François Hollande hat seine erste große Pressekonferenz abgehalten. Der Staatspräsident betonte wiederholt, dass Frankreich das Vertrauen der Finanzmärkte nicht verlieren dürfe. Seine wichtigsten Ziele sind eine Neuausrichtung Europas, eine Entschuldung Frankreichs und die Gewinnung von mehr Wettbewerbsfähigkeit für die französische Wirtschaft. Bedeutende neue wirtschaftspolitische Ankündigungen gab es nicht, dafür einen Appell an die Verantwortung von Arbeitgebern und Gewerkschaften. FAZIT berichtete live.
Von Gerald Braunberger
“Ich bin verantwortlich für die Zukunft Frankreichs.”
François Hollande
1. Die Pressekonferenz
Die Pressekonferenz fand mit rund 400 Journalisten im Elysée-Palast statt, obgleich Hollande zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt hatte, er wolle solche Ereignisse an weniger pompösen Orten abhalten. Seit dem Herbst versucht Hollande allerdings, seine Rolle als Staatsoberhaupt stärker herauszustellen. Anwesend waren auch Premierminister Jean-Marc Ayrault und offenbar das gesamte Kabinett.
Hollande bezeichnet die Lage Frankreichs als “ernst”: Staatsschuld über 90 Prozent des BIP, Wirtschaftswachstum seit rund 2 Jahren schwach, Arbeitslosigkeit steigt seit 17 Monaten, seit 10 Jahren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.
Er hat drei große Ziele:
1. Neuorientierung Europas,
2. Entschuldung Frankreichs,
3. mehr Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs.
Auf allen drei Gebieten müsse schnell gehandelt werden.
Am Ende seiner Amtszeit will er an der Entwicklung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung gemessen werden. Franzosen sind aufgrund unzureichender Politik in der Vergangenheit zweifelnd, dass man die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommt. Die Arbeitslosigkeit werde auch noch im kommenden Jahr steigen.
1. Neuorientierung Europas auf dem Weg: Stärkere Wachstumsorientierung; EZB kann aktivere Rolle spielen, um Finanzmärkte zu beruhigen; Einführung Finanztramsaktionssteuer; europäische Bankenaufsicht auf dem Weg. Eurozone muss intakt bleiben mit Griechenland als Mitglied. Damit Frankreich in Europa sein Gewicht bewahren könne, brauche man eine leistungsfähigere Wirtschaft und gesündere Staatsfinanzen; das historische Gewicht alleine reiche nicht. Das Verhältnis zu Deutschland bezeichnet Hollande als gut.
2. Frankreich muss Staatsfinanzen konsolidieren. 3-Prozent-Kriterium muss erreicht werden; gegebenenfalls muss man aber über den “Rhythmus des Defizitabbaus nachdenken”. Finanzmärkte zeigen Vertrauen in Frankreich: Staatsanleiherenditen sind historisch niedrig; der Spread zu deutschen Staatsanleihen hat sich seit seinem Amtsantritt um 40 Basispunkte verringert. Regierung hat Steuererhöhungen und Staatsausgabenkürzungen angekündigt, um 3-Prozent-Kriterium zu erreichen. Aber im Interesse der Gerechtigkeit wird bei der Justiz nicht gekürzt. Anteil der Staatsausgaben ist seit 2002 von 52 auf 57 Prozent des BIP gestiegen, aber der Staat funktioniert deshalb nicht besser und er ist auch nicht gerechter geworden. Der französische Staat muss sehr viel effizienter werden. In 5 Jahren sollen 50 Milliarden Euro eingespart werden. Hollande betont mehrfach, dass es wichtig sei, das Vertrauen der Finanzmärkte zu bewahren.
3. Nachlassende Produktionskraft der Wirtschaft ist das “Übel Frankreichs”. Deindustrialisierung muss aufgehalten werden; man braucht besseres Umfeld für investierende Unternehmen und einen stabileren Ordnungsrahmen. Dafür braucht es einen Pakt der Sozialpartner und des Staates; geholfen werden muss vor allem den Klein- und Mittelbetrieben. Finanzielle Entlastung der Unternehmen, wie kürzlich beschlossen, ist nicht alles, aber sie ist unumgänglicher Bestandteil eines Programms zum Besseren. Es handelt sich nicht um Geschenke für die Unternehmen, sondern um eine Voraussetzung für mehr Investitionen, von denen auch die Beschäftigten profitieren.
Strukturreformen werden vorangetrieben, zum Beispiel bei den Banken: Trennung des normalen Bankgeschäfts von der Spekulation; Gesetz kommt zum Jahresende. Man braucht Banken im Dienste der Wirtschaft und dafür müssen die Banken leistungsfähig bleiben. Es müssen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bessere Einstellungsbedingungen für junge Menschen geschaffen werden; hierfür braucht es einer engen Zusammenarbeit der Sozialpartner. Sozialer Dialog ist Bestandteil der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes: Entweder nutzen sie den “historischen Moment”, um ihre Zusammenarbeit zu verbessern, oder die Regierung setzt sich als Entscheider an die Stelle der Sozialpartner.
Hollande hat seine Rede mit einem Appell an den Zusammenhalt und den Patriotismus der Franzosen beendet: “Der Niedergang ist nicht unser Schicksal.” Aber der Wiederaufstieg werde Zeit brauchen. Hollande: “Mein Kompass ist die Gerechtigkeit.” Er hat gut 40 Minuten geredet.
Ein französischer Journalist bemerkt, Hollande sei als Linker gewählt worden und betreibe nun Politik wie ein Liberaler – begleitet von entsprechenden Forderungen aus Deutschland.Wohin führe diese “kopernikanische Wende”? Hollande antwortet, dass er erst sechs Monate im Amt sei und der Eindruck nicht stimme, er habe eine politische Volte geschlagen. Er habe sich schon im Wahlkampf für eine leistungsfähigere Wirtschaft und eine Gesundung der Staatsausgaben ausgesprochen. Im Unterschied zu manchen Vorgängern habe er sich nicht viel Zeit gelassen, um wichtige Entscheidungen zu treffen.
Frage zur Energiepolitik: Man braucht umweltfreundlichere Technologien, um das Schiefergas zu fördern. Verbot der Förderung wurde 2011 unter der bürgerlichen Vorgängerregierung verabschiedet. Auf absehbare Zeit ist ein Verzicht auf Atomenergie nicht möglich.
Hollande wird gefragt, ob er den sozialistischen Innenminister Manuel Valls entlassen werde. Valls hatte am Nachmittag in einer Debatte in der Nationalversammlung an die Adresse der bürgerlichen Opposition gesagt: “Die Rückkehr des Terrorismus – das sind Sie.” Tumulte waren die Folge. Hollande antwortet staatsmännisch, die Bekämpfung des Terrorismus sei eine überparteiliche Aufgabe und dürfe nicht für innenpolitischen Zwist missbraucht werden – eine lächelnd vorgetragene Ohrfeige für Valls, der allerdings seit langem für ein loses Mundwerk bekannt ist und keine Sanktionen zu befürchten hat.
Hollande redet viel (eigentlich zu viel) über sich und sein Verständnis der Rolle des Staatspräsidenten. Französische Präsidenten reden gerne auch etwas pathetisch über ihren Job, aber ein Präsident, der das Bedürfnis verspürt, den Bürgern seines Landes höchst ausführlich und mit Wiederholungen zu erklären (“Ich bin ein Präsident, der stets zu seiner Verantwortung stehen und nicht vor ihr fliehen will.”), wie er seine Aufgabe versteht, wirkt vielleicht nicht sehr souverän. Generell wirkte er aber gut vorbereitet und nach einem etwas steifen Beginn im Verlauf lockerer. Eine Pressekonferenz, die von einer 40 Minuten langen Rede eingeleitet wird, ist allerdings ein Anachronismus.
Eine französische Journalistin (bisher erhielten nur französische und keine ausländischen Journalisten das Wort) fragt Hollande nach seiner Antwort auf die zahlreichen kritischen und hinterfragenden Preisseartikeln in den vergangenen Wochen. Hollande antwortet, er diene als “punching ball” (er benutzt das englische Wort). Es sei das Recht der Presse, kritisch zu sein; er wolle sich an den Ergebnissen seiner Politik messen lassen.
Ein Journalist fragt, ob die Austeritätspolitik in Europa nicht großen Schaden anrichte. Hollande antwortet, man muss die notwendige Eindämmung der Neuverschuldung verbinden mit einer Politik zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Frankreich dürfe nicht wie die südeuropäischen Staaten von den Finanzmärkten in Frage gestellt werden, weil er dann in Europa erheblichen Einfluss verlieren würde. Frankreich werde alles tun, um im kommenden Jahr die Neuverschuldung auf 3 Prozent zu senken. Wiederum stellt er heraus, wie wichtig es sei, das Vertrauen der Finanzmärkte zu bewahren.
Ein Journalist des “Figaro” fragt nach dem Zustand der deutsch-französischen Beziehungen. Hollande sagt, er und die Bundeskanzlerin hätten die gemeinsame Aufgabe, Europa voran zu bringen. Es gäbe Meinungsunterschiede und einen sehr offenen Dialog, aber am Ende finde man Kompromisse – und diese Kompromisse finde man leicht. Keines der beiden Länder habe dem anderen Lektionen zu erteilen. Der bevorstehende 50. Geburtstag des Elysée-Vertrags biete eine Gelegenheit, die Vertrautheit des Verhältnisses zu demonstrieren. Deutschland und Frankreich müssten nicht nur gemeinsam kurzfristige Probleme wie Griechenland lösen, sondern langfristig an einer engeren politischen Zusammenarbeit in Europa arbeiten. Er habe Verständnis dafür, dass Frau Merkel auch an den bevorstehenden Bundestagswahlkampf denken müsse.
Zu Europa: Ein Auseinanderfallen Europas sei eine Hypothese gewesen, aber man habe sie zurückgewiesen. Europa müsse statt dessen enger zusammenrücken, die Bewahrung des Status Quo sei keine Option.
Ein amerikanischer Journalist fragt nach Details zu Griechenland. Hollande sagt, Griechenland habe große Anstrengungen unternommen, mehr seien nicht möglich. Nun sei die Frage: Wie gewährt man Griechenland mehr Zeit, ohne dass die anderen Europäer noch zusätzlich Geld einschießen müssen. Daran werde man in den kommenden Tagen arbeiten.
Die Pressekonferenz ist nach rund zweieinhalb Stunden zu Ende gegangen.
2. Reaktionen auf die Pressekonferenz
Wir haben uns in diesem Blogbeitrag wesentlich auf die Äußerungen des Präsidenten zu Europa sowie zu wirtschafts- und finanzpolitischen Themen konzentriert. Für die französischen Medien war die Ankündigung Hollandes, wonach er die syrische Opposition als Vertretung des Landes betrachte, von herausgehobener Bedeutung. In der Morgenpresse sieht “Le Figaro” einen Wandel von einem Präsidenten, der “normal” sein will, zu einem Präsidenten, der die mit seinem Amt verbundene Verantwortung akzeptiert. Die führende Wirtschaftszeitung “Les Echos” blickt mit Spannung auf Hollandes Zusicherung, den Staatsdienst effizienter zu gestalten. In “Le Monde” sieht Arnaud Leparmentier Hollande nun auf einem “sozial-liberalen” Pfad. Und “Libération” konstatiert, der Präsident sei nunmehr in seinem Amt angekommen.
3. Erwartungen an die Pressekonferenz
Die Zeitung “Le Figaro” hatte vor der Pressekonferenz französische Politologen zu Hollande befragt, der in den sechs Monaten seit seinem Amtsantritt nach Umfragen mehr an Zustimmung eingebüßt hat als seine Vorgänger Chirac und Sarkozy. Hollandes Zustimmungsraten liegen um 40 Prozent. Hier ein paar Stimmen:
1. “François Hollande befindet sich in einer schwierigen Lage. Wir haben so etwas seit dem Jahr 1995 nicht mehr erlebt. Jacques Chirac war in den Umfragen auch weit unten, aber damals gab es eine Welle sozialer Proteste großen Umfangs, was heute für Hollande nicht gilt…Es gibt eine unterschwellige Nachfrage nach Führung in allen Wählergruppen, aber besonders auf der politischen Linken…Die Funktion des Präsidenten besitzt ihre Anforderungen. Bisher schien es, als habe Hollande einen Fuß drin und einen Fuß draußen. Jetzt hat er die Gelegenheit zu zeigen, dass er sich in die Linie seiner Vorgänger einreiht.” (Pascal Perrineau)
2. “Seine Wählerbasis wendet sich von ihm ab. Seine Gewinne aus dem zweiten Gang der Präsidentschaftswahl haben sich weitgehend verflüchtigt. Er hat vor allem Zustimmung bei Rentnern und Arbeitern verloren. Es handelt sich um eine Abkehr ohne Beispiel in der Fünften Republik.” (Jérôme Sainte-Marie vom Institut CSA).
3. “Wir haben einen Präsidenten aus der Linken, der, wenige Monate nach Amtsantritt, eine veritable Kulturrevolution unternimmt und eine Politik betreibt, die für die französische Linke vollkommen neu ist…Hollande muss der französischen Gesellschaft eine bittere Pille verabreichen, aber gleichzeitig erklären, dass sich in dieser Politik ein linker Inhalt befindet, eine Beschäftigung mit sozialer Gerechtigkeit bei der Verteilung der Anstrengungen und der Opfer.” (Roland Cayrol)
4. “Der Präsident muss einen Teil der Linken ansprechen, der durch die jüngsten Ankündigungen auf dreierlei Weise destabilisiert ist: durch die Anerkennung, dass die Arbeitskosten in Frankreich ein Problem darstellen, durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die von der Linken immer als eine ungerechte Steuer aufgefasst worden ist und durch die Entscheidung, Einschnitte in die öffentlichen Finanzen vorzunehmen.” (Jérôme Fourquet vom Institut Ifop)
In den vergangenen Tagen hatten Meldungen, wonach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den deutschen Sachverständigenrat beauftragt habe, sich mit der wirtschaftlichen Lage Frankreichs zu befassen, für Unruhe gesorgt.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Wolfgang Franz, hatte zwar versichert, es gehe nicht darum, den Franzosen Ratschläge geben zu wollen. So etwas wäre sehr undiplomatisch. In Paris reagierte Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici genervt über deutsche Medien, die Frankreich grundlos in den Boden schreiben würden. Am Dienstagvormittag trafen sich Schäuble und Moscovici in Brüssel demonstrativ zu einer gemeinsamen Pressekonferenz, auf der sie Nettigkeiten austauschten. Frankreich sei nicht der kranke Mann Europas, betonte Schäuble, und Moscovici bekräftigte, es gäbe keine Unstimmigkeiten im bilateralen Verhältnis. In Paris erklärt man das jüngste “Frankreich-Bashing” in Deutschland als Vorboten des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes.