Die Ankündigung der neuen japanischen Regierung, mit Unterstützung der Bank von Japan aktive Konjunkturpolitik zu betreiben und dafür eine Abwertung des Yen zu erzielen, ist nur das jüngste Beispiel einer nationalen Geldpolitik, die internationale Folgen ihres Handelns anstrebt. Die Sorge, das Beispiel Japans könne Schule machen und einen internationalen Abwertungswettlauf auslösen, hat Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Warner auf den Plan gerufen. Für die EZB versicherte am Dienstag Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen, man verfolge kein Wechselkursziel. Erst vor wenigen Tagen hatte allerdings der scheidende Vorsitzende des Ecofin, Jean-Claude Juncker, vor einer Überbewertung des Euro gewarnt.
Abwertungswettläufe, bei denen Länder durch die Verbilligung ihrer Währungen Exporterfolge auf Kosten anderer Länder erzielen wollen, gelten seit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre als ein unseliges Politikmittel. In der aktuellen Krise bekennt sich, von Japan abgesehen, kein großes Land zu dieser Strategie. Aber besonders in Schwellenländern wirft man den Amerikanern, den Japanern und gelegentlich auch den Europäern vor, sie strebten eine Abwertung ihrer Währungen aus konjunkturpolitischen Gründen an. Der brasilianische Finanzminister Guido Mantega hat den Amerikanern mehrfach nachgesagt, sie führten mit ihrer expansiven Geldpolitik einen “Währungskrieg”. Auch aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF) kamen mehrfach Warnungen vor einem Abwertungswettlauf. Die Amerikaner weisen solche Vorwürfe zurück; zumal die Fed keinerlei Befugnisse in der Wechselkurspolitik besitzt. Umgekehrt werfen die Amerikaner den Chinesen vor, durch einen künstlich niedrig bewerten Renminbi (Yuan) ihre Exportindustrie zu Lasten anderer Staaten zu fördern.
Unbestritten haben in den vergangenen Jahren Markteingriffe vor allem in Schwellenländern die Debatte um Eingriffe in den internationalen Kapitalverkehr befördert. Der IWF hat im Herbst 2012 in einer bemerkenswerten Richtungsänderung seine ehemalige grundsätzliche Ablehnung von Kapitalverkehrskontrollen aufgegeben. Allerdings ist es nicht sachgerecht, nun überall den Ausbruch von “Währungskriegen” zu vermuten. Manche Eingriffe in den freien Kapitalverkehr von Schwellenländern dienten vor allem dem Zweck, das heimische Banksystem zu stabilisieren, nachdem in der vergangenen Dekade nicht zuletzt europäische Großbanken Dollar zur Verbreitung erheblicher Dollarbeiträge in der Welt beigetragen hatten. Dies gilt zum Beispiel für Korea.
Brasilien hatte im Jahre 2009 den internationalen Kapitalverkehr durch Eingriffe verteuert, um eine starke Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar zu bremsen. Im vergangenen Jahr hat Brasilien diese Eingriffe gelockert, weil mit der Beruhigung der Rohstoffhause auch der Aufwertungsdruck auf den Real nachließ. Die jüngste Baisse des Yen gegenüber dem Dollar relativiert sich nach einem Blick auf einen langfristigen Kursverlauf. Danach wirkt die Abwertung des Yen als eine kleine Korrektur einer seit vielen Jahren andauernden Hausse des Yen gegenüber dem Dollar. In einem zehnjährigen Vergleich ist der Yen gegenüber dem Dollar immer noch hoch bewertet.
In Europa hatte in jüngerer Vergangenheit die Schweiz ein deutliches Zeichen gesetzt, indem sie die Interessen ihrer Exporteure durch Eingriffe der Schweizerischen Nationalbank (SNB) verteidigte. Die SNB hielt die Abwertung des Euro gegenüber dem Franken bei einem Kurs von 1,20 Franken durch massive Stützungskäufe am Devisenmarkt auf. Nach unbestätigten Meldungen ist die SNB durch die Umwandlung eines Teils ihrer Euro in deutsche Bundesanleihen darüber zum größten Einzelgläubiger der Bundesrepublik Deutschland geworden. Seit dem Verzicht der Europäischen Zentralbank (EZB) auf eine weitere Senkung ihrer Leitzinsen hat der Euro an den Devisenmärkten gegenüber vielen Währungen aufgewertet, darunter auch gegenüber dem Franken. Der aktuelle Kurs liegt bei rund 1,25 Franken.
Aus der Abkehr nationaler Geldpolitiken von langfristiger Stabilitätspolitik, die sich nach einer Untersuchung von Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) seit dem Jahr 2003 beobachten lässt, leitet der bekannte amerikanische Makroökonom John Taylor (Stanford University) die Forderung nach einer internationalen Kooperation in der Geldpolitik ab. Taylor hat hierzu ein aktuelles Forschungspapier („International Monetary Coordination and the Great Deviation”) veröffentlicht.
Dieses Plädoyer ist umso bemerkenswerter, als Taylor wie viele andere Ökonomen viele Jahre lang eine internationale Kooperation der Geldpolitik für fragwürdig hielt. Spätestens seit den achtziger Jahren war in Fachkreisen die Ansicht verbreitet, Zentralbanken sollten ihre Politik an nationalen Stabilitätszielen ausrichten. Flexible Wechselkurse dienen in diesem Modell als eine Art Puffer, der eventuell unliebsame Folgen der Geldpolitik großer Länder wie der Vereinigten Staaten von anderen Ländern fernhält.
Taylor hält diese Prinzipien immer noch für richtig, sofern die nationalen Zentralbanken eine an der langfristigen Stabilität ausgerichteten Politik betreiben. Aber wichtige Zentralbanken wie die amerikanische Fed, die Bank von England, die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank von Japan und die Schweizerische Nationalbank (SNB) betreiben längst eine Politik, die nicht mehr der Lehrbuchtradition folgt. Nach Ansicht Taylors und anderer Ökonomen unter anderem, aber nicht nur aus Schwellenländern besteht die Gefahr, dass die internationale Ausbreitung schlechter Geldpolitik zusätzlichen Schaden erzeugt. Daher sieht er in einer internationalen Kooperation der Geldpolitik eine Voraussetzung, um den Schaden schlechter Geldpolitik einzugrenzen und auf den Pfad der Tugend zurück zu kehren.
Taylor sieht mehrere Mechanismen, mit denen sich schlechte Geldpolitik international ausbreitet, wenn sie von großen Ländern betrieben wird. Betreiben die Amerikaner eine zu expansive Geldpolitik mit sehr niedrigen Zinssätzen, senken Zentralbanken auch in anderen Ländern ihre Zinsen, um eine Aufwertung der Währungen ihrer Länder und eine damit verbundene Gefährdung ihrer Exportwirtschaft zu verhindern. Falls niedrige Zinsen den Aufwertungsdruck nicht aufhalten, greifen manche Länder zu Devisenkäufen an den Währungsmärkten und Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs. Es gibt viele Zentralbanken kleinerer Länder, die nahezu automatisch der Geldpolitik großer Länder folgen. Taylor nennt das Beispiel der Zentralbank Norwegens. Auf diese Weise haben sich um den Dollar und um den Euro regionale Währungsräume gebildet. Hier verzichten Länder freiwillig auf die Flexibilität des Wechselkurses.
Aber auch flexible Wechselkurse schützen ein kleines Land in Zeiten international tätiger Banken nicht vor unliebsamen Folgen lockerer Geldpolitik in großen Währungsräumen. Die Ökonomen Valentina Bruno und Hyun Song Shin zeigen den Mechanismus: Sehr niedrige Zinsen in den Vereinigten Staaten veranlassen Banken, Kredit auch an Unternehmen in Schwellenländern zu vergeben. Die Erwartung, dass die Währung eines Schwellenlandes wegen der expansiven Geldpolitik in den Vereinigten Staaten gegenüber dem Dollar aufwertet, verleitet die Banken zu großzügigerer Kreditvergabe und damit der Akzeptanz größerer Risiken, weil mit einer Aufwertung der Währung des Schwellenlandes der Dollar-Gegenwert des in der Währung des Schwellenlandes finanzierten Projekts steigt. Diese exzessive Kreditvergabe der Banken stellt jedoch eine Gefahr für die Finanzstabilität auch in den Schwellenländern dar. Daher habe diese einen Anreiz, selbst durch niedrige Zinsen Aufwertungserwartungen für ihre Währungen zu verhindern.
Mit der verbreiteten Kritik an den internationalen Folgen besonders der amerikanischen Geldpolitik kehrt die währungspolitische Debatte zu einer Denkfigur zurück, die vor rund einem halben Jahrhundert in Anlehnung an einen belgischen Ökonomen als “Triffin-Dilemma” bezeichnet worden ist. Es besagt, dass in einer Weltwirtschaft mit einer nationalen Währung wie dem Dollar als De-facto-Weltleitwährung die nationalen geldpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten nicht zwingend mit dem währungspolitischen Interesse der Weltwirtschaft übereinstimmen müssen. Mit anderen Worten: Selbst wenn die aktuelle Geldpolitik der Fed für die Vereinigten Staaten angemessen sein sollte, kann sie erhebliche störende Wirkungen auf den Rest der Welt ausüben.
Der Gebrauch des Begriffs “Währungskrieg” belegt eher Ratlosigkeit angesichts der Frage, wie ein funktionsfähiges Weltwährungssystem heute aussehen könnte. Zwar nimmt die Zahl prominenter Befürworter einer internationalen Zusammenarbeit in der Geldpolitik zu (zum Beispiel hier und hier), aber es gibt auch zahlreiche Gegner, nicht nur in nationalen Zentralbanken.
Dieser Beitrag beruht auf den F.A.Z.-Artikeln “Tokio weckt Angst vor Abwertungswettlauf” (21. Januar 2013) und “Monetäre Kooperation ist sinnvoll” (23. Januar 2013).