Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

AEA Meeting (4): Das Schweigen der Ökonomen

Wann äußert Kenneth Rogoff sich klar zur Schuldenlage der Vereinigten Staaten? Und wann gibt Nobelpreisträger Thomas Sargent seine politische Zurückhaltung auf? Auf der Jahrestagung der American Economic Association bleiben Fragen offen.

Angesichts der in allen Industriestaaten drastisch gestiegenen Staatsschuld und der Euro-Schuldenkrise sollte man meinen, dass Ökonomen dazu neutrale und klare Worte an alle Regierungen finden. Auf der Jahrestagung der American Economics Association im kalifornischen San Diego war das Interesse des Publikums auf jeden Fall riesig. Der Saal war bei einer Sitzung über die staatliche Schuldenkrise dicht besetzt – ganz im Gegenteil zu dem mageren Interesse, dass eine Debatte über die Unabhängigkeit von Zentralbanken auf sich zog. Dennoch war am Schluss die Enttäuschung unter den Zuhörern weit verbreitet. Ein Grund: Das Schweigen von Ökonomen.

Rogoff erwartet größere Defaults in Europa

Kenneth Rogoff von der Harvard Universität präsentierte ein Standardprogramm mit vielen Grafiken und Details aus dem hoch gelobten, aber mittlerweile drei Jahre altem Buch „This time is different” (zusammen mit Carmen Reinhart) und Folgestudien. Die Kernelemente dieser Erzählungen aber sind mittlerweile bekannt. Staaten gehen viel öfter in Default und schulden um, als man denkt. Ab einer Staatsschuld von 90 Prozent leidet in den Industriestaaten, den sogenannten entwickelten Volkswirtschaften, das Wachstum. Auch die scharfe Aussage, dass er das Ende der Schuldenkrise in Europa noch lange nicht sieht und weitere und größere Defaults als in Griechenland erwartet, ist nicht wirklich mehr überraschend.

Eine Erwähnung wert ist Rogoffs Hinweis, dass Schulden in ausländischer Währung sich nicht durch Inflationierung verringern lassen. Diese Konstellation gebe es in Europa noch in einigen Ländern. Eine Konkursordnung für souveräne Staaten auf internationaler Ebene, den der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard wieder in die Diskussion brachte, sieht Rogoff nicht als Lösung der wiederkehrenden Staatsschuldenkrisen. Er riet vielmehr als Teillösung dazu, Staatsanleihen an die Inflation zu indexieren.

Auffällig dabei war aber wie schon so oft, dass Rogoff die Euro-Schuldenkrise scharf im Blick hat, aber klare Worte über den Schuldner Vereinigte Staaten vermeidet. Der Frage aus dem Publikum weicht er aus. Wissenschaftliche Modelle prognostizierten vor allem, dass Schuldenkrisen schwer zu prognostizieren seien, sagte Rogoff.

Ein zumindest historisch positives Bild des amerikanischen Schuldners zeichnet Simon Johnson vom Massachusetts Institute of Technology in Boston. Seit 1789 hätten die Vereinigten Staaten ihre Schulden immer bezahlt – wobei Johnson wie Rogoff die Neuadjustierung des Dollar zum Gold in den dreißiger Jahren als faktischen default sieht und auch die finanzielle Repression nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zwecke des Schuldenabbaus wohl nicht als ganz koscher betrachtet. Die gute Leistung als Schuldner führt Johnson unter anderem auf die Überzeugungen von Alexander Hamilton, den ersten Finanzminister, und auf James Madison, den vierten Präsidenten, zurück.

Der Nutzen des Dollar-Privilegs

Schneller Sprung in die Neuzeit: Die drastische Ausdehnung der Schulden nach der Finanzkrise sei – was häufig übersehen werde – zum Großteil Folge der schweren wirtschaftlichen Rezession, sagt Johnson. Historisch dagegen waren Kriege die Ursache für zeitweise Anstiege der Schuldenlast. Johnson betont, dass der Schuldner Vereinigte Staaten vom Privileg profitieren, den Dollar emittieren zu dürfen. Doch sei es „dumm”, auf Sicht von zwanzig Jahren auf den Dollar zu wetten. Europa und der Euro werden zurückkommen, sagt Johnson. Und China dringe darauf, international den Renminbi zu etablieren. Schaffen die Vereinigten Staaten unter diesen Bedingungen, ihren Schuldenstand auf eine dauerhaft tragfähige Basis zu stellen und den Staatshauhalt zu sanieren? „Ich weiß es nicht”, sagt Johnson.

Auftritt von Thomas Sargent, dem Träger des halben Nobelgedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften von 2011. Sargent geht in die Details der theoretischen Analyse und stellt einige Modelle anderer Wissenschaftler vor, die sich darum drehen, ob die Staatsverschuldung langfristig überhaupt Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Angesichts der Modellannahmen erscheint das direkt als seine sehr hypothetische Vermutung.

Noch 2010 hatte Sargent in einem Interview darüber räsoniert, ob man nicht zu goldgedeckten Währungen zurückkehren müsse, um die Zentralbanken in ihrem unheilvollem Lauf zu bremsen, sich als Erfüllungsgehilfen der Finanzpolitik anzusehen und das Aufblühen der Staatsschuld zu begünstigen. Seit der Erteilung der Nobelpreiswürde aber ist er wirtschaftspolitisch verstummt. Das ist sympathisch, als Sargent nicht wie andere der Preisträger hausieren geht und sich plötzlich zu allen wirtschaftlichen Themen als Experte berufen fühlt. Klare Aussagen zur Wirtschaftspolitik aber gibt es von ihm nicht. Verquast beendet er seine Ausführungen mit dem Satz: „Das soll nicht bedeuten, dass ich den Aussagen von Ken (Rogoff) zu Europa nicht zustimme.” Und was ist mit Amerika?

Weitere Berichte vom AEA Meeting:

Hat die Unabhängigkeit einer Zentralbank noch einen Sinn?

Ein Überblick über interessante Studien (englisch)

Verstärkt die Globalisierung die Ungleichheit? Ja, aber nicht auf lange Sicht.

 

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