Vor der Erfindung des Urheberrechts konnten Autoren nur selten von ihren Veröffentlichungen leben. Den Verlegern gebührte das Recht am Text. Und jedermann fühlte sich frei, Texte nach Gutdünken zu kopieren und raubzudrucken, ohne dafür zu zahlen. Goethe (und der Geist der Goethezeit) war es, der die Rechtsidee des geistigen Eigentums allererst erfunden hat. Und sie sowohl gegen die Verleger wie auch gegen die Raubdrucker – die Piratenpartei der damaligen Zeit – durchsetzte. Alle, die das Urheberrecht heute gegen die Freibeuter des Internets verteidigen, können sich bei Goethe Schützenhilfe holen.
Von Rainer Hank
Goethe kannte die existentiellen Probleme von Autoren am eigenen Leibe. Sein erster Erfolg, „Die Leiden des jungen Werther” (1774), hatte nicht ihm, sondern zahlreichen bekannten und anonymen Verlegern zu Erfolg und Profit verholfen. Auch Goethe war Opfer, der in der Zeit üblichen Praxis geworden, Nachdrucke ohne Absprache und ohne Honorierung des Autors herzustellen und zu vertreiben. Dabei konnte es sich sowohl um unabgesprochene Nachauflagen des rechtmäßigen Verlegers als auch um sogenannte Raubdrucke handeln, die ohne Vertrag mit dem Autor oder dem Originalverlag häufig anonym publiziert wurden, wie die Stuttgarter Germanistin Sandra Richter im Katalog zur Ausstellung „Goethe und das Geld” darlegt (https://goetheunddasgeld.com/ausstellung; Seite 156). Fatal war: Zur berühmtesten Ausgabe des Werther wurde nicht das Original, sondern der Raubdruck des Verlegers Christian Friedrich Himburg, der das Werk mit Vignetten des damals modischen Malers Daniel Chodowiecki vermarktete.
Bernhard Fischer, Direktor des Weimarer Goethe- und Schillerarchivs, hat jetzt in Frankfurt in einem äußerst lehrreichen Vortrag über „Goethe und sein Verlegermäzen Johann Friedrich Cotta” (siehe das Bild oben: Cotta, gemalt von Karl Jakob Theodor Leybold) die damalige Rechtslage erläutert. Danach gab es für Autoren zwei Probleme, die ihre Rechte bestritten. (1) Das überkommene „ewige Verlagsrecht”, das dem Verleger das ausschließliche Recht am Text zusprach, rührte aus der Zeit, in der der Autoren-Lohn in der gesteigerten „dignitas” (Würde) in der Gelehrtenrepublik bestand, das „Honorar” aber eher ein symbolischer Ehrensold war und die Bücher nur ein kleines Publikum hatten. Die Erfolgsteilung „Ehre” dem Autor, Geld dem Verleger, wollte Goethe nicht mitmachen. Ehre wollte er natürlich behalten, aber zusätzlich auch Geld für sein geistiges Eigentum. (2) Das zweite Skandalon war der räuberische Nachdruck, eine wahre Geisel des Verlagswesen insgesamt, wie es Bernard Fischer nannte: Die Autoren erhielten keine Honorare und mussten zudem oftmals hinnehmen, dass ihre Werker entstellt oder gekürzt wurde. Der Nachdruck betraf auch die Originalverleger, die kein Gegenmittel dagegen hatten und erleben mussten, wie ihre Investitionen nicht einkamen und ihre Lager entwertet wurde.
Damals wie heute wurden gegen den Schutz des geistigen Eigentums ins Feld geführt, es sei technisch gar nicht möglich, den Originalverleger zu schützen, da jedermann, der nur im Besitz einer kleinen Druckerpresse sei und ein wenig Papier habe, ein Buch nachdrucken könne und es in seiner lokalen Umgebung verbreiten könne. Der Originalverleger brauchte viel Zeit, bis er seine Bücher physisch in diese Gegend brachte und konnte sie häufig nur mit Dumpingpreisen gegen die Raubkopierer absetzen. Das zeigt: man kann womöglich (aus meiner Sicht „schlechte”) ökonomische und rechtliche Argumente gegen das geistige Eigentum vorbringen, man sollte aber keine technischen Argumente („Im Zeitalter des Internets lässt sich das Urheberrecht nicht mehr schützen; früher war das möglich”). Schon damals waren unter der Deckung der technischen Argumentation normative Geschütze in Stellung gebracht worden.
Weil der schwäbische Verleger Cotta Goethe als „Marktennamen” brauchte, war er genötigt auf dessen Honorar- und Rechtsforderungen einzugehen, die mehr waren als ein Ehrensold. Goethe lobte Cottas „Charakter”: dass er den rechtlichen Charakter eines Verlagsverhältnisses anerkannte und nicht zuletzt ein solide kalkulierender Verleger war, der sich der „guten Sache” verschrieben hatte. Bei der Ausgabe „letzter Hand” mit Cotta sollte es Goethe nicht mehr passieren, was ihm mit Werther passiert war: Es wurden gute, nach der Auflage gestaffelte Honorare vereinbart, verbunden mit einer festen Laufzeit und einer Option auf einen Folgevertrag. All das, was heute bei Verlagsverträgen (noch) üblich ist, gab es damals noch nicht. Goethe und Cotta sind die die individualrechtlichen Pioniere und Vorbilder späterer staatlicher Rechtssetzung.
Es konnte nur ein „starker” Autor wie Goethe sein, der quasi als Anwalt für alle seine damaligen Kollegen beim Verleger seine Rechte durchzusetzen wusste und zugleich bei den Landesfürsten das „Privileg” der geschützten Autorschaft gegen die Nachdrucker für sich erwirkte. Letzteres ist, wenn man so will, Freiburger Ordnungspolitik avant la lettre. Denn staatlicher Schutz und staatliche Rechtssetzung ist, keine Frage, eine Intervention in das Gesellschaftsgeschehen, ein „Privileg”, ein Patentschutz für einen Marktakteur. Staatliche Intervention ist aber nötig, um die Wettbewerbsordnung zu ermöglichen und zu garantieren. Ohne das geschützte Recht am geistigen Eigentum würde kein rationaler Mensch mehr Dichter werden, was dann doch schade wäre.
Die Idee des geistigen Eigentums in der Goethezeit hat selbst ihre kulturellen Voraussetzungen, wie Anne Bohnenkamp-Renken, die Direktorin des Frankfurter Goethemuseums und des Freien Deutschen Hochstifts, im Gespräch mit Bernhard Fischer herausstrich. Denn die Aufklärung hatte die universale Partizipation an den Ideen propagiert. Ein volksbildnerischer Impetus hatte sozusagen den „open access” für jedermann an Geist und Ideen der Zeit zugesprochen. Der Gedanke individueller Autorschaft, die es zu schützen gelte, musste noch entwickelt werden. Erst der „Geniekult” des „Sturm und Drang” brachte ein Gefühl für die Dignität und Originalität der eigenen Ideen zum Ausdruck, ein Pathos für individuelle Autorschaft als „Kapital” des Dichters und Intellektuellen. Es war Goethe, der durchsetzte, dass das Genie auch einen Marktpreis hat. Später hat die neue ökonomische Wachstumstheorie gesehen, dass das Ideenkapital auch der eigentliche Wachstums- und Wohlstandstreiber wurde. Wofür man Goethe nicht alles zu Dank verpflichtet sein muss!
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