Retten hilft am meisten, wenn sich keiner darauf verlassen kann
Von Patrick Bernau
Al an Greenspan war gerade mal seit zehn Wochen Chef der amerikanischen Notenbank, gerade flog er zu seiner ersten großen Rede vor der Bankervereinigung in Dallas, da brachen in New York die Aktienkurse ein. Es war der 19. Oktober 1987, der “schwarze Montag”. Aktien verloren mehr als ein Fünftel ihres Wertes. In Folge der Turbulenzen drohten Banken pleitezugehen. Amerikas Finanzsystem stand vor dem Kollaps.
In dieser Situation entschied Greenspan, die Märkte mit Geld zu fluten. Er wies die Händler seiner Zentralbank an, Staatsanleihen zu kaufen. So schoss er Milliarden von Dollar in den Markt und drückte die Zinsen. Das wirkte. Die Krise ging vorüber, die Wirtschaft wuchs weiter, und nach zwei Jahren waren die Kurse wieder so hoch, als wäre nichts gewesen.
Parallelen zur Schuldenkrise sind beabsichtigt, zumindest von Seiten der EZB. Denn die Europäische Zentralbank versucht den Euro nach einem ganz ähnlichen Muster zu retten – damit die Banken nicht panisch werden oder pleitegehen, kauft sie Staatsanleihen.
So hat Greenspan mit seinen billigen Milliarden die Politik der Notenbanken der Welt fundamental umgewälzt. Er selbst räumt dieser Episode in seinen Memoiren zwar nur wenige Zeilen ein, doch Banker und Börsianer haben für diese Art der Geldpolitik sogar einen eigenen Namen gefunden: “Greenspan-Put”.
Doch der “Greenspan-Put” ist inzwischen schwer in die Kritik geraten. Zwar gewann Greenspan erst mal Gefallen an seinem neuen Wundermittel. Allein in den ersten zehn Jahren von Greenspans Amtszeit gelten fünf Ereignisse als Anlässe für einen “Greenspan-Put”: außer dem “schwarzen Montag” war das die amerikanische Sparkassenkrise, der erste Golfkrieg, die “Tequila-Krise” in Mexiko und die Asienkrise. Später kam in Amerika der Zusammenbruch der New-Economy-Blase, die Hypothekenkrise mit der Lehman-Pleite. Und jetzt hat Europa seine Schuldenkrise.
Doch dass so viele Probleme entstanden sind, gilt vielen Ökonomen inzwischen nicht mehr als Zufall, sondern als Folge des Greenspan-Puts. Der löst zwar oft die akute Krise, macht dafür aber die nächste umso wahrscheinlicher. Denn die Banken lernen, dass sie in der Not immer wieder gerettet werden. Sie stellen sich darauf ein und arbeiten prompt immer spekulativer und riskanter.
Auch die beste Regulierung kann das nicht eindämmen. Zwar werden in Europa nach der Finanzkrise gerade rund 60.000 Seiten an neuen Regeln für Banken geschaffen. Doch erstens werden schlaue Leute darin viele Schlupflöcher finden. Und zweitens sind die Regulierer manchmal genauso blind wie die Banken. Welcher Regulierer wäre schon vor 2008 auf die Idee gekommen, dass spanische Staatsanleihen zum enormen Risiko für die Bank werden können? Besser ist es, wenn die Banken einen größeren Anreiz haben, ihr Geschäft von vornherein solider anzulegen.
Einfach jede Rettung zu verweigern, bringen die meisten Notenbanker auch nicht übers Herz. Denn die Folgen sind oft unberechenbar – eine Wirtschaftskrise ist nicht ausgeschlossen. Was also tun?
Gleich zwei Ökonomenteams haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Sie haben die Anreize von Banken, Regierungen und Bürgern in mathematische Formeln gepackt und ausgerechnet, welches Verhalten für wen günstig ist. Solche theoretischen Modelle sind zuletzt in die Kritik geraten, weil sie manchmal die Wirklichkeit zu sehr vereinfachen und vor allem die Eigenheiten der Menschen nicht berücksichtigen. Doch viele Ökonomen finden nach wie vor, dass sich solche Modelle vor allem zur Beschreibung von Banken und anderen Firmen eignen – denn die finden mit der Zeit meist wirklich alle geeigneten Wege, um möglichst viel Geld zu verdienen.
Die schärfere Lösung stammt von einem Forscherduo der Universität Tilburg. Sylvester Eijffinger und Rob Nijskens schlagen der Notenbank vor, unberechenbar zu werden. Sie solle nicht jede Rettung verweigern, aber immer mal wieder eine. Diese Empfehlung läuft EZB-Chef Draghi zuwider, der eine Bestandsgarantie für die Eurozone abgegeben hat – die Rettung also schon mal angekündigt hat. Auch die Bankenregulierer der Welt arbeiten derzeit anders: Sie schreiben lange Listen “systemrelevanter” Banken, die härter reguliert werden als andere, aber im Notfall auch gerettet werden sollen. Besser wäre es aber, die Banken dem Risiko auszusetzen, dass es doch mal keine Rettung gibt, argumentieren Eijffinger und Nijskens.
Sanfter sind da zwei prominentere amerikanische Ökonomen: Der ehemalige IWF-Chefvolkswirt Raghuram Rajan und sein Kollege Douglas Diamond, beide von der Universität Chicago. Sie schlagen vor, dass die Notenbanken in der Krise tatsächlich mit viel billigem Geld helfen sollen. Im Aufschwung müsste die Notenbank im Gegenzug die Zügel härter anziehen, als die reine Inflationsentwicklung es nötig macht – um die Banken dann für ihr einst billig geliehenes Geld nachträglich bezahlen zu lassen.
Bislang allerdings hat das noch keine Notenbank gemacht. Im Gegenteil: Der ehemalige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan gibt heute selbst zu, dass er früher teils die Zügel zu spät angezogen hat. Denn er hatte Angst, dass es der Wirtschaft noch nicht gut genug geht. Diese Unsicherheit werden auch die Notenbanker heute nicht los. Bevor Rajans und Diamonds Lösung funktioniert, ist also noch ein Problem zu lösen.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 9. September. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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