Nur Computer zu verstehen, das reicht nicht: Wer Freunde hat, steht finanziell besser da
Von Patrick Bernau
Si e ist zuletzt hundertfach erzählt worden, die Geschichte vom unbeliebten Nerd à la Bill Gates: In der Schule hat er wenige Freunde (Gates’ Eltern gaben ihn aus Sorge extra auf eine Privatschule), aber er ist so intelligent, dass er hinterher im Beruf enormen Erfolg hat und steinreich wird. Prompt wird Bill Gates der Ratschlag zugeschrieben: “Sei nett zu Nerds, wahrscheinlich arbeitest du mal für einen.” Wahrscheinlich ist an dieser Geschichte aber gar nicht so viel dran. Darauf deutet zumindest eine neuere Langzeituntersuchung hin, in der Forscher die Schüler und ihren späteren beruflichen Erfolg betrachten. Sie stellen fest: Wer als Schüler mehr Freunde hat, der verdient hinterher mehr Geld.
Nehmen wir eine Klasse mit 20 Schülern: Der Schüler auf Beliebtheitsrang vier wird später durchschnittlich ein Zehntel mehr verdienen als der Schüler auf Beliebtheitsrang 16. Das hat Gabriella Conti, Assistentin des Nobelpreisträgers James Heckman an der Universität Chicago, gemeinsam mit Gerrit Müller vom Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit und zwei weiteren Kollegen ausgerechnet.
Solche Langzeituntersuchungen haben natürlich einen Haken: Sie können immer nur abbilden, wie die Schulzeit vor Jahrzehnten war; die Karriere heutiger Schüler kennt ja noch keiner. Deshalb haben die Forscher Männer betrachtet, die ihre Karriere gerade beendet haben. Es handelt sich um Highschool-Schüler aus dem amerikanischen Bundesstaat Wisconsin des Jahres 1957, die alle paar Jahre nach ihren Lebensumständen befragt wurden. Einst wurden sie auch gefragt, wer ihre besten Freunde in der Schule waren. Diese Antworten kramten die Forscher aus den Archiven und verglichen sie mit dem Einkommen aus dem Jahr 2004.
Dabei wurde deutlich: Gut erging es nicht den Leuten, die selbst besonders viele Freunde aufzählten. Sondern vor allem denen, die von vielen anderen als Freunde genannt wurden.
Andere Einflüsse spielten keine Rolle, darauf achteten die Forscher. Sie berücksichtigten zum Beispiel Einflüsse aus dem Elternhaus in einer gesonderten Rechnung – Schüler mit gebildeten Eltern hatten mehr Freunde. Auch die Intelligenz der Schüler hatte Einflüsse, welche die Forscher extra untersuchten: Schlauere Schüler hatten mehr Freunde – aber dass die Intelligenz für den Gehaltsunterschied verantwortlich war, das schlossen die Forscher aus. Sie rechneten nur den Gehaltsunterschied aus, der nach Elternhaus, Intelligenz und anderen Einflüssen übrig blieb.
Besonders interessant: Für den Berufserfolg schien es nicht darauf anzukommen, dass die vielen Freunde einem Schüler später einen guten Job vermitteln. Am meisten konnten die beliebten Schüler aus ihrer Beliebtheit machen, wenn sie Wisconsin verließen und anderswo hinzogen. Conti, Müller und ihre Kollegen sind überzeugt: Wer versteht, wie man mit anderen Menschen umgehen sollte und wie man Freunde findet, der hat es auch anderswo leichter. Und der bekommt im Berufsleben eher die besseren Stellen.
Mit dieser These sind sie nicht allein. Schon vor zehn Jahren hatten zwei Forscher aus Kalifornien ausgerechnet, dass Menschen mit großen sozialen Kompetenzen mehr verdienen als andere. In beiden Studien stellen die Wissenschaftler fest: Diese sozialen Fähigkeiten sind nicht angeboren, sondern man kann sie lernen – und viele erfolgreiche Leute haben das getan. In der Praxis würde das bedeuten: Eltern sollten ihre Kinder tatsächlich manchmal mit den Hausaufgaben in Ruhe lassen, damit sie mit ihren Freunden losziehen können. Natürlich passiert dann das, was Eltern vermuten: Die Noten sacken erst mal ab, auch das ist nachgewiesen, und zwar von der amerikanischen Forscherin Kata Mihaly. Doch das ist nicht das Ende aller Überlegungen. Denn: Auch wenn die Noten schlechter werden, kann trotzdem später das Gehalt steigen. Da helfen zwei Forscher weiter, die den Einfluss von Sport untersucht haben. Und sie sagen: Wer als Jugendlicher regelmäßig Sport treibt, verdient hinterher mehr. Das Argument ist inzwischen bekannt: Die Sportler lernen etwas über soziale Fähigkeiten.
Aber Vorsicht: Wer seine alten Freunde verliert, dem sacken erst recht die Noten weg, wie zwei israelische Forscher gerade erst für Schüler in Tel Aviv gezeigt haben, die von der Grundschule auf eine weiterführende Schule wechselten. Bei diesem Wechsel erwies es sich als wichtig, dass die Schüler ihre Freunde möglichst mitnahmen – und zwar lief es wie im Ausgangsbeispiel: Es war nicht so wichtig, dass Klassenkameraden mitkamen, die die Kinder selbst als Freunde ansahen. Wichtiger war, dass diejenigen mitkamen, bei denen sie wirklich beliebt waren.
Was lernen wir daraus? Klar ist: Wer viele Freunde hat, verdient später mehr. Wer viel Zeit braucht, um diese Freundschaften zu pflegen, hat schlechtere Schulnoten. Aber wer zu wenige Freunde hat, bei dem werden die Noten auch wieder schlecht. Das klingt so, als müsste man den richtigen Weg zwischen Freundschaften, Noten und beruflichem Erfolg suchen. Doch eine Studie, die alles zusammen untersucht, die gibt es noch nicht.
Sicher ist nur: Bill Gates ist kein Vorbild. Sondern eine Ausnahme.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 11. November 2012. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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