Eine Finanzkrise führt zu erheblichen Umverteilungen. Die Geldpolitik verteilt als Reaktion auf die Krise mit Zinssenkungen und Anleihekäufen ebenfalls Vermögen und Risiken um und wird so zum Versicherer gegen ökonomische Großrisiken. Dies mag kurzfristig Vorteile haben, provoziert aber mittel- und langfristig Moral Hazard. Markus Brunnermeier und Juliy Sannikov meinen, dass die Geldpolitik mit dieser Rolle nicht gut aufgehoben ist. Und dass die Grenzen zwischen Geldpolitik, Finanzpolitik und Aufsicht in einer solchen Krise löchrig werden.
Von Gerald Braunberger
Zentralbanken müssen gerade in schweren Krisen auch die Folgen ihrer Politik für die Umverteilung von Vermögen und Risiken betrachten. Darauf haben die beiden Princeton-Ökonomen Markus Brunnermeier und Yuliy Sannikow in einem Papier für die Konferenz in Jackson Hole hingewiesen (hier ist eine Kurzfassung). Für Leser, die sich für aktuelle Forschung interessieren: Das Jackson-Hole-Paper baut auf der “I Theory of Money” der beiden Autoren auf.
Ihr Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass eine Finanzkrise mit einer Umverteilung von Vermögen zwischen den einzelnen Sektoren einer Wirtschaft einhergeht. So sind die Banken von der aktuellen Krise schwerer getroffen als die Industrie. Untersuchungen der japanischen Krise seit den neunziger Jahren zeigen, dass dort die Unternehmen ihre Schulden stärker reduziert haben als die privaten Haushalte. In den Vereinigten Staaten reduzieren in der aktuellen Krise umgekehrt in erster Linie die privaten Haushalte ihre Schulden, aber weniger die Unternehmen. Aber auch die Regierung trägt zur Umverteilung bei, wenn sie private Schulden, etwa von Banken, auf Rechnung des Staates nimmt.
Mit ihrer Geldpolitik erzeugen Zentralbanken in der Krise selbst Umverteilungen vielerlei Art. Leitzinssenkungen helfen unmittelbar vor allem Banken, die in der Krise besonders leiden. Zinssenkungen beeinflussen ebenso wie Käufe von Anleihen die Preise von Wertpapieren und erzeugen damit weitere Umverteilungen. Die Folgen einer Veränderung von Renditestrukturkurven sind kompliziert und nicht einmal innerhalb der Finanzbranche identisch: Lebensversicherungen und Pensionsfonds sind stärker auf langfristige Anleihen spezialisiert als Banken.
Umverteilt werden nicht nur Vermögen, sondern auch Risiken. Kaufen Zentralbanken Staatsanleihen, reduzieren sie das Risiko der vorherigen Besitzer. Einmal im Besitz der Zentralbanken, werden die Staatsanleihen zum Risiko für alle Steuerzahler. Das gilt auch für die Hereinnahme bonitätsschwacher Sicherheiten als Pfand für Kredite an Banken. Indem man erwartet, dass die Zentralbanken durch Zinssenkungen und Anleihekäufe Staatsbankrotte und Zusammenbrüche des Finanzsystems vermeiden helfen, werden sie im Verständnis von Brunnermeier und Sannikov eine Art Versicherer gegen Großrisiken.
Eine solche Rolle ist nicht nur vorteilhaft zu sehen, auch wenn sie das Gesamtrisiko zumindest auf kurze Sicht reduziert und das verbleibende Risiko breiter streut. Sie ist vor allem auf mittlere und längere Sicht nicht unproblematisch, weil Versicherungen anfällig gegen Versuche sind, von anderen ausgenutzt zu werden („moral hazard”).
Damit einher geht, dass die traditionelle Trennung von Geldpolitik, Finanzpolitik und Aufsicht in einer solchen Krise de facto verschwindet. Zum Beispiel so: “Price stability and financial stability are closely interlinked. This discredits the view that monetary policy’s primary objective is price stability and that financial stability should be achieved with independently operated prudential instruments and banking regulation. Monetary policy affects balance sheets throw asset prices and flow payments and hece has direct effects on financial stability.”
Ein Beispiel für den Zusammenhang von Geldpolitik und Finanzpolitik entsteht, wenn Regierungen Zentralbanken zum Kauf von Staatsanleihen mit der Begründung bedrängen, andernfalls drohe ein Staatsbankrott mit völlig unabsehbaren Folgen. (Das ist im Moment die Strategie der spanischen Regierung.) Streiten sich Geldpolitik und Finanzpolitik lange Zeit über das richtige Verhalten, kann sich in der Wirtschaft eine schädliche Verunsicherung ausbreiten. Eine Zentralbank kann aber nicht nur von der Regierung “gecornered” werden, sondern auch von systemisch relevanten Banken.
Wenn ein bedeutender Teil der Staatsschuld von Banken gehalten wird und mit dem Staat auch das Banksystem zahlungsunfähig werden könnte, sitzen Geldpolitik, Finanzpolitik und Aufsicht in einem Boot. Im Sinne einer langfristigen Glaubwürdigkeit der Geldpolitik empfehlen Brunnermeier und Sannikov Zentralbanken möglichst große Zurückhaltung beim Versuch, als eine Art Versicherer aufzutreten und sich anfällig für moralisches Fehlverhalten anderer zu machen. Daraus folgt nicht, dass Brunnermeier der Auffassung wäre, in der aktuellen Krise in Europa sollte man die Hände in den Schoß legen. Als einer der Schöpfer der ESBies sieht er aber mehr die Finanzpolitik als die Geldpolitik in der Pflicht.
Die Verteilungswirkungen der Geldpolitik werden seit einiger Zeit öffentlich vor allem in Großbritannien kontrovers im Zusammenhang mit den umfangreichen Käufen von Staatsanleihen durch die Bank of England diskutiert. Die Bank selbst argumentiert auf der Basis von Modellrechnungen, ihre Anleihekäufe der vergangenen Jahre hätten einen stärkeren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 500 bis 800 Pfund für jeden Bürger verhindert und seien damit insgesamt für das Land erfolgreich gewesen.
Aber auch die Bank of England räumt ein, dass es daneben zu Umverteilungen gekommen ist. So seien die Kurse vieler Wertpapiere gestiegen. Lässt man Pensionsfonds aus der Analyse für einen Moment heraus, ergibt sich, dass 40 Prozent dieser Wertpapiere nur von 5 Prozent der privaten Haushalte gehalten werden. Man kann hierin eine Umverteilung zugunsten der vermögenderen Schichten der Bevölkerung erkennen. Aber auch mit Blick auf die Folgen für die Pensionskassen und ihre Kunden ist diese Geldpolitik nicht verteilungsneutral.
Naheliegende Frage zum Schluss: Wie kann man auf der Basis dieser Erkenntnisse vermeiden, überhaupt in den Schlamassel einer Finanzkrise zu kommen? Den Versuch einer Antwort lesen Sie in Kürze an dieser Stelle.
Dieser Artikel ist eine erweiterte Version eines Beitrags, der am 3. September 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erscheint.