Die aggressive Geldpolitik weckt gerade in Deutschland Inflationsängste. Nach den einschlägigen Theorien droht eher ein Anstieg der Vermögens- als der Güterpreise. Derzeit erscheint es sinnvoll, für Güterpreisinflation eher auf realwirtschaftliche Modelle und für Vermögenspreisinflation eher auf monetäre Indikatoren zu schauen. An einer Synthese der beiden Sichtweisen arbeiten Ökonomen, aber sie wurde auf befriedigende Weise bisher nicht verwirklicht.
Von Gerald Braunberger
Viele Zentralbanken haben in den vergangenen Jahren durch den Ankauf von Wertpapieren, Devisen oder durch großzügige Kredite an Banken sehr viel neues Geld geschaffen. Getreu der alten Weisheit Milton Friedmans, wonach Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen ist, entsteht als Folge dieser Geldpolitik Inflationsfurcht. Ein Blick auf verbreitete Theorien zur Inflation – die allgemeingültige Theorie gibt es nicht – zeigt indessen, dass die Zusammenhänge nicht so einfach sind.
Hier eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus dem nachfolgenden Text:
Monetäre Theorien
1. Durch die Geldpolitik der Zentralbanken erhöht sich zunächst nicht die in der Wirtschaft umlaufende Geldmenge, sondern überwiegend die sogenannte Geldbasis, die aus dem Bargeldumlauf und den Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank besteht. Als Näherung für die Geldbasis lässt sich die Bilanzsumme der Zentralbank verwenden. Die Geldbasis ist in den vergangenen Jahren bei der amerikanischen Fed, der Europäischen Zentralbank (EZB), der Bank of England und der Schweizerischen Nationalbank (SNB) deutlich gestiegen.
Die alte Theorie der Monetaristen um Milton Friedman sah in einem solchen Anstieg die Ursache von Inflation. Die Wirkungskette lief von einer höheren Geldbasis über eine höhere Geldmenge zu höheren Güterpreisen. Diese Vorstellung beruhte zum einen auf einem einigermaßen stabilen Verhältnis zwischen der Geldbasis und der Geldmenge, dem sogenannten Geldmultiplikator.
Diese Stabilität existiert aber seit langem nicht mehr – wie im Grafikteil die Abbildung des Geldmultiplikators für die Vereinigten Staaten seit dem Jahr 1980 belegt. Eine Grafik für Europa sähe wenig anders aus. Ein Grund für den in dieser Form nicht prognostizierten deutlichen Rückgang des Geldmultiplikators besteht in der Einführung der Verzinsung der Bankenguthaben bei den Zentralbanken. Sie führt dazu, dass die Banken bei der Zentralbank höhere Reserven halten, als in der alten Theorie angenommen. Die Geldbasis ist zu einer völlig unzuverlässigen Größe für die Inflationsprognose geworden, wie sich auch anhand der Erfahrungen asiatischer Schwellenländer in den vergangenen zehn Jahren nachweisen lässt. Der amerikanische Nobelpreisträger Chris Sims sagte kürzlich pointiert, die Behauptung eines Zusammenhangs zwischen Geldbasis und Inflation werde an guten Universitäten nicht einmal mehr in einer Anfängervorlesung gelehrt. In Deutschland ist diese Vorstellung allerdings noch recht verbreitet.
Es lässt sich auch kein klarer Zusammenhang zwischen der Geldbasis und den Vermögenspreisen erkennen – Japan in den vergangenen 20 Jahren ist so ein Beispiel. In den Vereinigten Staaten hat das erste Wertpapierankaufsprogramm der Fed (“QE1”) nach Ansicht vieler Marktteilnehmer Wirkungen erzeugt, das zweite aber schon weniger. Im Euroraum ging das Wachstum der Geldbasis in den ersten Jahren der Währungsunion mit stark steigenden Immobilienpreisen in Spanien und in Irland, aber nicht in an anderen Ländern einher.
Ergebnis: Man sollte die Geldbasis im Zusammenhang mit Inflationsprognosen mit großer Zurückhaltung betrachten.
2. Ist wenigstens der Zusammenhang zwischen der in der Wirtschaft verbreiteten Geldmenge – die EZB schaut wie früher die Deutsche Bundesbank auf die Geldmenge M3 – und der Güterpreisinflation noch einigermaßen eng? Nein; es lässt sich zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Inflationsentwicklung zwar in Zeiten hoher Inflationsraten nachweisbar ist. Seit dem etwa ab 1990 beobachtbaren erheblichen Rückgang der Inflationsraten in vielen Industrie- und Schwellenländern ist der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflationsrate lockerer geworden. In Zeiten von Finanzinnovationen ist es nicht einfach, präzise zu definieren, was zur Geldmenge gehört. Aus diesem Grund ist die alte monetaristische Geldmengenpolitik schon vor vielen Jahren außer Mode gekommen auch wenn es immer wieder Versuche gibt, die dem Monetarismus zugrunde liegende Quantitätstheorie zu reaktivieren.
Monetäre Analysen sind dennoch alles andere als irrelevant: Ein Comeback feiert die Geldmenge in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit Untersuchungen zu Vermögenspreisblasen und Gefahren für die Finanzstabilität. Solche Arbeiten haben unter anderem die Ökonomen Tobias Adrian und Hyun Song Shin vorgelegt. Ein sehr starkes Wachstum der Geldmenge muss sich nicht in Güterpreisinflation niederschlagen, kann aber einen starken Anstieg von Vermögenspreisen zur Folge haben. Wie eine Grafik (unten) belegt, schwankt das Niveau der Vermögenspreise seit Jahren sehr stark – sehr viel stärker als das Niveau der Güterpreise.
Die Geldmenge M3 wächst im Euroraum mit einer Jahresrate von knapp 3 Prozent – zuwenig für eine große Inflation. Allerdings gibt es aus den “Boomjahren” bis 2008 noch einen Überhang. Wie auch immer: Wenn, dürfte sich die Geldmenge eher in Steigerungen von Vermögenspreisen als Güterpreisen niederschlagen.
3. Hier schauen moderne Ökonomen aber nicht nur auf Geldmengen, also auf die Passivseite der Bankbilanz (wo sich die Einlagen von Unternehmen und Privathaushalten befinden), sondern auch auf Kreditmengen, also auf die Aktivseite der Bankbilanz. Ein konkretes Beispiel für diese Analysen: Sehr niedrige Zinsen ermuntern die Banken zu einer besonders risikoreichen Kreditvergabe. Dies lässt sich auf der Aktivseite der Bankbilanz sehen, aber eine Zunahme der Kredite alleine muss noch keine Krise auslösen. Es ist auch wichtig, wie dir Bank sich refinanziert. Da das teure Eigenkapital knapp gehalten werden soll, steigern die Banken ihre Fremdverschuldung. Hier ist es für die Finanzstabilität besonders wichtig zu analysieren, ob die Kredite durch (üblicherweise stabile) Kundeneinlagen refinanziert werden oder durch die (im Krisenfall weniger stabile) Ausgabe von Wertpapieren an den Geld- und Kapitalmärkten.
Geld- und Kreditmengen haben sich in der Vorkriegszeit nahezu parallel entwickelt. Mit der Entwicklung zusätzlicher Verschuldungsmöglichkeiten an hochentwickelten Kapitalmärkten haben sich Kredit und Geld in der Nachkriegszeit auseinanderentwickelt – die Kreditmenge ist viel schneller gestiegen (siehe Grafik). Vielen Haussephasen an den Finanzmärkten und anschließenden Krisen sind kreditfinanzierte Spekulationen vorausgegangen. Der Kredit eignet sich somit als Indikator für Vermögenspreisinflation, für Güterpreisinflation eignet er sich aber nur eingeschränkt. Gleichwohl: Angesichts des schwachen Kreditwachstums in Europa insgesamt erscheint eine großflächige Inflation in absehbarer Zeit wenig wahrscheinlich; allerdings deutet eine wachsende Kreditvergabe für Immobilienprojekte in Deutschland auf die Gefahr einer Immobilienpreisblase.
Im Euroraum schrumpft derzeit die Kreditmenge leicht – ein Zeichen der Rezession. Außer in einzelnen Vermögensmärkten wie dem deutschen Immobilienmarkt, auf dem eine gewisse Kreditdynamik existiert, leitet sich aus der europäischen Kreditmenge derzeit kein bedeutendes Inflationsrisiko ab. Wir würden die These wagen: Solange der im Moment auf beiden Marktseiten rationierte Kredit sich nicht belebt, wird die Inflation in Europa nicht zu einem großen Thema.
Realwirtschaftliche Theorien
Nach dem Untergang des Monetarismus tendierten viele Zentralbanken zu einer Geldpolitik durch Zinssteuerung statt durch Geldmengensteuerung. Und weil der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau instabil geworden war, interessierte man sich für eine realwirtschaftliche Begründung der Inflation.
1. Ein solcher Versuch ist die nach dem Stanford-Ökonomen John Taylor benannte sogenannte „Taylor-Regel“, in der monetäre Größen keine Rolle mehr spielen. Stattdessen werden Abweichungen des aktuellen Preisniveaus vom erwünschten Preisniveau und von der tatsächlichen Wirtschaftsleistung zur bei Vollauslastung der Kapazitäten möglichen Wirtschaftsleistung beobachtet. Keine bedeutende Zentralbank bekennt sich offen zur Taylor-Regel, aber alle wichtigen Zentralbanken berechnen sie intern. Taylor erklärt die amerikanische Häuserpreisblase des vergangenen Jahrzehnts vor allem mit einem im Vergleich zu seiner Regel zu niedrigen Leitzins der Fed.
Eine Berechnung der Fondsgesellschaft DWS aus dem Sommer zeigt, dass der aktuelle Leitzins der EZB von 0,75 Prozent für den Euroraum insgesamt in etwa angemessen ist. In Spanien müsste er deutlich niedriger liegen, in Deutschland dagegen bei etwa 3 bis 4 Prozent. Für Deutschland alleine wäre der Leitzins zu niedrig; allerdings haben sich seit der Berechnung die deutschen Wachstumsaussichten verschlechtert. Die Taylor-Regel ist als Indikator für Güterpreisinflation brauchbar, aber da sie keine monetären Größen enthält, ist ihre Tauglichkeit für die Prognose von Vermögenspreisinflation eher fraglich. Außerdem existiert die scheinbar simple Regel in mehreren Spezifikationen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können; als schwierig hat es sich auch erwiesen, die Differenz zwischen aktuellem und potentiellem BIP (“output gap”) zu schätzen, da Schätzungen für das potentielle BIP häufig revidiert werden mussten.
Aus der Taylor-Regel leitet sich für Deutschland eine leichte Inflationsgefahr ab, solange die deutsche Wirtschaft nicht auch in eine Rezession eintritt. Die Prognose einer Hochinflation gibt die Taylor-Regel derzeit aber nicht her.
2. Die großen Zentralbanken verwenden seit Jahren komplizierte gesamtwirtschaftliche, sogenannte neokeynesianische Modelle mit Friktionen in den Güter- und Arbeitsmärkten, die ebenfalls von der Realwirtschaft dominiert werden und in denen der Finanzsektor unterentwickelt ist. *) Auch sie waren recht gut in der Diagnose der Güterpreisinflation, aber sie haben in der Diagnose von Vermögenspreisinflationen versagt. Die auf diesen Modellen basierende Geldpolitik baute oft darauf, mittels des kurzfristigen Leitzinses die Zinsstruktur, also das Verhältnis von kurzfristigen zu langfristigen Zinsen, zu steuern. Allerdings befinden sich viele Leitzinsen nahe null und können kaum noch gesenkt werden.
Hier ist es ähnlich wie mit der Taylor-Regel: Man kann für Deutschland ein leichtes Inflationspotential für die Güterpreise erkennen, das unter anderem aus Lohnabschlüssen der jüngeren Vergangenheit stammt. Auch hier ist derzeit keine Hochinflation am Horizont erkennbar.
In Amerika werden derzeit makroökonomische Modelle diskutiert, in denen der Finanzsektor wiederum keine bedeutende Rolle spielt. Stattdessen kommt die Wirtschaft wegen der hochverschuldeten Privathaushalte nicht in Schwung. Diese müssen sparen, aber selbst bei einem Zinssatz nahe null finden sich nicht genügend Investoren, um die Ersparnis aufzunehmen. (Eine verbale Darstellung liefert Amir Sufi, dort auch eine Auseinandersetzung mit dem “credit view”. Sufi verweist zudem auf die aktuelle Fachliteratur.)
Nun kommt es nicht auf den Nominalzins an, sondern auf den erwarteten Realzins. Den erwarteten Realzins kann man aber auch bei einem Nominalzins von null reduzieren, indem man Inflationserwartungen schafft. Daher hat der amerikanische Ökonom Michael Woodford den Vorschlag unterbreitet, die Fed solle ankündigen, dass sie auch bei einer Belebung der Wirtschaft (und steigenden Inflationserwartungen) ihren Leitzins nahe null lässt. Nach Ansicht Woodfords ist die Politik der Fed recht unwirksam, weil Fed-Chef Ben Bernanke den Amerikaner zusichere, die Inflationsrate niedrig zu halten. Damit nimmt Bernanke nach Ansicht Woodfords den Anleihekäufen der Fed die Wirkung. Die durch höhere Inflationserwartungen bedingte Realzinssenkung soll dann die Wirtschaft beleben. Nach dieser Auffassung sind in der gegenwärtigen Situation die Inflationsraten zu niedrig – eine Vorstellung, die gerade in Deutschland Befremden hervorrufen dürfte.
3. Die EZB ist die einzige Zentralbank, die mit der von Otmar Issing konzipierten „Zwei-Säulen-Strategie” realwirtschaftliche und monetäre Theorien kombiniert. Dieser eklektische Ansatz würde es gestatten, die Gefahren der Güterpreisinflation mit Hilfe der „realen Säule” und die Gefahren der Vermögenspreisinflation mit Hilfe der „monetären Säule” zu untersuchen; allerdings kann er sich bisher nicht auf eine gemeinsame Theorie stützen. In der Praxis ist die “Zwei-Säulen-Strategie” derzeit vermutlich das beste Pferd im Stall, allerdings hat die EZB wohl in der Vergangenheit die Bedeutung der Vermögenspreise unterschätzt. Ein Grund mag darin bestehen, dass die EZB die monetäre Säule bisher vor allem im Zusammenhang mit der Güterpreisinflation verwendet hat. Die monetäre Säule besitzt im übrigen aus praktischer Sicht einen großen Vorzug: Ihre Daten sind schnell und zuverlässig verfügbar. Realwirtschaftliche Daten liegen zuverlässig nur mit Zeitverzögerung vor; erste Schätzungen müssen oft revidiert werden.
Auch hier: In Deutschland ist eine bescheidene Güterinflation denkbar; die monetäre Säule weist auf Inflationspotential bei Vermögenspreisen hin.
Fiskaltheorie
Ein „seltener Vogel” ist die in der Fachwelt sehr umstrittene Fiskaltheorie des Preisniveaus. Sie unterscheidet zwischen zwei Regimen: Im ersten Regime betreibt der Staat eine solide Finanzpolitik, die keine Zweifel an seiner Fähigkeit lässt, seine Schulden zurückzuzahlen. In diesem Falle stört er die Geldpolitik nicht. Im zweiten Regime entstehen Zweifel an der Fähigkeit des Staates, seine Schulden zurückzuzahlen. Jetzt gibt es drei Möglichkeiten: Der Staat kann durch Angebotspolitik das wirtschaftliche Wachstumspotential stärken und damit die zur Rückzahlung der Schulden notwendigen künftigen Steuereinnahmen erhöhen. Zum zweiten besteht die Möglichkeit, die Schulden des Staates durch Umschuldung zu reduzieren.
Falls die erste und die zweite Möglichkeit aus politischen Gründen ausfallen, bleibt nach Ansicht der Fiskaltheorie nur noch Inflation, um die Schulden zu entwerten. Manche Befürworter dieser Theorie wie der amerikanische Ökonom John Cochrane halten auch ein sehr überraschendes Auftreten für Inflation für denkbar. Inwieweit diese Theorie empirische Bedeutung besitzt, ist allerdings ziemlich unklar.
Aus der Fiskaltheorie ist für Deutschland schwerlich eine passable Prognose möglich.
*) Ein Beispiel ist das Smets-Wouters-Modell, eines der von der EZB verwendeten Modelle: Hier werden das reale BIP, Konsum, Investitionen, Beschäftigung, Reallöhne, Inflationsrate und der nominale kurzfristige Zins berücksichtigt.
Dieser Beitrag ist eine erheblich erweiterte Version eines Artikels, der am 8. Oktober 2012 in der Rubrik “Volkswirt” im Wirtschaftsteil der F.A.Z. erschienen ist.
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