“The political mystique of Central Banking was, and still is to some extent, widely expressed by an essentially metaphysical approach to monetary affairs and monetary policy-making. … The mystique thrives on a pervasive impression that Central Banking is an esoteric art. Access to this art and its proper execution is confined to the initiated elite.”
Karl Brunner (1981)
“Unabhängige Zentralbanken sind eine historische Episode.”
Joachim Fels (2011)
Der Vater der deutschen Ordnungsökonomik, Walter Eucken, lehnte unabhängige Zentralbanken ab, weil er kein Vertrauen in Geldpolitiker besaß: “Unkenntnis, Schwäche gegenüber Interessengruppen und der öffentlichen Meinung, falsche Theorien, all das beeinflusst diese Leiter sehr zum Schaden der ihnen anvertrauten Aufgabe.” Der Vater des Monetarismus, der Nobelpreisträger Milton Friedman, besaß ebenfalls kein Vertrauen in unabhängige Geldpolitiker, also Personen “in a body free from any kind of direct, effective political control”. Ihre Macht werde sie zu falschen Handlungen verlocken. Dennoch sind unabhängige Zentralbanken in vielen Ländern etabliert worden. Das Hauptargument lautet: Nur eine dem kurzfristigen Denken gewählter Regierungen entzogene Zentralbank ist in der Lage, Geldpolitik langfristig und ungestört auf die Sicherung des Geldwertes auszurichten.
Die laufende Krise hat Zentralbanken näher an Regierungen rücken lassen. Auf der Jahrestagung der American Economic Association in San Diego diskutieren am 4. Januar 2013 nordamerikanische (Alt-)Meister über Wert und Zweck unabhängiger Zentralbanken im Lichte früherer und aktueller Erfahrungen. Wir dokumentieren alle vier Papiere und stellen einen Vortrag des amerikanischen Ökonomen Marvin Goodfriend hinzu. Außerdem erwähnen wir einen Vortrag Otmar Issings. Nicht in diesem Beitrag behandelt, aber als Leseempfehlung erwähnt, sei eine Arbeit von Brunnermeier/Gersbach zum Thema “Unabhängigkeit der EZB in einer Bankenunion”.
Aktualisierung 6. Januar 2013: Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat anlässlich eines Vortrags in Indien deutliche Kritik am Konzept unabhängiger Zentralbanken geübt.
Aktualisierung 8. Januar 2013: McCulley/Poszar analysieren das Verhältnis von Regierung und Zentralbank über einen langen Kreditzyklus. Eine Zusammenfassung ist hier.
Aktualisierung 11. Januar 2013: Der Chef-Volkswirt der britischen Großbank HSBC, Stephen King, betrachtet das Zeitalter unabhängiger Zentralbanken als beendet.
1. John Taylor: Zurück zu Milton Friedman – Regeln sind wichtiger als Unabhängigkeit
Eingangs erinnert Taylor an eine Arbeit Friedmans (1962), in der Friedman mit Blick auf die amerikanischen Erfahrungen die Festschreibung geldpolitischer Regeln für wichtiger hielt als die Unabhängigkeit der Zentralbank. Taylor kommt dann auf die Phase der “Great Moderation” (1985 bis 2007) zu sprechen, während der die Inflationsrate niedrig und das Wirtschaftswachstum solide war. Taylor sieht die Geldpolitik als eine Ursache dieser vorteilhaften Entwicklung – weil sie von Mitte der achtziger Jahre bis 2003 implizit einer geldpolitischen Regel gefolgt sei. Allerdings betreibe die Fed seit 2003 eine kurzfristig orientierte, gesamtwirtschaftlich teure Geldpolitik. Obgleich ihre juristische Unabhängigkeit unangetastet blieb, ist die De-facto-Unabhängigkeit der Fed in der Krise – wie schon früher – durch eine Annäherung an die Regierung beschädigt.
Daher sollte die Rolle der juristischen Unabhängigkeit nicht überschätzt werden: “In my view this record raises questions about the role of de jure central bank independence in generating good monetary policy. It appears that existing law about independence has not worked. It has not prevented the central bank from engaging in activities that would question its independence from the rest of government. Looking beyond the United States an even higher degree of de jure independence in recent years has not prevented the Bank of England from largely ignoring its inflation target or the European Central bank from buying sovereign debt with the excuse of financial stability.”
Damit ist man bei Friedmans Betonung von Regeln, die nach Taylor gesetzlich fixiert werden sollten, was eine Einschränkung der Unabhängigkeit der Geldpolitik bringt: “The policy implication is that we need to focus on ways to “legislate” a more rules-based policy. We need to encourage more predictable policy that has worked and discourage the bouts of discretion and loss of de facto independence which have not worked. I have given several practical suggestions for legislation in Taylor (2011), but there are many other possibilities. The task is difficult and the field is wide open.”
2. Thomas F. Cargill/Gerald P. O’Driscoll, Jr.: Die Unabhängigkeit ist ein Mythos
Cargill (University of Nevada, Reno) und O’Driscoll (Cato Institute) attackieren die juristische Unabhängigkeit: “The paper argues that central bank de jure independence is far too uncritically accepted as a foundation for a stable financial and monetary environment. Not only is the modern view’s foundation weak but its widespread acceptance permits central banks to engage in suboptimal policy with political undertones under the cover of independence.” Die Autoren formulieren fünf Einwände.
Erstens stimmt die Empirie nicht: Die Fed ist formal unabhängig, schneidet aber im Vergleich der Inflationsraten schlechter ab als die bis 1998 politisch formal abhängige Bank von Japan.
Zweitens: De-jure-Unabhängigkeit und De-facto-Unabhängigkeit gehen nicht zwingend einher: Die Geschichte der Fed zeigt eine im Zeitablauf schwankende De-facto-Unabhängigkeit. Auch seit ihrer De-jure-Unabhängigkeit 1998 ist die Bank of Japan nicht frei von Regierungseinflüssen.
Drittens orientieren sich unabhängige Zentralbanken mit multiplen Zielen nicht zwingend an der Sicherung des Geldwerts. Friedman hatte in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1962 betont, dass unabhängige Zentralbanken zu gesamtwirtschaftlicher Instabilität beitragen dürften.
Viertens beruhen bisherige Studien, die unabhängige Zentralbanken in der Sicherung des Geldwerts erfolgreicher sehen als abhängige, auf fragwürdigen methodologischen und statistischen Fundamenten.
Fünftens werden Zentralbanken von Regierungen mit Eigeninteressen geschaffen. Man sollte Zentralbanken stärker mit Methoden der Politischen Ökonomik analysieren.
Der entscheidende Punkt ist der vierte: Seit Bade/Parker (1978) wurden mehrere Arbeiten veröffentlicht, die juristisch unabhängige Zentralbanken als besonders erfolgreich in der Sicherung des Geldwertes sehen. Cargill/O’Driscoll stellen die Ergebnisse dieser Arbeiten in Frage.
Am Ende sehen auch sie die einzige Möglichkeit darin, einer Zentralbank durch eine gesetzlich fixierte Regel Handlungsspielraum zu nehmen: “The requirement to follow a rule is what gives a central bank independence from political pressures. Paradoxically, being bound by a rule is what makes a bank independent. If it wants the “freedom,” of discretion, it will lose its independence. The rule can be a price rule (e.g., zero inflation), a rate rule (inflation targeting) or a commodity standard.”
3. Michael Parkin: Ein Vertrag zwischen Zentralbank und Regierung
Von Parkin und seiner Frau Robin Bade stammten die ersten Studien zum Zusammenhang von Unabhängigkeit und Leistung einer Zentralbank. Parkin stellt die Arbeiten vor, erwähnt die Kritik von Cargill, und unternimmt dann einen anderen Test: Er schaut auf Änderungen in der Unabhängigkeit von Zentralbanken und Änderungen von Inflationsraten. Im Ergebnis existiert ein Zusammenhang zwischen größerer Unabhängigkeit und niedrigeren Inflationsraten sowie einer niedrigeren Varianz der Inflationsraten, aber einer größeren Varianz des realen Wirtschaftswachstums. Allerdings untersucht Parkin auch den Effekt der Übernahme einer geldpolitischen Strategie durch eine Zentralbank, konkret die in den vergangenen 20 Jahren populäre direkte Steuerung der Inflationsrate (Inflation Targeting): Diese Strategie führte zu niedrigeren Inflationsraten, einer geringeren Varianz der Inflationsraten und zu einer geringeren Varianz des Wirtschaftswachstums.
Wiederum sieht die Unabhängigkeit im Vergleich zu einer festen Regel nicht besser aus; im Gegenteil: “But the conclusions from the inflation targeting experiment cast doubt on the necessity of central bank independence. An inflation control contract with government transparently pursued can apparently do a very god job.”
4. Allan H. Meltzer: Das duale Mandat der Fed ist erfüllbar
Meltzer (Carnegie Mellon University Pittsburgh) bildete mit Milton Friedman und Karl Brunner das Dreigestirn des Monetarismus; während der Amtszeit Alan Greenspans erhielt er das Angebot, eine mehrbändige Geschichte der Fed (hier und hier und hier) zu schreiben. Auch Meltzer sieht die Fed de facto mal näher und mal weiter an der Regierung – er beurteilt Greenspan aber weniger kritisch als dies Cargill/O’Driscoll tun. Meltzer erblickt in einer Regelbindung einen Weg zu einer größeren De-Facto-Unabhängigkeit. Beigetragen zu der aus seiner Sicht unseligen diskretionären Geldpolitik der Gegenwart haben bestimmte Aspekte moderner monetärer Ökonomik, wie sie sich mit den Arbeiten Michael Woodfords verbinden. Meltzer beklagt, dass die aktuelle Geldpolitik monetäre Größen nicht (mehr) zur Kenntnis nimmt.
Mit Blick auf sein Plädoyer für monetäre Größen ist Meltzers Handlungsempfehlung mehr als erstaunlich: Er empfiehlt eine Taylor-Regel (für die monetäre Größen keine Rolle spielen), mit der sich, richtig angewendet, das duale Mandat der Fed, stabiles Geld und hohe Beschäftigung zu sichern, gleichzeitig erreichen lasse. (Vor wenigen Jahren noch hatte Meltzer das duale Mandat der Fed heftig kritisiert.) Hierzu solle die Fed mehrjährige Ankündigungen für die Arbeitslosenquote oder das Wirtschaftswachstum und das Preisniveau machen.
5. Marvin Goodfriend: Unabhängige staatliche Zentralbanken erzeugen Instabilität
Goodfriend (Carnegie Mellon University Pittsburgh) vergleicht zwei während des Goldstandards gegründete Zentralbanken. Die Bank of England war damals eine private Bank mit Aktionären; verstaatlicht wurde sie erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Regionalbanken der Fed sind zwar in privatem Besitz; die wichtigen geldpolitischen Entscheidungen werden spätestens seit 1935 im vom Staat geschaffenen Federal Reserve Board getroffen, in dessen wichtigstem Gremium, dem Offenmarkt-Ausschuss, die stimmberechtigten Vertreter der Regionalbanken gegenüber dem vom Staat ernannten Vertretern in der Minderheit sind. Insofern zieht Goodfriend zurecht die Fed als Beispiel für eine Zentralbank mit öffentlichem Auftrag heran.
Goodfriend vergleicht die Bank of England und die Fed ab dem Goldstandard in zweierlei Hinsicht: in der Geldpolitik (dabei geht es um die Ziele der Zentralbank und die Leitzinssetzung) und in der Kreditpolitik (dabei geht es um die Höhe der vergebenen Kredite, die Adressaten und die Konditionen einschließlich Besicherung). Goodfriend kommt zu dem Schluss, dass die Bank of England in der Regel den Regeln des Goldstandards folgte und selbst dann, wenn sie in Krisen von den Regeln ein wenig abwich, durch ihre Verfassung als Aktiengeschäft und die Interessen ihrer Anteilseigner an Exzessen gehindert war. Wenn sie in Krisen anderen Banken zusätzliche Kredite zur Verfügung stellte, dann zu hohen Zinsen und nur gegen sehr gute Sicherheiten.
Die Fed hingegen schaffte sich durch die Akkumulation von sehr viel Gold zinspolitischen Handlungsspielraum. Die Anlage in überschüssigem Gold anstelle von zinstragenden Aktiva reduzierte die Zinserträge, was durch den öffentlichen Charakter begünstigt worden – die private Bank of England hielt nie sehr hohe unverzinsliche Goldreserven. Die Fed verfolgte in ihrer Geschichte mal eher Inflations-, mal eher konjunkturpolitische Ziele, was zur gesamtwirtschaftlichen Instabilität beitrug. Zudem ist im Laufe der Zeit, und zuletzt gerade in dieser Krise, ihre Kreditvergabe in mehrfacher Hinsicht zügellos geworden – durch sehr niedrige Zinsen, sehr hohe Volumina, den Ankauf aller möglicher Wertpapiere und die Akzeptanz nicht nur erstklassiger Sicherheiten. Auch damit trägt die Fed nach Ansicht Goodfriends zur Instabilität bei.
Goodfriend beschreibt zwei Remeduren: Zum einen muss die Geldpolitik ein klares Ziel setzen und sich daran halten. In diesem Sinn bezeichnet er die Ankündigung der Fed von Anfang 2012, eine Inflationsrate von 2 Prozent anzustreben, als einen Meilenstein. Die exzessive Kreditvergabe will er durch eine stärkere Kontrolle und Eingriffsrechten (durch das Parlament, nicht durch die Regierung) in den Griff bekommen – im Klartext: durch eine Beschränkung der Unabhängigkeit.
Eigene Anmerkungen:
1. Die Ansprüche an Geldpolitik sind zu hoch. Dies gilt für Ökonomen, die der Ansicht sind, die Geldpolitik könne die Konjunktur steuern. Dies gilt auch für Ökonomen, die meinen, Geldpolitik sei eine angewandte Wissenschaft, die sich langfristig als Geldwertsicherer in Reinform umsetzen lasse. Gelegentlich wurde die Zentralbank als eine über den Partikularinteressen der Politiker stehende elitäre Institution mit unbestechlichem Wissen verklärt.
2. Die juristische Unabhängigkeit ist prinzipiell eine gute Idee. Aber Geldpolitik wird von Menschen gemacht. Diese Menschen sitzen nicht in einem vom Rest der Welt abgeschiedenen (Elfenbein-)Turm, sie sind nicht allwissend und sie sind keine Maschinen. Die vor der Krise verbreitete Vorstellung, eine Zentralbank sei in der Lage, eine langfristige Politik ohne Fehler und ohne äußere Einflüsse zu betreiben, ist eine Idealisierung durch akademische Ökonomen gewesen. Auch Geldpolitiker bewegen sich in einer unsicheren Welt, und es gibt derzeit nicht “die” allgemein akzeptierte Theorie, an der sich eine Zentralbank zuverlässig ausrichten könnte.
3. Auch die Debatte um Regelbindung oder diskretionäres Handeln ist nicht beendet. Issing schreibt: “Wheras following a strict rule would eliminate any influence of individual preferences of central bankers, pure discretion would give the widest latitude for decision makers. The practice of monetary policy remaining somewhere in between implies that the traditional debate ‘rules versus authority’ continues.” Überdies: An welche geldpolitische Regel hat sich die Fed unter Greenspan eigentlich gehalten? Taylor hat gezeigt, dass man die Geldpolitik bis 2003 mit einer Taylor-Regel simulieren kann, aber in der Praxis hatte sich Greenspan als “Magier” inszeniert, der in der Badewanne Statistiken las und am liebsten in seiner Entscheidungsfindung unverstanden blieb. Ist es völlig abwegig, die Politik Greenspans als eine Abfolge diskretionärer Entscheidungen wahrzunehmen?
4. Es gibt gute Gründe, das duale Mandat der Fed abzulehnen und die Geldpolitik nur auf Preisniveaustabilität zu verpflichten. Aber deswegen ist eine Zentralbank nicht blind für die Konjunkturentwicklung. Wiederum Issing: “No central bank will ignore the situation of the real economy and the impact of monetary policy in the short to medium term. A medium-term oriented monetary policy will take this into account on the basis of a single mandate.” Ein von Parkin angesprochenes Thema sind die internationalen Wirkungen von Geldpolitik in einer globalisierten Welt. Muss eine Zentralbank darauf Rücksicht nehmen? Bedarf es einer internationalen Kooperation, die manche Ökonomen befürworten, die Issing aber ablehnt?
5. Auch wenn überzeugende Gründe für eine Regelbindung existieren, gilt: Es existiert keine in der Fachwelt unumstrittene Regel, ob es sich um das Inflation Targeting, eine Taylor-Regel, eine Geldmengenregel (die ihr Schöpfer Friedman schon in den achtziger Jahren aufgab), eine Warenbindung (Euckens Präferenz) oder die Steuerung des nominalen BIP (ein Thema, das an Schwung gewinnt) handelt. Meines Erachtens ist die eklektische Zwei-Säulen-Strategie der EZB in der Praxis das derzeit beste Pferd im Stall, aber sie beruht nicht auf einer einheitlichen Theorie und verlangt daher Entscheidungsspielraum für die Zentralbanker. Aber ist nicht das ganze Leben eine Abfolge von Entscheidungen?
Nicht verlinkte Literatur:
Bade, Robin and Michael Parkin (1984): “Central Bank Laws and Monetary Policy,” Department of Economics, University of Western Ontario, Canada.
Brunner, Karl (1981): “The Art of Central Banking”, in: H. Göppl and R. Henn, eds., Geld, Banken und Versicherungen, Königstein.
Eucken, Walter (1990): “Grundsätze der Wirtschaftspolitik.” 6. Auflage. Tübingen.
Friedman, Milton (1962): “Should There Be an Independent Monetary Authority?” in Leland B. Yeager (Ed.), In Search of a Monetary Constitution, Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts.
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Zur Ergänzung: FAZIT-Beiträge zur Geldpolitik aus der jüngeren Vergangenheit:
– Mit Sterilisierungsanleihen gegen die Geldschwemme
– Droht uns Inflation? Ein Blick auf einschlägige Theorien
– Die Inflation springt aus der Kiste: Die Fiskaltheorie des Preisniveaus
– Der Keim des künftigen Unglücks
– Die unberechenbare Notenbank
– Leben deutsche Ökonomen auf einem fernen Planeten? Über den Zusammenhang von Geldbasis und Inflation
Zum Thema Unabhängigkeit der...
Zum Thema Unabhängigkeit der Zentralbank ein Interview mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann in der ZEIT:
https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Interviews/2013_01_31_weidmann_zeit.html
Don Kohn, ehemals Vize der Fed...
Don Kohn, ehemals Vize der Fed und heute an der Brookings Institution, zur Unabhängigkeit der Fed seit der Finanzkrise:
https://www.brookings.edu/research/speeches/2013/01/04-fed-reserve-independence-kohn
<p>@Moses3D</p>
<p>Sie haben...
@Moses3D
Sie haben natürlich recht was die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Euroländer betrifft. Trotzdem gab es eine Vereinbarung über das Inflationsziel. Damit war eben nicht der Durchschnitt gemeint sondern 2% für jedes Land! Es gab ja durchaus Ökonomen die genau darauf hingewiesen (H. Flassbeck z.B.) und vor der Spreizung gewarnt haben. So haben eben die Südländer eine Schluck zuviel aus der Pulle genommen (ca. 3,5%) was die Löhne angeht, also einen nicht vorhandenen Produktivitätszuwachs an die Arbeitnehmer weiter gegeben. Wir in D. haben aber weit unter diesem Ziel gelegen – so weit ich weiß ca. 0,8%. Wer hat jetzt Schuld? Nur die “pösen” Südländer? Das ist doch der Kern um den es meines Erachtens geht. Staatsschulden sind mit Blick auf z.B. Japan wohl nicht das Problem, oder? Die haben immer noch die niedrigsten Zinsen auf Staatsanleihen und bei weitem die höchsten Schulden. Vermutlich haben die Finanzmärkte geschnallt, dass sich da was ganz ungesund entwickelt. Ich bin eben der Meinung, dass es Aufgabe der Institutionen wie den Notenbanken sein müsste, solche Verwerfungen zu BEMERKEN und auf die Agenda zu setzen – und nicht erst dann, wenn das Kind schon quasi im Brunnen “verfault”.
Insofern, vielleicht bin ich naiv, aber wir haben so viele Institutionen in den Ländern und in Brüssel, dass es mir “spanisch” vorkommt, wenn solche doch recht banalen Dinge nicht verfolgt und korrigiert werden. Wenn etwas ganz offensichtlich nicht funktioniert dann muss man eben einen anderen, besseren Weg finden.
Ein Weg muss außerdem m.E. sein, die Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken zu beschränken bzw. zu lenken, und zwar in produktive Investitionen und nicht in uferlose Kredite für das Kasino. Was meinen Sie?
LG Traumschau
<p>Mein Plädoyer ist, wir...
Mein Plädoyer ist, wir brauchen Notenbanken, die im Interesse der Menschen handeln und die in diesem Sinne unabhängig ist von Regierungen. Als Erfolgsmodell galt die Bundesbank die sich auch gegen die Regierung Kohl gestellt hat, wenn es sein musste. Und man sollte auch differnzieren, was für ein System hinter dem Ganzen steckt. Wir können doch nicht das FedSystem mit mit dem Eurosystem vergleichen.
Das Eurosystem ist zuständig für verschiedene Länder, mit einer eigenen gewachsenen Geschichte – sozial, kulturell als auch wirtschaftlich und wissenschaftlich. Es ist auch nicht erst seit Gestern bekannt, das Länder wie Portugal, Griechenland und Italien vor der Einführung des Euro, andere Inflationsraten als Deutschland hatte und bis heute andere Export- und Importraten. Es hört sich für mich schlicht naiv an, zu behaupten die EZB hätte allein deshalb versagt, weil Sie die Preisstabilität von “nahe bei 2%” NUR im Durchschnitt eingehalten habe. Von Beginn an war es klar, dass sich die Wirtschaftsdaten nicht komplett angleichen werden. Die Sinnhaftigkeit der Unabhängigkeit einer Notenbank darf man bei bestimmten Ländern vielleicht in Frage stellen. Ich denke da an die BoC. Die kanadischen Finanzmärkte werden nachweislich von den Geschehnissen in den USA beeinflusst, seien es die Arbeitsmarktzahlen oder Aussagen der Fed. Gleiches kann man aber nicht auf jedes Land der Welt anwenden. Und zu guter letzt zu den Regeln. In der heutigen wirtschaftlichen Auseinandersetzung gibt es soviel mehr Studien, die den Nachweis erbringen, dass eine Regelbasierte Zentralbankpolitik nicht besser als eine ist, die einen gewissen Handlungsspielraum hat, dass ich es kaum glauben kann, dass überhaupt noch darüber diskutiert wird. Und um nen Namen zu nennen, der m.E. ziehmlich viel zu diesem Thema geforscht und publiziert hat, lesen Sie es bei Alan Blinder nach. Gerade in einem globalen Kontext erscheint es mir geradezu waghalsig zu verlangen nicht einen gewissen Handlungsspielraum zu gewährleisten. Und ebenfalls frage ich mich, ob diejenigen die behaupten wir bräuchten gar keine Zentralbanken in einem kapitalistischem System, sich jemals mit der Geschichte von Finanzkrisen auseinandergesetzt haben. Denjenigen möchte ich nahe legen sich noch mal mit Kinddleberger sowie Rogoff & Reinhardt näher zu beschäftigen. Kein Wunder dass die Ökonomie nicht weiter kommt, wenn Sie auf Menschen hört die unbeirrbar auf eine Theorie von vor über 50 Jahren zurückgreift. Damals da glaubte man auch an stationäre Systeme. Wenn eine Regel in der Realität ausreichen würde, für eine erfolgreiche Geldpolitik…wozu die ganzen Pressekonferenzen, Minutes, Voice Reports, economic outlooks, arbeitsmarktdaten kommentiert von Zentralbanken? Wenn tatsächlich die Regel ausreichen würde, bräuchte es keine Zentralbankkommunikation. Dann könnten alle Wirtschaftssubjekte anhand der Regel die Geldpolitik vorraussehen und danach handeln. Dann gäbe es also allgemeine Information, symmetrische und nicht asymmetrische aber dann bräuchten wir auch keine Geschäftsbanken mehr, schließlich könnte Kredit ja auch von Wirtschaftssubjekt zu Wirtschaftssubjekt weiter gegeben werden. Und “Moral Hazard” oder “adverse selction”, wäre niemals ein Problem. Viel spannender ist die von einigen Autoren aufgeworfene Frage nach der Inflation und der Rolle von M3, vor allem wie schaut eigentlich die Entwicklung von M3 in den USA aus, schließlich wird sie seit 2006 nicht mehr veröffentlicht…de facto, fällt die Geldmengenentwicklung deswegen so niedrig aus, weil die Finanzinstitute, dass Geld wieder bei der EZB anlegen anstatt es dem Wirtschaftskreislauf zu zuführen. Würde die Menschen nun maßig Kredite nachfragen, hätten wir schnell ein Problem, haben wir aber nicht weil die Menschen Angst vor der Zukunft haben, Angst vor Arbeitslosigkeit, Altersarmut, usw.
By the way, guter Artikel.
<p>Wenn man alleine auf Fakten...
Wenn man alleine auf Fakten schaut, lag bei der Inflationsprognose bisher Paul Krugman richtig und alle Inflationspropheten hatten bisher unrecht:
“The other side of this debate has been predicting runaway inflation for more than four years, as the monetary base has tripled. The same people predicted soaring interest rates from government borrowing. Meanwhile, the liquidity-trap people like me predicted what would actually happen: low inflation and low rates. This has to be the most decisive real-world test of opposing theories ever.”
krugman.blogs.nytimes.com/…/rage-against-the-coin
Dass die Geldbasis empirisch eine sehr unzuverlässige Größe für Inflationsprognosen ist, habe ich in den vergangenen Monaten mehrfach behandelt:
faz-community.faz.net/…/droht-uns-inflation.aspx
faz-community.faz.net/…/leben-deutsche-oekonomen-auf-einem-anderen-planeten.aspx
<p>Sehr geehrter Herr...
Sehr geehrter Herr Braunberger,
die Geldmenge M3 ist in den letzten Jahrzehnten so um das Doppelte von 3,8 % pro Jahr im Schnitt gewachsen (siehe EZB). Daß das momentan anders ist, ist ja bekannt, ändert aber nichts an dem was geschehen und somit an Geldmenge vorhanden ist.
Zu Mister Krugman und ZB`s. Was Banken wissen, müssen Ökonomen nicht wissen, wie die Debatte Keen-Krugman leider zeigte.
Momentan versuchen die FED samt ZB`s im Schlepptau die Geldblase vom Assetmarkt in den Güter- und Dienstleistungsmarkt zu drängen, um über finanzielle Repression und schleichende Enteignung der Sparer (negative Realzinsen) die Konjunktur künstlich wieder anzukurbeln.
Ja glauben Sie denn, daß, nachdem die Zentralbanken die ungeheure Geldschöpfung in den letzten Jahren zu verantworten haben (sie gaben und geben den Rahmen für das Bankensystem) und somit die Wirtschaft künstlich nach oben getrieben haben, daß diese ZB`s je in der Lage sein werden, sich sogenannt unanbhängig zu verhalten?
Dies gilt ebenso, nachdem sie in den Modus Inflation umgeschaltet haben (wenn es Ihnen gelingen sollte, was noch nicht sicher ist). Sie können sich auch dann nicht mehr aus der zugewachsenen Verantwortung für künstliches Wachstum lösen und werden keine gegenteilige Maßnahmen treffen können.
Die Vorstellung in die wir geraten sind, daß Geldpolitik für Wachstum sorgt, kommt immer dann auf, wenn es gilt, einfache kurzfristige Lösungen noch zu finden. Z. B. am Ende eines Verschuldungszyklus.
MfG
<p>Hat die Unabhängigkeit...
Hat die Unabhängigkeit einer Zentralbank überhaupt noch einen Sinn?
Ein guter Artikel, weil er über Meinungen informieren will, die als Antworten auf diese Frage verstanden werden könnte.
Ihre eigene Anmerkung dazu, Herr Braunberger, – 1. Die Ansprüche an Geldpolitik sind zu hoch. – ist allerdings eine fatalistische Antwort auf diese Frage. Und zwar deshalb, weil das Verstehen von „Unabhängigkeit“ nicht selbst in Frage gestellt wird und auch nicht, wer diese „Ansprüche an Geldpolitik“ stellt, wie „hoch“ diese nur sein dürften.
Das beliebige Verstehen von „Unabhängigkeit“ wird auch nicht dadurch eingeschränkt mit: „De-jure-Unabhängigkeit und De-facto-Unabhängigkeit“. Denn damit wird beliebiges Verstehen mit unterschiedlichen Bezeichnungen „klassifiziert“.
Die Frage, warum und wofür eine Zentralbank „unabhängig“ sein müsse – also nicht, warum und wofür sie unabhängig ist – führt schnell zu einer ersten Antwort: Sie ist nicht unabhängig; sie ist abhängig von der für die „Realwirtschaft“ notwendigen Geldmenge, die sie von anderen Entscheidungen zu „Geld“ unabhängig beherrschen muss.
Wenn also „Ökonomen“ sich als Wissenschaftler verstehen wollen, dann sollten sie zunächst ihr Sprach-Werkzeug überprüfen, ob dieses Werkzeug für das Verstehen der als Wirklichkeit feststellbaren Zusammenhänge geeignet ist. Für eine Wissenschaft ist es dann geeignet, wenn mit ihm nicht beliebiges Verstehen zum Ausdruck kommt, wenn das damit zum Ausdruck Gekommene nicht beliebig verstanden werden kann.
<p>Na dann ist ja alles in...
Na dann ist ja alles in Ordnung! Dann haben wir ja in Wirklichkeit keine Krise, in der ständig Banken gerettet werden müssen? Habe ich das alles nur geträumt?
Haben Sie vielleicht nicht doch etwas übersehen? Vielleicht können auch einfach nur die Renditeansprüche, die mit der Geldschöpfung einhergehen, nicht mehr durch reales Wachstum erwirtschaftet werden? Was ist denn dann für Sie eine überbordende Geldschöpfung? Wie ist das z.B. mit der Bilanzsumme von 2 Billionen Euro der Deutschen Bank bei einem Eigenkapital von gerade mal 50 Milliarden? Wer soll denn bitte die Renditen erwirtschaften? Wer soll denn die zu erwartenden Verluste tragen? Irgendjemand muss das bezahlen, oder? Wie ist das, wenn das weltweite Derivateaufkommen ca. das 10-fache des weltweiten BIP beträgt – kein Problem?
Doch, es ist nämlich ein Schneeballsystem und jeder hofft, dass nicht gerade bei ihm das Spiel zu Ende geht. Das ist im übrigen genau die Bezeichnung, die “Boston Consulting” für das internationale Finanzsystem gefunden hat: “Schneeballsystem”. Das Finanzsystem muss vom Kopf auf die Füsse gestellt werden.
LG A. Gehrmann
@Gehrmann
Die Geldmenge M3...
@Gehrmann
Die Geldmenge M3 ist in der Eurozone zuletzt mit einer Jahresrate von 3,8 Prozent gewachsen. Die Menge der an Private vergebenen Kredite war sogar leicht rückläufig. Inwiefern ist die private Geldschöpfung angesichts solcher Zahlen außer Kontrolle geraten?
<p>Hallo Herr...
Hallo Herr Braunberger,
Danke für die Rückmeldung!
Wie würden Sie denn das Ausmass der (Giral-) Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken unter den gegebenen Bedingungen bezeichnen?
Ich finde den Ausdruck “maßlos gefährlich” schon sehr passend!
Da wird nämlich versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Das führt m.E. in die Katastrophe. Eine Bereinigung erfolgt eben nicht und ist wohl auch gar nicht angedacht. Stattdessen werden die nächsten Blasen produziert, die letztlich mit einem Riesenknall platzen werden. Dagegen wird Lehman ein laues Lüftchen gewesen sein. Naja, ich hoffe wirklich dass ich NICHT recht behalte …
LG A. Gehrmann