Fazit – das Wirtschaftsblog

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Die Qualität der Post zeigt, wie ein Staat funktioniert. In Deutschland sieht es gut aus. Und Max Weber kommt auch vor.

Die Qualität der Post zeigt, wie ein Staat funktioniert. In Deutschland sieht es gut aus. Und Max Weber kommt auch vor.

Von Gerald Braunberger

Der Illustration: Alfons Holtgreve amerikanische Nobelpreisträger Edward Prescott hat einmal gesagt, die Effizienz eines Staates lasse sich am besten anhand der Qualität des Postbetriebs erkennen. Die Post sei sogar ein noch besserer Indikator als die Geldpolitik eines Landes. Nun, wenn das so ist, dann lässt sich die Effizienz der Staaten in der Praxis leicht testen. Dies haben sich vier Ökonomen um den Harvard-Professor Andrei Shleifer gesagt und eine wohl einmalige empirische Untersuchung gestartet: Sie haben in 159 Länder der Erde Briefe mit erfundenen Adressen gesandt und ausgewertet, ob die Briefe, als unzustellbar deklariert, zurückgeschickt wurden. Zusätzlich haben sie notiert, wie lange die Rücksendung dauerte.

Shleifer & Co. suchten in den 159 Ländern zunächst die jeweils fünf größten Städte heraus, in die sie jeweils zwei Briefe schickten. Adressiert waren die Schreiben mit der korrekten Städtebezeichnung und Postleitzahl, aber einer fiktiven Adresse. Gewählt wurden plausibel erscheinende Firmennamen wie “Computer Management Professionals” oder “Smart Computer Services”. Die Straßennamen waren ebenfalls erfunden und orientierten sich unter anderem an Namen von Wirtschafts-Nobelpreisträgern in der Annahme, dass kaum ein Mensch auf die Idee kommen dürfte, in der Realität Straßen nach diesen Leuten zu benennen. Die Briefe wurden mit Luftpost aus den Vereinigten Staaten gesandt und korrekt frankiert. Sie enthielten, um keinen Anreiz für Diebstähle zu geben, jeweils nur ein Blatt Papier, auf dem die fiktiven Geschäftspartner um Rücksprache mit dem Absender gebeten wurden.

Man könnte gegen die Prozedur einwenden, dass zum Beispiel in Deutschland die Deutsche Post AG längst privatisiert worden ist und nach privatwirtschaftlichen Kriterien geführt wird. Dieser Einwand sticht aber nicht wirklich, denn gerade der normale Briefverkehr bleibt durch zahlreiche Regulierungen zumindest indirekt stark staatlich beeinflusst. Der Postverkehr eignet sich sogar besonders gut für einen Vergleich der Leistungsfähigkeit von Staaten, denn er ist eine einfache und weitgehend standardisierte Dienstleistung, die in allen Staaten angeboten wird und sie ist nicht sehr anfällig für Korruption. Auch sollten parteipolitische Einflüsse eigentlich keine Rolle für die Leistungsfähigkeit des Postdienstes eines Landes spielen. Zudem sind die Ergebnisse aus der Versendung von Briefen objektiv nachprüfbar und nicht durch subjektive Einschätzungen verzerrt.

Eine Reihe der Ergebnisse sind nicht fernliegend. Im Durchschnitt kamen 59 Prozent der Briefe als unzustellbar zurück in die Vereinigten Staaten, aber die einzelnen Länder schneiden sehr unterschiedlich ab. Nur aus 21 Ländern kamen alle Briefe zurück, darunter aus „üblichen Verdächtigen” wie Deutschland, Norwegen, Kanada und Japan, aber, vielleicht etwas fernliegender,  auch aus Algerien, Uruguay und Barbados. Im Gegenzug kamen aus elf Ländern gar keine Briefe zurück. Neben afrikanischen Staaten finden sich in dieser Liste Tadschikistan, Russland und Kambodscha.

Bis hierher sind die Resultate ganz nett, aber auch banal. Und wenn die Geschichte hier endete, müsste man sich die Frage stellen, ob vier namhafte Professoren, darunter ein Nobelpreiskandidat wie Shleifer, nichts Besseres zu tun haben, als Briefe um den Globus zu senden.

Ausgestattet mit einer Vielzahl von Daten über die 159 Länder gehen die Autoren nun aber daran, statistische Zusammenhänge zu suchen. So kommen sie zu dem nicht ganz abwegigen Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit der Post unter anderem von der im Postbetrieb verwendeten Technologie abhängt.

Am interessantesten wird es, wenn die Autoren der Frage nachgehen, ob das Management einen nachweisbaren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Post besitzt, denn hier greifen sie auf Max Webers Bürokratietheorie zurück. Für Weber bestand die ideale und effiziente Bürokratie aus Personen, die nach ihrer beruflichen Kompetenz und nicht nach politischen Kriterien ausgewählt und befördert werden. Sie halten sich an feste Spielregeln und verzichten auf die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner aus Willkür. Im Gegensatz dazu hielt Weber eine politisch beeinflusste Verwaltung, deren Handeln nicht frei von Willkür sein wird, für ineffizient.

Shleifer & Co. beziehen sich auf eine moderne Arbeit von Dahlström, Lapuente, and Teorell, die in 52 Ländern die Verwaltungen darauf untersucht haben, ob sie eher nach dem Leistungsprinzip Webers oder nach politischen Kriterien funktionieren. Sie haben unter anderem einen Index entwickelt, aus dem sich in einer Kennzahl ablesen lässt, wie „weberianisch” eine Bürokratie ist. Shleifer & Co. sehen ihre These bestätigt, wonach die Wahrscheinlichkeit für die Rücksendung eines Briefes zu einem guten Teil davon abhängt, ob die Bürokratie den Prinzipien Webers verhaftet oder politisch stark beeinflusst ist.

Was bleibt nach all den vielen Berechnungen? Der Grad der Effizienz von Privatwirtschaft und Verwaltung hängt in vielen Ländern eng zusammen, woraus folgt, dass die Bürokratie mit wachsendem Reichtum eines Landes effizienter wird. Korruption in der Verwaltung erscheint im Lichte der vorliegenden Studie nicht zuletzt auch eine Folge schlechten Managements und falscher Anreizsysteme zu sein. Shleifer & Co. betrachten ihre Arbeit als einen kleinen Beitrag zu einer breiteren Theorie der Qualität von Regierungen und Verwaltungen und ihrer Veränderungen im Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung.

Dieser Beitrag ist am 28. Oktober 2012 als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

 

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