Sie waren die bedeutendsten Reformen des vergangenen Jahrzehnts: die Hartz-Reformen. Benannt sind sie nach Ex-VW-Personalvorstand Peter Hartz, der sie ausarbeitete. Bekannt sind sie heute vor allem durch Hartz IV, die vierte Welle der Reform. Sie war umstritten, umkämpft und steht bis heute für die seither niedrigere Bezahlung von Menschen, die für längere Zeit arbeitslos sind – von den einen unmenschlich geschimpft, von den anderen unvermeidbar genannt.
Dass diese Reformen etwas bewirkt haben, bestreitet niemand. Die einen sagen, sie haben Deutschland ein Arbeitswunder beschert, wo auf einmal Arbeitslose und offene Stellen schneller zusammenfanden (und auch neue Stellen entstanden). Die anderen glauben, mit den Reformen habe man Arbeitslose vor allem schikaniert und in die Armut getrieben, statt ihnen zu helfen. Die Frage ist also: Wie haben die Reformen gewirkt? Und wie stark war der Effekt?
Wer die Fakten anschaut, muss eines konstatieren: Die Ausgangslage in Deutschland war bedrückend, als die Hartz-Reformen vom Jahr 2003 an eingeführt wurden. Nach der Wiedervereinigung war die Zahl der Arbeitslosen auf über 4 Millionen gestiegen. Die Arbeitslosenquote, die einst bei 6 oder 7 Prozent lag, stieg plötzlich auf 10 Prozent. Der Kanzler redete nicht über Währungskrisen, Bankenbändigung oder die Haushaltsdisziplin ausländischer Staaten, sondern nur über die Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Ein Blick auf die Fakten zeigt auch: Die Arbeitslosenzahlen sind seit 2006 stark rückläufig (mit einem kleinen Knick in der Krise). Ein erstes deutsches Beschäftigungswunder nennen das die Ökonomen aus dem Ausland. Das zweite gab es während der Finanzkrise, als die Deutschen mit Kurzarbeit die Beschäftigten in den Betrieben hielten, bis die große Angst vorbei war.
Aber hat das tatsächlich etwas mit den Reformen zu tun, die zwischen 2003 und 2005 in Kraft traten?
Das haben René Fahr und Uwe Sunde von den Universitäten Köln und Bonn untersucht. Sie stellen die Frage, ob die Hartz-Reformen I bis III dafür gesorgt haben, dass Arbeitslose schneller wieder eine Stelle finden. Gerade Hartz IV nehmen sie aus. Das hat mit Datenproblemen zu tun, ist aber vielleicht auch ganz gut so. Denn es ist selbst ökonomisch Ungebildeten direkt einsichtig, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn das Geld für Arbeitslose gekürzt wird. Der Nobelpreisträger Edmund Phelps formulierte das im Jahr 2007 in dieser Zeitung so: “Wenn Sie die Arbeitslosenunterstützung kappen, kriegen Sie mehr Beschäftigung. Das ist ein simpler Mechanismus. Mit wirtschaftlicher Dynamik hat das nichts zu tun.”
Fahr und Sunde schauen also nach den Effekten der Hartz-Reformen I/II, beide seit 2003 in Kraft, und von Hartz III, das 2004 kam. Zur Erinnerung: Bei Hartz I und II ging es um Dinge wie Ich-AG, Minijobs, Bildungsgutscheine, Jobzentren und die Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer befristet einzustellen. Hartz III war das Gesetz, das die Bundesanstalt für Arbeit in die Bundesagentur für Arbeit umtaufte – und sie unbürokratischer und effizienter machen sollte.
Die Forscher untersuchen einen ganzen Datensatz zu monatlich berichteten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Da geht es um offene und besetzte Stellen, die Zahl von Neu-Arbeitslosen und Wieder-Beschäftigten. Damit können sie für die Monate vor und nach den Reformen rekonstruieren, wie schnell die Vermittlung der Arbeitslosen in neue Stellen war. Sie differenzieren dies auch nach Berufsgruppen.
Ihr zentrales Ergebnis: Die Reformen haben gewirkt. Hartz I und II etwa, beide zum 1. Januar 2003 eingeführt, “beschleunigten den Abfluss aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung um fünf bis zehn Prozent”, schreiben die Autoren. “Das entspricht einer Verringerung der durchschnittlichen Dauer von Arbeitslosigkeit im gleichen Ausmaß.” Ich-AGs, Minijobs, Bildungsgutscheine – all das wirkte sich also recht schnell aus.
Aus anderen Studien weiß man, dass nicht jede Maßnahme aus den Hartz-Paketen sinnvoll war. Wenig erfolgreich war die erleichterte Befristung älterer Angestellter. Negativ wirkten sich sogar die Personal-Service-Agenturen aus, in denen private Arbeitsvermittler den Arbeitslosen zur neuen Stelle verhelfen sollten. Sie führten sogar dazu, dass langsamer vermittelt wurde. Der Gesamteffekt blieb aber deutlich positiv. Entlassene fanden schneller eine neue Stelle als zuvor.
Überraschender ist das Ergebnis zu Hartz III, der Umgestaltung der alten Bundesanstalt für Arbeit, in Kraft seit 1. Januar 2004. Das Gesetz wurde von wenigen als Herz der Hartz-Vorschläge gesehen. Doch Fahr und Sunde finden in ihren Daten Belege, dass auch dieser Umbau der alten Bürokratie stark wirkte. “Die Schnelligkeit des Matching (von Arbeitslosen und offenen Stellen) zog an, nachdem die zweite Welle der Reformen umgesetzt war, im Vergleich zum Jahr vorher, nach der ersten Reformwelle”, schreiben sie.
Schön ist, dass die Forscher auch untersuchen, wer eigentlich die Gewinner waren unter den Arbeitslosen. Wer erhielt schneller als vorher eine neue Stelle? Dazu untersuchten Fahr und Sunde die Vermittlungsgeschwindigkeit je nach Beruf. Und stellten fest, dass es vor allem die einfacheren Arbeiter in der Industrie waren, die profitierten, darunter Berufe vom Drucker bis zum Elektriker. Ein wenig wirkten Hartz I und II auch im Handwerk. Für die Akademiker und Hochqualifizierten verbesserte sich aber kaum etwas. So haben die Gruppen, die wohl auch die größte Last von Hartz tragen mussten, am Ende auch am meisten davon profitiert. Das sollte keiner vergessen, der Hartz als ungerecht bezeichnet.