- James Bullard (Foto Fed)
Es ist das geldpolitische Problem dieser Jahre: Was soll eine Zentralbank tun, die ihren Leitzins bereits auf oder nahe null Prozent gesenkt hat, die aber angesichts zu niedriger Inflation und schwachen Wirtschaftswachstums einen weiteren Handlungsbedarf verspürt? James Bullard ist ein versierter Ökonom mit sehr guten theoretischen Kenntnissen, der seit einigen Jahren als Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis zur geldpolitischen Elite in den Vereinigten Staaten gehört.
Heute abend erwog er in einem Vortrag an der Goethe-Universität in Frankfurt fünf geldpolitische Optionen. Organisiert hatte die Veranstaltung das der Universität angegliederte Institute for Monetary and Financial Stability unter Leitung des Frankfurter Ökonomen Volker Wieland.
1. Option. Verlockend, aber gefährlich: Nichts tun
Die Auffassung, ein Leitzins nahe null Prozent stelle bereits eine ausreichende Voraussetzung dar, für eine Belebung des Wirtschaftswachstums bei niedriger Inflationsrate zu sorgen, bezeichnete Bullard grundsätzlich als “nicht so verrückt, wie sie sich anhört”. Das Problem ist das japanische Beispiel. Es zeigt, dass sich bei einem Leitzins von null Prozent ein stabiles Gleichgewicht mit einer niedrigen negativen Inflationsrate (Deflation) und anämischer Konjunktur einstellen kann. Ein Chart, den Bullard in seiner Präsentation bereit hielt, deutet an, dass der Euroraum vom Japan-Szenario womöglich nicht mehr weit entfernt sein könnte.
2. Option. Von allen schlechten Möglichkeiten die beste: Quantitative Lockerung
Unter quantitativer Lockerung (“quantitative easing”) wird die Schaffung von Zentralbankgeld durch den Ankauf von Staatsanleihen oder anderer Wertpapiere verstanden. Diese Strategie verfolgt die Fed seit mehreren Jahren; als Folge ihrer Anleihenkäufe ist die Bilanz der Fed bereits kräftig gestiegen.
Bullards Befürwortung der quantitativen Lockerung lautet: Sie ist traditionellen geldpolitischen Instrumenten ähnlich, indem sie nominale und reale Zinsen beeinflussen will. Während die traditionelle Geldpolitik durch Steuerung des kurzfristigen Zinses funktioniert, nimmt die Zentralbank bei der quantitativen Lockerung auf die langfristigen Zinsen Einfluss. Nimmt man Ankündigungseffekte hinzu, zeigt sich, dass diese Politik in den Vereinigten Staaten tatsächlich Wirkung zeigt.
Sollte die EZB ihre Politik weiter lockern wollen, empfiehlt Bullard Staatsanleihenkäufe, deren Verteilung sich auf die einzelnen Länder nach ihrem Anteil am Euroland-BIP ausrichten soll. Das heißt, die EZB würde mehr deutsche Staatsanleihen kaufen als Anleihen eines einzelnen anderen Landes. Dadurch ersparte sich die EZB den Vorwurf, sie wolle einseitig wirtschaftlich schwache Länder stützen.
3. Option. Riskanter als erhofft: Geldpolitik durch Ankündigungen
Ein “neuer Schrei” in der Debatte um Geldpolitik ist die Forderung, eine Zentralbank solle durch mehrjährige bindende Ankündigungen das Spar-und Konsumverhalten der privaten Wirtschaftsteilnehmer beeinflussen. Eine solche Ankündigung könnte zum Beispiel darin bestehen, den Leitzins solange bei Null zu lassen, bis die Arbeitslosenquote unter einer bestimmten Zielmarke liegt. Vor allem der bekannte amerikanische Ökonom Michael Woodford hat sich für eine solche “Geldpolitik mit dem Mundwerk” (Forward Guidance) stark gemacht. Bullard hatte aber zwei Einwände gegen die Wirksamkeit dieses Konzepts:
– Erstens ist es nicht ausgemacht, dass die Ankündigungen der Zentralbank als glaubwürdig aufgenommen werden. Dann verhalten sich die privaten Wirtschaftsteilnehmer aber vermutlich nicht so, wie es sich die Zentralbank wünscht. *)
– Zweitens kann die Zentralbank mit solchen Ankündigungen Pessimismus erzeugen. Wenn eine Zentralbank beispielweise andeutet, dass sie den Leitzins noch mehrere Jahre sehr niedrig halten wird, könnten die Wirtschaftsteilnehmer daraus den Schluss ziehen: “Oh weh, die Zentralbank sieht uns noch Jahre lang in der Krise.” Dies kann die Ausgabebereitschaft von Haushalten und Unternehmen hemmen.
4. Option. Nicht so toll: Negative Einlagenzinsen
Eine auch in der EZB diskutierte Option besteht darin, negative Zinsen auf Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank zu erheben. Damit sollen die Geschäftsbanken veranlasst werden, ihr Geld nicht passiv bei der Zentralbank zu unterhalten. Bullard hat zwar in der Vergangenheit Sympathie für die Idee besessen, den Guthabenzins von 25 Basispunkten, die von der Fed den Geschäftsbanken gezahlt wird, zu senken. Aber er hält negative Einlagenzinsen für keine sehr wirksame Strategie, weil der Zins nicht andauernd gesenkt werden kann und die Zentralbank sich dann etwas anderes einfallen lassen muss.
5. Option. Auch nicht so toll: Operation Twist
Bei der”Operation Twist” hat die Fed auf der Laufzeitenkurve gespielt. Sie verkaufte aus ihrem Bestand Anleihen mit kurzen Restlaufzeiten und kaufte dafür Anleihen mit langen Restlaufzeiten. Bullard hält dieses Instrument auch nicht für sehr wirksam.
In der anschließenden Diskussion nahm Bullard noch zu anderen Themen Stellung. Hier eine Zusammenfassung:
– Er fände es besser, wenn die Fed wie die EZB per Gesetz nur der Preisniveaustabilität verpflichtet wäre.
– Falls die Zinsen steigen, drohen der Fed aus ihren umfangreichen Anleihebeständen Bewertungsverluste. Bullard befürwortet, dass die Geschäftsbanken als Eigentümer der regionalen Fed-Banken Kapitalzuschüsse leisten, mit denen künftige Bewertungsverluste ausgeglichen würden. Er hat aber keine Mehrheit für diesen Vorschlag.
– Von aktiver Finanzpolitik zur Krisenbekämpfung hält Bullard nichts. Finanzpolitik solle stattdessen einen langfristig glaubwürdigen Stabilitätskurs einschlagen.
– Bullard sagte, dass sich alle Zentralbanken der Gefahren bewusst seien, die sich aus lange Zeit sehr niedrigen Zinsen ergeben. Er nannte unter anderem die Gefahr von Vermögenspreisblasen, aber auch, dass das Sparen entwertet würde. Aus seiner Sicht ist die aktuelle Geldpolitik aus gesamtwirtschaftlichen Gründen aber unumgänglich.
– Bullard betonte auch die Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Banksystem. In den Vereinigten Staaten mussten in den vergangenen Jahren zahlreiche kleine und schwache Banken den Markt verlassen; in Europa gibt es noch viele dieser “Zombies”. **)
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*) Hier lag in den Diskussionen über Geldpolitik zwischen “Kantoos” und mir auf dem verblichenen Blog “kantooseconomics” ein Meinungsunterschied. “Kantoos” besaß großes Vertrauen in die Signaleffekte einer solchen Geldpolitik, ich weitaus weniger. Vermutlich bekommen wir in den kommenden Jahren interessantes Anschauungsmaterial.
**) Diese Unvollkommenheiten im Bereich der Banken und Finanzmärkte, in der Theorie “financial frictions” genannt, haben wir in F.A.Z. und FAZIT mehrfach thematisiert, zum Beispiel hier zusammen mit Markus Brunnermeier oder hier in meinem jüngsten Leitartikel.