Fehlt japanischen Familienunternehmern der geeignete leibliche Erbe, wird einfach ein Manager adoptiert. Diese Praxis ist überraschend verbreitet und erfolgreich.
Von Philip Plickert
Wir lieben Familienunternehmen. Sie gelten als solide und vorausschauend geführt. Der Familienunternehmer denkt nicht – wie angeblich der bezahlte Manager – nur an kurzfristige Gewinnmaximierung. Er will dauerhafte Werte schaffen und sie für nachfolgende Generationen erhalten.
Allerdings haben nicht wenige Ökonomen Zweifel an der These angemeldet, dass Unternehmen in Familienhand wirklich besser seien als von Managern geführte. David Landes hat in einer berühmten Studie kurz nach dem Krieg die Schwäche der französischen Volkswirtschaft im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert darauf zurückgeführt, dass starre Firmenpatriarchen oder ihre Erben zu wenig innovativ gewesen seien. Wie tragisch Unternehmerfamilien enden können, hat Thomas Mann in den “Buddenbrooks” beschrieben. Dem tatkräftigen Firmengründer folgten immer unfähigere Nachfolger, bis die Kaufmannsfamilie schließlich scheitert.
Einige empirische Studien haben gezeigt, dass sich von Familien und Erben geführte Unternehmen in Industrieländern im Durchschnitt schlechter entwickeln als solche mit familienfremden Managern an der Spitze. Und dennoch haben Familienunternehmen in vielen Industrieländern eine starke Stellung behalten.
Die fortdauernde Dominanz großer Familienunternehmen in den meisten Volkswirtschaften bleibt ein Rätsel. Vier Ökonomen haben den Fall Japan genauer unter die Lupe genommen. Dort sind etwa ein Drittel der börsennotierten Konzerne familiengeführt – und sie sind überdurchschnittlich erfolgreich, wie die Wissenschaftler in ihrer Studie nachweisen, die demnächst im “Journal of Financial Economics” erscheint.
Woran liegt das? Im Zentrum der Studie steht ein einzigartiges Phänomen in Japan, das es in westlichen und anderen asiatischen Gesellschaften so nicht gibt: Eine erhebliche Zahl von Unternehmen wird nicht an leibliche Nachkommen des Gründers oder der Eigentümerfamilie vererbt, sondern an Adoptivsöhne, zumeist Manager, für die eine Ehe mit der Tochter des Unternehmenspatriarchen vereinbart wird. Nach Meinung der vier Ökonomen liegt in dieser Praxis eines der Geheimnisse des Erfolges japanischer Familienunternehmer. Nach der Untersuchung der Forscher von 425 Fällen von Unternehmensübergaben wurden 57 Prozent an leibliche Söhne vererbt, fast jede zehnte aber an adoptierte Manager.
Amerika und Japan haben die höchsten Adoptionsquoten auf der Welt. Während in Amerika aber überwiegend Kinder adoptiert werden, sind es in Japan fast ausschließlich Erwachsene. Von den mehr als 80 000 Adoptionen im Jahr sind bis zu 98 Prozent der Adoptierten volljährig, meist 25 bis 30 Jahre alt. Es gibt einen regelrechten Markt mit hochprofessionellen Adoptionsvermittlungen.
“Der Patriarch des Familienunternehmens kann somit einen neuen Sohn adoptieren, sagen wir einen Star-Manager, sollte sein biologischer Sohn sich als nicht interessiert oder unfähig erweisen, dem Familiennamen Ehre zu bringen”, heißt es in der Studie. Die adoptierten Erben sind überdurchschnittlich intelligent. Sie haben doppelt so häufig an den kaiserlichen Elite-Universitäten studiert wie leibliche Erben (41 gegen 21 Prozent).
Die japanische Adoptionspraxis hat schon eine lange Tradition, beginnend in der Tokugawa-Zeit (1603 bis 1868). Die großen Händlerdynastien, vor allem die Mitsui und die Sumitomo, holten sich immer wieder “frisches Blut” in die Familien. Das gab ihnen mehr Flexibilität in der Nachfolgeplanung. “Es ist besser, Töchter als Söhne zu haben, denn dann kann ich bessere Söhne auswählen”, räsonierte einer der Mitsui-Patriarchen.
Ein prominentes Beispiel aus der heutigen Zeit ist der Vorstandsvorsitzende von Suzuki, der heute 82 Jahre alte Osamu Suzuki. Er heiratete im Alter von 28 Jahren in die Autodynastie ein und wurde adoptiert – wie schon vier Firmenchefs vor ihm. Osamu Suzuki selbst adoptierte ebenfalls einen jungen Mann, der als künftiger Konzernchef auserkoren war, doch dieser starb vor fünf Jahren. Daraufhin holte Osamu Suzuki seinen leiblichen Sohn Toshihiro in den Vorstand, der nun erstmals ein blutsverwandter Firmenerbe werden könnte.
Die japanische Praxis hat einen dreifachen Vorteil, meinen die Forscher: Fehlt ein geeigneter leiblicher Erbe, kann ein Manager adoptiert werden. Heiratet der die Tochter, so wird die Loyalität zur Familie gestärkt und das übliche Agency-Problem zwischen Eigentümer und Manager gelöst. Zweitens kann die Aussicht auf Adoption oder eine arrangierte Ehe mit der Tochter des Chefs unter den Managern der Firma einen starken Wettbewerb um die Gunst des Patriarchen anfachen. Und drittens werden die leiblichen Söhne allein durch die Furcht vor Verdrängung zu höherer Leistung angetrieben. Damit werde auch das “Carnegie-Problem” gelöst. Andrew Carnegie, der große amerikanische Industriemagnat, war überzeugt, die Aussicht auf ein großes Erbe kann “das Talent und die Energie des Sohnes abtöten”, deshalb stiftete er einen Großteil seines Vermögens. In Japan können sich die Söhne nie in Sicherheit wiegen.
Die ökonometrische Untersuchung von Vikas Mehrotra und seinen Ko-Autoren belegt, dass die japanischen Familienunternehmen erfolgreicher sind als von Managern geführte, egal, welches Kriterium man anlegt, ob Börsenwert, Eigenkapitalrendite, Marktanteile oder Beschäftigtenzahl. Es ergibt sich aber auch eine auffällige Leistungsrangfolge: Am besten schneiden Firmengründer ab, dann kommen adoptierte, nichtblutsverwandte Manager, erst danach Firmen mit leiblichen Erben an der Spitze.
So vorteilhaft die “arrangierte Ehe” ökonomisch sein kann, sie ist in der westlichen Welt kaum noch anzutreffen. Hier ist die Heirat aus Liebe nun die Norm. Etwas ketzerisch haben die vier Autoren daher in einem anderen Forschungspapier gefragt, ob “die Liebe die Familienfirma” töte. Es sei auffällig, dass in jenen Ländern, wo arrangierte Ehen üblicher sind, die Familienunternehmen besser abschnitten.
Vikas Mehrotra, Randall Morck, Jungwook Shim, Yupana Wiwattanakantangd: Adoptive Expectations: Rising Sons in Japanese Family Firms, erscheint im “Journal of Financial Economics”.
Dieselben: Must Love Kill the Family Firm? NBER Working Paper 16 340, September 2010
Der Beitrag erschien als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 9. Dezember. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve