Zeitung. „Eine Rüge von der neu gegründeten Ethikkommission wäre vermutlich für die meisten Kolleginnen und Kollegen mit einem gewissen Karriereknick verbunden”, sagt auch Walter Krämer, der einer der Herausgeber der VfS-Zeitschrift ist. Der Kodex setze Richtlinien für wissenschaftliches Verhalten. Allerdings, fügte Schneider hinzu, werde sich erst in drei bis fünf Jahren weisen, wie gut und wirkungsvoll der Kodex sei.
Potente Geldgeber
Dass potente Geldgeber in der wissenschaftlichen Forschung eine erhebliche Rolle spielen können, zeigt aktuell das Beispiel des „Institute for New Economic Thinking”. Der legendäre Investor und Spekulant George Soros, der politisch auf der linken Seite steht, finanziert das in London ansässige Institut mit 50 Millionen Dollar, einer seiner früheren Hedgefonds-Manager, Robert Johnson, leitet es. Auffällig ist die keynesianische Grundtendenz des INET und der Angriff auf die bislang dominierende neoklassische Ökonomik samt der Figur des „Homo oeconomicus”. Jüngst tat sich das INET in der Euro-Krise mit einem dramatischen Appell zur Einrichtung eines gemeinschaftlichen Schuldentilgungsfonds hervor, den 17 renommierte Ökonomen aus Europa unterzeichneten.
Hierzulande ist seit Jahren die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft aktiv. Sie beauftragt namhafte Professoren mit Gutachten und schaltet Werbekampagnen für die marktwirtschaftliche Ordnung. Dabei wird aber nicht groß publik gemacht, dass sie hauptsächlich vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanziert wird. Dass Wissenschaft auch private Geldquellen erschließen muss, finden die führenden VfS-Ökonomen nicht verwerflich – nur fordern sie Transparenz, damit die Öffentlichkeit voll informiert ist.