Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Aufgepasst! Die Ökonomik der Aufmerksamkeit

Menschen kaufen zu teure Fernseher, zu junge Gebrauchtwagen und zu wenige Aktien. Auf der Suche nach Gründen haben Ökonomen eine neue Masche: Sie achten auf die Aufmerksamkeit. Daran fehlt es oft.

Menschen kaufen zu teure Fernseher, zu junge Gebrauchtwagen und zu wenige Aktien. Auf der Suche nach Gründen haben Ökonomen eine neue Masche: Sie achten auf die Aufmerksamkeit. Daran fehlt es oft.

Von Patrick Bernau

Wie viele Kilometer hat Ihr Auto? Und vor allem: Wie genau können Sie das angeben? Sie werden vermutlich wissen, ob es 20.000 oder 30.000 Kilometer sind – aber den Rest haben Sie vermutlich vergessen. Gebrauchtwagenkäufern geht es nicht anders. Prompt fallen sie gelegentlich auf die Kilometerzahl herein. Für ein Auto mit 69.000 Kilometern zahlen sie meist deutlich mehr als für eines mit 70.000 Kilometern. Wir kennen das Phänomen von den Preisen im Supermarkt, aber so deutlich haben wir es selten gesehen, hier mit Meilen:

Bild zu: Aufgepasst! Die Ökonomik der Aufmerksamkeit

Quelle: Lacetera, Pope, Sydnor

Es ist ein unterschätztes Phänomen: Die Rolle von fehlender Aufmerksamkeit in wirtschaftlichen Entscheidungen. Oft ist es ja nicht Blödheit, die Entscheidungen von Menschen verschlechtert – sondern eine ganz rationale Entscheidung, mit das knappe Gut Aufmerksamkeit zu sparen. In vielen Fällen lohnt sich das. Nobelpreisträger Christopher Sims hat das Phänomen in ein schönes mathematisches Gleichgewicht gebracht – doch an den praktischen Auswirkungen sind noch einige Fragen offen. Jetzt kommt die Forschung daran in Mode. Die renommierte Ökonomen-Zeitschrift “American Economic Review” hat in ihrer jüngsten Ausgabe gleich mehrere Beiträge versammelt, die die Rolle der Aufmerksamkeit in wirtschaftlichen Entscheidungen betonen.

Experten wissen dieses Phänomen in der Praxis sowieso schon zu nutzen. Nicola Lacetera, Devin Pope und Justin Sydnor beschreiben in ihrer Untersuchung des Gebrauchtwagen-Marktes, dass die Gebrauchtwagenhändler sich schon darauf eingestellt haben – sie verkaufen besonders viele Autos, die knapp vor dem neuen 10.000er-Abschnitt stehen. Und je erfahrener die Händler sind, umso eher kaufen sie Autos an, die kurz vor der 10.000er-Schwelle stehen, die sie also relativ billig bekommen und relativ teuer verkaufen können (aber nicht zu kurz: schon 50 Meilen vor der Schwelle scheuten die Händler zurück, weil sie wussten, dass sie mit Überführung und Rangieren das Auto leicht über die Schwelle bringen können). Ähnliche Effekte gibt es übrigens, wenn auch kleiner, bei den 1000-Meilen-Marken. 1000 Meilen drückten den Preis in der Untersuchung um 20 Dollar.

Auch beim Geldanlegen spielt die Aufmerksamkeit eine Rolle. Die alte Frage, warum Aktien so viel mehr Rendite bringen, als sie ihrem Risiko zufolge im Vergleich zu anderen Geldanlagen bringen müssten, haben Xavier Gabaix und David Laibson einst damit beantwortet, dass die Anleger schlicht nicht so oft in ihre Depots gucken – und wenn das berücksichtigt wird, ist das Rendite/Risiko-Verhältnis von Aktien wieder angemessen.

Stefano DellaVigna und Joshua Pollet haben sogar eine wichtige Information gefunden, auf die Aktionäre nicht achten: die Demografie. Menschen kaufen bestimmte Dinge in einem bestimmten Alter besonders oft (Möbel um die 30, Wein und Bier 20 Jahre früher als Schnaps), darum lässt sich mit Kenntnis der Altersstruktur auch die Nachfrage bestimmen – und Aktionäre sehen das regelmäßig nicht voraus. Das bietet Gewinnchancen für Leute, die darauf achten – also ihre Aufmerksamkeit auf vernachlässigte Dinge richten.

Unter den neuen Aufsätzen ist auch einer, der mit Hilfe der Aufmerksamkeit den “Decoy-Effekt” erklärt – eine Denk-Eigenschaft, die Verkäufer gerne ausnutzen. Beispiel Fernseher: Wenn im Elektromarkt ein guter, aber teurer Fernseher steht und ein billiger, aber schlechter – dann kann der Verkäufer viele Kunden dazu bringen, den teuren Fernseher zu wählen. Und zwar, indem er einen guten, noch teureren anbietet. Der wird zwar längst nicht so beliebt sein wie der gute und mäßig teure – doch der vergleich zwischen den beiden guten Fernsehern lenkt die Kunden vom schlechten Fernseher völlig ab.

Der Psychologe Dan Ariely empfahl Singles schon, abends bevorzugt mit Freunden auszugehen, die ähnlich aussehen, aber etwas schlechter. Jetzt wissen wir: Diese Strategie ist nicht unbedingt empfehlenswert. Denn so findet man vor allem Partner, die nicht besonders aufmerksam sind.

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