Keep it simple! Der britische Regulierer Andrew Haldane empfiehlt auf der Notenbankkonferenz in Jackson Hole, es mit der Regulierung der Finanzmärkte nicht zu übertreiben. Diese Rede kann man Politikern, Regulierern und Bankern nicht genug zur Lektüre empfehlen.
Von Patrick Welter, Washington
Weniger ist mehr! Diese Warnung, ausgesprochen auf der Notenbankerkonferenz in Jackson Hole, bezog sich nicht auf die aggressive Geldpolitik der Federal Reserve. Stein des Anstoßes ist vielmehr die Flut an Regulierungen, die schon zuvor und seit der Finanzkrise erst recht auf die Finanzwirtschaft und die Regulierer herunterprasseln. Der Autor der Rede mit dem Titel „Der Hund und die Frisbeescheibe“: Andrew Haldane, Direktor für Finanzstabilität der Bank von England.
Haldanes Kritik an der Regulierungsfülle ist nicht die Kritik der Bankenlobby, die die Kosten der Regulierung scheut und ablehnt. Es ist die Kritik des Regulierers, der fürchtet, dass die Regulierungsflut eine falsche Sicherheit vorgaukelt, dass Regulierer und Gesetzgeber sich etwas vormachen, wenn sie glauben, mit immer mehr Vorgaben und Reguliereren und immer detaillierteren Vorschriften die Risiken in den Griff zu bekommen.
Die Warnungen des klugen britischen Regulierers, der einen gewissen Star-Status erlangt hat, sind fundamental. So wie man Feuer nicht mit Feuer bekämpfe, lasse sich die Komplexität der Finanzwelt nicht mit Komplexität bekämpfen, sagt Haldane. Man kann die Rede Politikern, Regulierern und Bankern nicht genug zur Lektüre empfehlen. Tief greift der Brite in die Kiste der „Behavioral Economics”, es geht um statistische Anforderungen und um die Grenzen des menschlichen Verstands – und damit um die Grenzen der Finanzmarktregulierung. All das fasst der Regulierer in „Fünf Geboten” der Entscheidungsfindung unter echter Unsicherheit zusammen – und alle führen zum Schluss: Keep it simple!
1. Die Kosten (und die Unmöglichkeit) der Erkenntnis.
Schachgroßmeister könnten nicht mehr als fünf Züge im Voraus komplett bewerten, schreibt Hardane. Die größten Computer könnten nicht mehr als zehn Züge im Voraus berechnen. Schach ist im Vergleich zur fundamentalen Unsicherheit an den Finanzmärkten aber noch ein einfaches Spiel.
2. Unwissenheit kann ein Segen sein.
Je mehr Informationen zu verarbeiten sind, desto schwieriger wird es, die richtigen und wichtigen Signale zu erkennen. Je komplexer das Umfeld, desto gefährlicher seien komplexe Kontrollversuche, schreibt Hardane. Einfache Regel der Entscheidung oder der Vorhersage können deshalb komplexen Regeln überlegen sein.
3. Risikogewichtung mag vergeblich sein.
Der Versuch, Risiken Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen, muss in einer Welt scheitern, die sich durch eine fundamentale Unsicherheit auszeichnet. Die in der Finanzwelt und unter Regulierern beliebten Bemühungen, Entscheidungen und Auflagen von einer Risikogewichtung abhängig zu machen, gehen damit schnell ins Leere. Die einfache Regel, alle Risiken gleich zu bewerten, könne sich als überlegen erweisen.
4. Kleine Stichproben und einfache Regeln.
Damit statistische Wahrscheinlichkeitsmodelle gute und zuverlässige Aussagen ermöglichen, muss die Zahl der Beobachtungen hinreichend groß sein. Ist sie es nicht, sind einfache Regeln oft überlegen. Diese Anforderung wird größer, wenn die Zahl der statistisch zu bestimmenden Werte wächst. Haldane betont, die Risikomodelle der Finanzwelt seien mittlerweile so umfangreich, dass sie Datensätze von 400 bis 1000 Jahren voraussetzen, um zu verlässlichen Aussagen zu gelangen. Selbst die älteste Bank der Welt, die 1472 gegründete italienische Monte dei Paschi of Siena, kann solche Bedingungen nicht erfüllen.
5. Komplexe Regeln und defensives Verhalten.
Haldane warnt, dass komplexe Regeln oder Auflagen die Menschen dazu verführen, sich zu eng daran zu halten, um nur keinen Fehler zu machen. Die Menschen handeln defensiv, fokussieren auf das Kleingedruckte und übersehen das Gesamtbild. Das ist die Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Auch hier lautet der Schluss: Einfachere Regeln und mehr Entscheidungsspielraum erfahrener Regulierer sind komplexen Vorschriften vorzuziehen.
Die Aufblähung der Finanzregulierung weist in eine andere Richtung. Hardane spricht von einem „Turmbau zu Basel”. Die ursprünglichen Eigenkapitalregeln des Basler Bankenausschusses hatten 30 Seiten, Basel II hatte 347 Seiten, das 2010 beschlossene Basel-III-Werk umfasst 616 Seiten. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, folgt doch die Umsetzung der Vorschriften in nationales Recht. Die Vereinigten Staaten brauchten dafür bei Basel I gerade mal 18 Seiten, für Basel III waren mehr als 1000 Seiten fällig.
Ähnlich ausufernd haben sich die nationalen Versuche entwickelt, Finanzkrisen regulierend zu verhindern. Das Glass-Steagall-Act, mit dem die Vereinigten Staaten 1933 die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken festschrieben, hatte 37 Seiten. Die Antwort der amerikanischen Politik auf die Finanzkrise, das Dodd-Frank-Act von 2010, umfasst 848 Seiten. Die Umsetzung der grob gesetzten Regeln in Detailvorschriften umfasst derzeit mehr als 8843 Seiten – und dabei sind erst ein Drittel der notwendigen Regeln ausgearbeitet. Haldane schätzt, dass es letztlich rund 30.000 Seiten neuer Vorschriften werden.
Europa ist da nicht besser dran. Die bisherige legislative Antwort auf die Krise umfasse rund 2000 Seiten, notiert Haldane. Im Endstadium dürften es mehr als 60.000 Seiten werden. „Dodd-Frank sieht da wie eine Aufwärmübung auf.” Zehntausende neuer Mitarbeiter in Banken und Aufsichtsbehörden werden nach Analysen notwendig sein, um dieses Regelwerke anzuwenden. Noch vor wenigen Jahrzehnten mussten Banken nur eine Handvoll von Kennzahlen berechnen, heute sind es Millionen von Risikoparametern – unter fragwürdigen Annahmen. Haldane spottet, dass zum Glück Tabellenkalkulationen wie Excel weiterentwickelt wurden.
Lohnt sich das alles, macht es die Finanzwelt sicherer? Haldane fürchtet, dass die Antwort Nein laute.
Was aber hat all das mit Hunden und Frisbeescheiben zu tun, dem Titel der Rede? Der britische Regulierer zitiert Untersuchungen, nach denen Hunde, wenn sie Frisbeescheiben fangen, einer einfachen Regel folgen: Laufe genau mit dem Tempo, dass der Blickwinkel auf die Frisbeescheibe immer gleich bleibt!
Sein Schluss: Wenn die heutigen Regulierer versuchten, die Krisen von morgen mit den Instrumenten von gestern zu lösen, sei das so, als wenn man einem Collie auftrüge, vor dem Fang einer Frisbeescheibe erst die Newtonschen Gesetze der Schwerkraft anzuwenden. In diesem Sinne: Keep it simple!
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