Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Kinder sind keine Gummibärchen

Warum und wie außerfamiliäre Kinderbetreuung subventioniert werden sollte. Und warum und wie Deutschland von Skandinavien lernen könnte. Ein Gastbeitrag von David Domeij, Paul Klein und Almut Balleer

Warum und wie außerfamiliäre Kinderbetreuung subventioniert werden sollte. Und warum und wie Deutschland von Skandinavien lernen könnte. Ein Gastbeitrag.

Von David Domeij, Paul Klein und Almut Balleer *)

 

In den nordischen Ländern wird außerfamiliäre Kinderbetreuung für Klein‐ und Kleinstkinder stark subventioniert. In Schweden zum Beispiel gibt es einen Rechtsanspruch auf 525 Stunden kostenlose Kinderbetreuung im Jahr für alle Kinder zwischen 3 und 5 Jahren. Diese Kinderbetreuung wird prinzipiell durch die Gemeinden bereitgestellt, es gibt aber häufig auch die Möglichkeit, im Zuge eines Gutscheinsystems zwischen öffentlicher und privater Kinderbetreuung zu wählen. Über die 525 Stunden hinaus ist Kinderbetreuung zwar nicht umsonst, aber immer noch sehr stark subventioniert. So tragen Eltern insgesamt nur etwa 10 Prozent der tatsächlichen Kosten. Während in Schweden rund 75 Prozent aller Kinder zwischen 1‐5 Jahren gewöhnlich den ganzen Tag in einer Kinderbetreuungseinrichtung verbringen, werden in Deutschland weniger als 60 Prozent der Kleinkinder außerfamiliär betreut, und das meist auch nur für ein paar Stunden. Da überrascht es nicht, dass im Jahr 2004 in Deutschland deutlich weniger Mütter mit Kindern unter 6 Jahren arbeiteten als in Schweden (58 Prozent im Vergleich zu 78 Prozent).

Vor dem Hintergrund der anstehenden politischen Entscheidung zum Betreuungsgeld sowie dem 2013 in Kraft tretenden gesetzlichen Anspruch auf einen außerfamiliären Kinderbetreuungsplatz stehen das ob und wie staatlich subventionierter Kinderbetreuung im Zentrum der aktuellen familienpolitischen Debatte. Während die Debatte in Deutschland geprägt ist von den familienpolitischen Ausrichtungen der verschiedenen Parteien, lohnt die Frage nach den ökonomischen Gründen, Kinderbetreuung zu subventionieren. Auf den ersten Blick erscheinen derartige Subventionen ökonomisch wenig sinnvoll, denn das zentrale Argument für freie Märkte lautet, dass ein Markt im Allgemeinen am besten funktioniert, wenn Preise den tatsächlichen Kosten entsprechen.

Wenn ich im Verhältnis zu den volkswirtschaftlichen Kosten zahle und im Verhältnis zu meinem volkswirtschaftlichen Beitrag entlohnt werde, dann habe ich einen Anreiz, genau das zu tun, was für alle Mitglieder der Gemeinschaft am besten ist. Stimmen diese Verhältnisse nicht, kommt es zu Verzerrungen und Externalitäten. Falls zum Beispiel meine Fabrik die Luft verschmutzt und ich dafür nicht zahlen muss, dann stehen meine Gewinne nicht im Verhältnis zu meinem volkswirtschaftlichen Nettobeitrag und ich werde mehr produzieren als für die Gesellschaft insgesamt am besten wäre. Gute Wirtschaftspolitik sollte daher bestehende Verzerrungen abbauen, oder zumindest keine neuen generieren.

Nun verlockt es, aufgrund dieses allgemeinen Grundsatzes zu argumentieren, dass Eltern die tatsächlichen, nicht subventionierten Kosten von Kinderbetreuung übernehmen sollten. Denn genau wie Gummibärchen nicht subventioniert werden, sollte auch Kinderbetreuung nicht subventioniert werden. Aber kann man den Genuss von Gummibärchen mit Elternschaft vergleichen? Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in den reichen westlichen Ländern ist es durchaus sinnvoll, Familien mit kleinen Kindern zu unterstützen.

 In Deutschland, mit einer Fertilitätsrate von 1,36 Kindern pro Frau, werden für eine sehr lange Zeit relativ wenige junge Arbeitnehmer relativ viele Rentner und Pensionäre unterstützen müssen, mit erheblichen Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Sollte sich die Fertilitätsrate nicht erholen, wird in der fernen Zukunft Deutschlands Bevölkerung sogar schrumpfen und verschwinden. Durch diese positiven Externalitäten von Nachwuchs auf die Gesellschaft sind daher Gummibärchen und Elternschaft nicht direkt vergleichbar.

Aber auch wenn der Staat generell junge Familien unterstützen sollte, wird häufig argumentiert, dass dies nicht notwendigerweise eine Subvention außerfamiliärer Kinderbetreuung impliziert. Sollte man nicht stattdessen den jungen Familien direkt Geld geben, damit sie es nach Bedarf und Geschmack ausgeben können? Warum sollte man Eltern subventionieren, die außerfamiliäre Kinderbetreuung nutzen, wenn sie stattdessen ihre Kinder auch zu Hause betreuen könnten? Schließlich sind sie die Experten und wissen am besten, was gut für ihr Kind ist. Sollten Eltern auf einem freien Markt nicht gerade selbst entscheiden können? Ist der Grund für freie Märkte nicht gerade der, dass sie frei sind, und dass mehr Freiheit dazu führt, dass die Volkswirtschaft die Bedürfnisse ihrer Mitglieder effizienter befriedigen kann?

Diese Argumentation ist genau falsch. Ginge es bei freien Märkten um Freiheit, wären Gummibärchen kostenlos. Aber das sind sie nicht, und sollten es nicht sein. Ein gut funktionierendes Marktsystem ist eben kein System unbeschränkter Freiheit, sondern ein System, in dem die Mitglieder der Gesellschaft die richtigen Anreize haben. Es ist natürlich nicht verwerflich, als Mutter zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Aber im Vergleich zu arbeitenden Eltern leisten Eltern, die zu Hause bleiben, keinen volkswirtschaftlichen Beitrag durch ihre Arbeitskraft und Steuerzahlungen. In einer effizienten Volkswirtschaft sollten sie daher die dadurch entstehenden Kosten selbst tragen.

Während es also ökonomisch nicht sinnvoll ist, Kinderbetreuung nicht‐arbeitender Eltern zu subventionieren, heißt das deswegen nicht automatisch, dass Kinderbetreuung für arbeitende Eltern subventioniert werden sollte. Um das zu verstehen gilt es zunächst festzustellen, dass eine ideale Volkswirtschaft, in der alle Preise ihren tatsächlichen (Grenz‐)kosten und alle Einkommen exakt ihren volkswirtschaftlichen Beiträgen entsprechen nicht erreichbar ist. Jede Volkswirtschaft muss einige Güter und Dienstleistungen, wie z.B. Infrastruktur, Sicherheit, gesetzliche Institutionen, Alters‐ und Krankenversorgung, kollektiv finanzieren.

Zu diesem Zweck erhebt der Staat Steuern, normalerweise anhand von Mehrwertsteuer und Einkommenssteuer. Die Erhebung von Steuern führt unvermeidbar zu volkswirtschaftlichen Verzerrungen, indem sie einen Keil zwischen den sozialen Beitrag und den persönlichen Verdienst der Arbeitsleistung treibt. Würde in einer derart verzerrten Volkswirtschaft subventionierte Kinderbetreuung nicht zusätzliche Verzerrungen verursachen? Es gibt allerdings gute Gründe zu glauben, dass das nicht der Fall ist, sondern die Subvention von Kinderbetreuung bestehende Verzerrungen sogar abbauen kann.

Zahlen Eltern Kinderbetreuung aus ihrem Nettoeinkommen, so ist für sie der Unterschied zwischen persönlichen Verdiensten und dem sozialen Beitrag ihrer Arbeit grösser als für Arbeitnehmer ohne Kinder. In einem einfachen Beispiel verdient ein Elternteil 10 Euro pro Stunde, die mit 50 Prozent besteuert werden. Für jede gearbeitete Stunde muss dieser Elternteil Kinderbetreuung für 2 Euro pro Stunde nutzen, wobei dies den tatsächlichen Kosten für die außerhäusliche Betreuung entspricht. Der volkswirtschaftliche Nettobeitrag pro Stunde der arbeitenden Eltern entspricht 8 Euro. Der persönliche Nettoverdienst, nach Abzug von Steuern und Kinderbetreuungskosten, entspricht 3 Euro. Die tatsächliche „Besteuerung” von Eltern entspricht also 62,5 Prozent (5/8), während Arbeitnehmer ohne Kinder nur zu 50 Prozent besteuert werden. Arbeitsanreize von Eltern sind also in größerem Masse verzerrt als die von Arbeitnehmern ohne Kinder. Oder, anders gesagt, die Arbeitsanreize sind dann mehr verzerrt, wenn Arbeitnehmer kleine Kinder haben im Vergleich zu früheren oder späteren Lebensphasen.

Um zu zeigen, dass diese Ungleichheit in der Belastung und den Arbeitsanreizen nicht dem bestmöglichen Steuersystem mit der kleinstmöglichen Verzerrung entspricht, braucht man ein mathematisches Modell, das alle gesamtwirtschaftlichen Aspekte gleichzeitig berücksichtigt. In unserem aktuellen wissenschaftlichen Beitrag konstruieren wir ein entsprechendes Modell für Deutschland. Die zentrale Aussage ist allerdings auch ohne detaillierte Kenntnis des Modells zu verstehen. Gehen wir mal davon aus, dass Gummibärchen und Schokoriegel gleich besteuert werden sollten. Dann sollten auch Eltern mit kleinen Kindern mit der gleichen effektiven Rate besteuert werden wie jeder andere Arbeitnehmer.

In unserem Beispiel von oben bedeutete das eine effektive Steuerrate von 50 Prozent für Eltern und Nicht‐Eltern. Dies ist erreichbar, indem Kinderbetreuung zu 50 Prozent subventioniert wird. Der persönliche Nettoverdienst von Eltern wäre dann 4 Euro pro Stunde, genauso wie der von Arbeitnehmern ohne Kinder. Tatsächlich können im Allgemeinen die Unterschiede zwischen Eltern und kinderlosen Arbeitnehmern dadurch ausgeglichen werden, dass Kinderbetreuung entsprechend des Grenzsteuersatzes subventioniert wird. Kinderbetreuung sollte also steuerabzugsfähig sein. Im Vergleich zu einem System ohne Subventionen steigen natürlich die Steuern aller Mitglieder der Gesellschaft, um die Subventionen von Kinderbetreuung zu finanzieren.

Unser Modell zeigt jedoch, dass durch den Ausgleich der Ungleichheiten der Belastung alle Ressourcen effizienter genutzt und verteilt werden. Im aktuellen Steuersystem sollte Kinderbetreuung in Deutschland im optimalen Fall zu 50 Prozent subventioniert werden. Dies schlussfolgern wir nicht nur aus dem Argument, das Ungleichheiten in der Belastung ausgeglichen werden, sondern auch aus der Tatsache, dass eine auf diese Art subventionierte Kinderbetreuung eine Motivation für Mütter und Väter darstellt, überhaupt zu arbeiten. Vor allem für alleinstehende Mütter sind die Arbeitsanreize im Vergleich zur Sozialhilfe häufig sehr gering und eine subventionierte Kinderbetreuung würde dies ändern. Und je mehr Eltern arbeiten, desto höher ist das Steueraufkommen und desto günstiger ist subventionierte Kinderbetreuung für den Staatshaushalt.

Als letztes Argument gegen Subventionen außerhäuslicher Kinderbetreuung wird gern daran gezweifelt, ob dies gut für die Kinder ist. Wissenschaftlich gibt es kaum Belege dafür, dass Kinderbetreuung klare negative Auswirkungen auf die spätere Lebenssituation hat. In einer aktuellen Studie für Norwegen in 2011 dokumentieren Havnes und Mogstad starke positive Auswirkungen von Kinderbetreuung, vor allem, aber nicht nur für Kinder aus benachteiligten Familien. Gathmann und Sass finden ähnlich positive Ergebnisse in einer Studie für Deutschland. Doch diese Diskussion, sowie das Argument, dass Subventionen und eine bessere Bereitstellung von Kinderbetreuung Arbeitsplätze schaffen und dazu beitragen würde, Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abzubauen, soll hier einmal außen vor bleiben. Tatsächlich gibt es theoretisch fundierte ökonomische Gründe, Kinderbetreuung zu subventionieren und es scheint, dass das deutsche System in dieser Hinsicht reformbedürftig ist. Der momentane Entwurf zum Betreuungsgeld geht sicherlich nicht in die richtige Richtung. Warum sollte man es sich nicht einmal von den Nachbarn im nördlichen Europa abschauen?

*) Almut Balleer ist Professorin für empirische Wirtschaftsforschung an der RWTH Aachen. David Domeij ist Professor an der Stockholm School of Economics. Paul Klein ist Professor an der Simon Fraser University in Kanada.

Literatur:

Domeij, David und Paul Klein (2012), Should day care be subsidized, in Kürze erscheinend im Review of Economic Studies

Havnes, Tarjei und Magne Mogstad (2011), No child left behind: Subsidized child care and children’s long‐run outcomes, American Economic Journal: Economic Policy 3 (2), 97-129.

Gathmann, Christina und Björn Sass (2012), Taxing Childcare: Effects on Family Labor Supply and Children, IZA discussion paper, 6440