Seit Jahren leiden die Industriestaaten auf der Welt unter einer Wachstumsschwäche. Vielleicht sogar seit Jahrzehnten. Eines der besten Beispiele ist Deutschland: Wuchs die Wirtschaft in den 60er-Jahren noch mit durchschnittlich mehr als vier Prozent im Jahr, waren es zwischen 2000 und 2010 nur noch durchschnittlich 0,9 Prozent. Doch Deutschland ist kein Sonderfall, in anderen Ländern sieht es nicht besser aus. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel überschritten die Wachstumsraten in den 50er- und 60er-Jahren teils die Zehn-Prozent-Marke, nach dem Jahr 2000 erreichte sie die vier Prozent überhaupt nicht mehr.
Jüngst ist die Wachstumsschwäche zum Beispiel von Robert Gordon an der Northwestern University diagonstiziert worden, aber auch in einer sehr spannenden Rede des japanischen Vize-Zentralbankchefs Kiyohiko Nishimura. Nishimura sieht einen Zusammenhang zwischen der Wachstumsschwäche, Lohndruck und wachsenden Strukturproblemen am Arbeitsmarkt (die Qualifikationen der Arbeitnehmer passen nicht mehr zu den nötigen Qualifikationen für die Stellen).
Auch die Zentralbanken schaffen es seit Jahren nicht mehr, Inflation zu erzeugen und die Wirtschaft anzukurbeln. Seit Jahren schaffen die Zentralbanken in den Industriestaaten Geld – doch es steigen nicht Güterpreise, nur die Vermögenspreise, wie es längst nicht nur der Berater der Deutschen Bank, Thomas Mayer, und ich beschrieben haben. Das viele Geld bleibt im Vermögenskreislauf, es fließt von einer Geldanlage zur nächsten, von einer Blase zur nächsten – aber es kommt nicht in der Wirtschaft an: Es fließt nicht in den Konsum, und niemand scheint mit diesem Geld in Maschinen oder Fabriken investieren zu wollen. In jenen beiden Fällen würden nämlich Arbeitsplätze geschaffen, die Wirtschaft wüchse, es stiegen die Löhne und anschließend die Güterpreise. Doch das geschieht nicht. Stattdessen sinken die Wachstumsraten – und die Zentralbanken schaffen es mit allem Geld nicht, das Wachstum zu fördern.
Auf der Notenbanker-Tagung in Jackson Hole hat der ehemalige Fed-Vizechef Donald Kohn die Debatte wieder eröffnet. “Was hält die Wirtschaft zurück?”, fragte er. “Wie kommt es, dass wir so lange so eine unglaublich lockere Geldpolitik hatten, aber so wenig Wachstum? Ich glaube, das bleibt ein Rätsel.”
Inzwischen ist die Debatte weit genug gediehen, dass sich einige mögliche Gründe abzeichnen. Hier ein Überblick.
Die “Grenzen des Wachstums” sind natürlich immer ein Kandidat – sie scheinen allerdings noch nicht erreicht zu sein. Grob zusammengefasst, geht die alte These des “Club of Rome” aus den 70er-Jahren ja so: Die Menschen brauchen zu viele Rohstoffe, darum gehen ihnen am Ende die Ressourcen aus. Wenn das der eigentliche Grund der Wachstumsschwäche wäre, müssten wir allerdings eine deutlich überdurchschnittliche Inflation sehen, weil ja die knappen Rohstoffe immer teurer werden. Zwar haben Rohstoffe heute tatsächlich überdurchschnittliche Preissteigerungen, aber als Wachstums-Engpass kann diese Preissteigerung kaum gelten. Jedenfalls nicht, solange die Inflation nahe 2 Prozent liegt.
Die Demografie kann die Wachstumsschwäche alleine ebenfalls nicht erklären. Zwar würde jeder erwarten, dass die Wirtschaftsleistung in einem schrumpfenden Staat auch schrumpft oder langsamer wächst – doch so langsam wächst Deutschlands Bevölkerung nicht, dass die Wirtschaft nicht noch langsamer wachsen könnte. Auch wenn man pro Kopf rechnet, ist das Wirtschaftswachstum seit den 70er-Jahren stetig zurückgegangen: von durchschnittlich 2,8 Prozent in den 70ern (1971-1980) auf 2,2 Prozent in den 80ern (bis 1991), im vereinigten Deutschland dann auf 1,3 Prozent (90er) und 1,2 Prozent (2002-2011). Kiyohiko Nishimura hat allerdings noch ein weiteres Argument: Ältere Gesellschaften sind weniger flexibel, also finden Arbeitskräfte schlechter zu den Stellen.
Die Globalisierung. Die Konkurrenz aus Schwellenländern wie China und Bangladesch hält die Firmen in den Industrieländern zurück, schätzt Japans Zentralbank-Vize Kiyohiko Nishimura.
Mangelnde Flexibilität. Technischer Fortschritt und Globalisierung drücken auf die Löhne der Mittelschicht, meint Kiyohiko Nishimura. Wo Staaten diesen Druck aufzuheben versuchen, hindern sie Firmen daran, die Potenziale der neuen Technik zu nutzen.
Ein Mangel an Ideen. Diese Erklärung geht davon aus, dass Ideen und Erfindungen die wichtigsten Treiber des Wirtschaftswachstums sind. Aber davon gab es in den vergangenen Jahren schlicht nicht mehr genügend. “Alle tiefhängenden Früchte sind schon gegessen”, findet zum Beispiel der amerikanische Ökonom Tyler Cowen in seinem Buch “The Great Stagnation“. Zwar habe das Internet und andere elektronische Erfindungen die Wirtschaft umgewälzt, allerdings seien diese neuen Erfindungen vergleichsweise arbeitsschonend. In der Tat können Internetfirmen enorme Gewinne machen – obwohl ihr Umsatz (und damit ihr Wachstumsbeitrag) relativ klein ist. Auch Robert Gordon an der Northwestern University hat festgestellt, dass ein großer Innovationszyklus zu Ende geht und die Produktivität der Arbeit kontinuierlich sinkt. Gordon ist skeptisch, ob das kräftige Wachstum vergangener Tage überhaupt zurückkehrt. Zwar teile ich Gordons Pessimismus nicht, doch die Grundidee fehlender Ideen überzeugt mich. Noch vor einigen Jahren galt Kapital als knapp. Heute haben nicht nur die Internetfirmen, sondern auch andere, haben enorme Rücklagen an Geld – investieren sie aber nicht. Das liegt nicht nur daran, dass die Firmen sich nach der Finanzkrise ein Polster für schlechte Zeiten bewahren wollen. Sondern ihnen fehlen auch die Ideen, wofür sie das Geld ausgeben könnten.
In der Diskussion sind aber nicht nur Wachstumshemmnisse auf der Angebotsseite. Mancher hält auch die Nachfrage für den Engpass.
Die Sättigung der Menschen gilt manchem als Ursache für das niedrige Wachstum in den Industriestaaten – die Menschen bräuchten schlicht nicht viel zusätzliches. Das überzeugt mich nicht. Am iPhone und anderen Smartphones sehen wir ja deutlich, wie die Menschen interessante Produkte kaufen. J.P.Morgan-Chefökonom Michael Feroli schätzt den Wachstumsbeitrag des jüngsten iPhone gar auf – umstrittene – 0,25 bis 0,5 Prozentpunkte.
Die Verteilung des Einkommens wird ebenfalls gelegentlich als Grund genannt. In den vergangenen Jahren ist in den Industriestaaten vor allem das Einkommen der reichsten Menschen gewachsen. Das Argument lautet jetzt, die Ärmeren könnten sich nicht mehr leisten – dabei seien es gerade sie, die ihr Geld vorrangig für Konsum ausgäben. Dem Argument steht gegenüber, dass die weltweite Ungleichheit in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen hat, weil Menschen in Schwellenländern reicher geworden sind.
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