Die besten Ideen brauchen nicht viele Worte. Gerade mal knapp drei Seiten lang war der Aufsatz, in dem der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson 1954 eine Theorie der öffentlichen Ausgaben präsentierte. Mathematisch elegant legte er dar, unter welchen Bedingungen der Staat als Anbieter von Gütern einspringen müsse, weil der Markt versage. Samuelson griff auf Vorarbeiten unter anderen von Richard Musgrave zurück. Der Ruhm aber, die Theorie der öffentlichen Güter begründet zu haben, blieb vor allem an ihm hängen.
Im Rückblick ist das ein zweifelhafter Ruhm. Wie wenige andere Ideen hat die Theorie der öffentlichen Güter zwar die wissenschaftliche und die politische Diskussion befruchtet. Zugleich aber hat sie viel Unheil angerichtet, weil Regierungen und Abgeordnete den Begriff des öffentlichen Guts okkupiert haben.
Der Begriff des öffentlichen Guts hebt sich zu vorteilhaft vom Bösen oder Übel ab, das Bürger mit höheren Steuerzahlungen verbinden. Als öffentliches Gut gilt damit in den Hauptstädten und Rathäusern nahezu jede Idee, mit denen Politiker ihre Aktivität vorführen: von städtischen Freibädern und Grünanlagen über Kindergärten und Autobahnen bis hin zur Verteidigung, der Umverteilung oder dem Klimaschutz. Wie sehr die Politiker den Begriff des öffentlichen Guts malträtieren, zeigt sich, wenn Erstsemester die Volkswirtschaftslehre kennenlernen. Meistens gilt ihnen als öffentliches Gut alles, was der Staat anbietet oder produziert.
Genau das aber hatte Samuelson nicht im Sinn. Er arbeitete Bedingungen heraus, unter denen ein staatliches Angebot von Gütern effizienter oder wirtschaftlicher sei als der private Markt. Die Theorie des öffentlichen Guts ist demnach keine Begründung für die stete Ausweitung der Staatstätigkeit, sondern im Gegenteil ein Maßstab, an dem die staatliche Tätigkeit sich messen lassen muss.
Zwei Bedingungen stehen dabei im Mittelpunkt. Die eine ist die Nicht-Rivalität im Konsum. Wenn eine Regierung das Territorium eines Landes vor Angriffen von Feinden schützt, ist es egal, wie viele Bürger in dem Land leben: Der „Konsum” des Gutes Sicherheit oder Verteidigung durch Paul beeinträchtigt den Konsum durch Fritz nicht. Fritz bekommt deshalb nicht weniger Sicherheit oder Verteidigung. Ganz anders ist das bei privaten Gütern, die am Markt gehandelt werden. Wenn Paul ein Brötchen isst, bleibt für Fritz nichts mehr über, beide rivalisieren im Konsum.
Bei Nicht-Rivalität im Konsum muss der Markt nach der herkömmlichen Theorie versagen, weil die Konsumenten sich wie Trittbrettfahrer verhalten. Fritz wird sich um die Verteidigung nicht kümmern, weil er kostenlos geschützt wird, wenn Paul diese Aufgabe in Angriff nimmt. Paul denkt ebenso, und letztlich sind beide schutzlos. Samuelson schloss daraus, dass öffentliche Güter am Markt nicht oder nicht im effizienten Ausmaß bereitgestellt würden. Der Staat müsse mit Steuerzwang und der öffentlichen Bereitstellung die Bürger zu ihrem Glück zwingen.
Die zweite Bedingung für ein öffentliches Gut ist die Nicht-Ausschließbarkeit des Konsums. Wenn Paul einen Leuchtturm baut und bezahlt, um sein Schiff sicher in den Hafen zu bringen, kann er nicht verhindern, dass auch Kapitän Fritz sich an dem Leuchtzeichen orientiert. Fritz wird Paul für diese Leistung zudem nur ungern Geld zahlen, weil er sowieso davon profitiert – unabhängig davon, ob er zahlt oder nicht. Deshalb wird Paul den Leuchtturm nicht oder nicht groß genug bauen. Auch dies rechtfertigt in Samuelsons Denken den Eingriff des Staates.
So brillant diese Einsicht, so unvollständig ist sie und deshalb als alleiniger Maßstab für politische Entscheidungen über die Staatstätigkeit nur bedingt geeignet. Freibäder, Grünanlagen, Kindergärten, Schulen, Universitäten oder Autobahnen etwa bieten nur so lange Nicht-Rivalität im Konsum, solange sie nicht überfüllt sind. Sie sind keine öffentlichen Güter, sondern Klubgüter, die durch private Anbieter höchst effizient angeboten werden können, wenn diese den Zugang mit Preisen regeln.
Auch Leuchttürme sind keine originäre Domäne des Staates, sondern wurden, wie Ronald Coase 1974 zeigte, zumindest in England noch zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts vor der Verstaatlichung durchaus erfolgreich privat betrieben. Die Seefahrer zahlten Leuchtturmgebühren in den Häfen, so dass die Finanzierung des Leuchtturms trotz Nicht-Ausschließbarkeit des Konsums gesichert war. Offen bleibt bei Samuelson darüber hinaus, welche Schäden die Besteuerung in der Wirtschaft anrichtet, wenn der Staat ein öffentliches Gut finanziert. Diese Kosten müssen dem Nutzen der staatlichen Bereitstellung öffentlicher Güter zumindest gegengerechnet werden.
Das wichtigste fehlende Element in der Theorie der öffentlichen Güter aber ist ein anderes. Samuelson stellte fest, dass bei Nicht-Rivalität im Konsum das öffentliche Gut auf privaten Märkten nicht in effizientem Ausmaß bereitgestellt würde. Welches Ausmaß aber ist effizient?
In den theoretischen Modellwelten, in denen die Vorlieben und Präferenzen der Modell-Menschen bekannt sind und sich in schönen Nachfragekurven darstellen lassen, ist das optimale Güterangebot leicht zu bestimmen. Im wirklichen Leben aber geht das bei weitem nicht so einfach. Dort legen die Menschen ihre echten Präferenzen für ein Gut nur dann offen, wenn sie dafür direkt zahlen müssen. Es bedarf zudem der Marktpreise, damit die Höhe des Angebots sich nach den Wünschen der Menschen richtet.
Diesen marktwirtschaftlichen Vorgang im politischen Prozess von Wahlen und Machtstreben, von Lobbying und Vetternwirtschaft simulieren zu wollen muss notgedrungen scheitern. Nur zufällig kann es passieren, dass die Politik die echten Nachfragewünsche der Menschen abbildet. Trotz der klugen Theorie von Samuelson muss man deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass eine Regierung nie ein effizientes und wirtschaftliches Angebot öffentlicher Güter bereitstellen wird. Samuelson beschrieb so einen theoretischen Fall des Marktversagens – und war blind gegenüber dem, was wir tagtäglich erleben: Staatsversagen.
Paul Samuelson (1954): The Pure Theory of Public Goods. The Review of Economics and Statistics, Bd. 35, S. 387-389.
Richard Musgrave (1939): The Voluntary Exchange Theory of Public Economy. The Quarterly Journal of Economics, Bd. 53, S. 213-237.
Ronald Coase (1974): The Lighthouse in Economics. Journal of Law and Economics, Bd. 17, S. 357-376.
Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der F.A.S. vom 23. Dezember. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.