Der neue Star Trek-Film (“Into Darkness”) ist ein großer Spaß: sehr unterhaltsam, komisch, zuweilen ernst, spannend, überraschend (bis auf die Tatsache, dass natürlich alle Zuschauer wissen, dass Star Trek-Filme immer gut ausgehen). Und wirklich gute Science Fiction – gegenwärtig realistische Konfliktkonstellationen werden so in eine fiktive Zukunft transportiert, dass sie nachvollziehbar bleiben und die Frage erlauben: Wie würde ich mich verhalten? Eine Frage, für die sich ja gerade Ökonomen interessieren, und vor allem dann, wenn es um Menschen geht, die nicht sie selbst sind.
Für Volkswirte, die sich mit der Finanzkrise und ihren Folgen beschäftigen, sind gerade die ersten rund zwanzig Minuten absolut sehenswert: Captain Kirk rennt rastlos einem Stamm Eingeborener davon, irgendwo in den Weiten des Star-Trek-Universums. Er tut dies, damit sein erster Offizier Spock unbemerkt in einen Vulkan hinabsteigen kann, der die gesamte nichts ahnende Eingeborenen-Zivilisation auslöschen würde, wenn er denn ausbräche. Das will und kann Spock verhindern – mit den technischen Möglichkeiten der Enterprise.
Gleichwohl – und jetzt wird es ökonomisch höchst relevant – kollidiert das gesamte Vorhaben mit der wichtigsten Regel, der sich Kirk, Spock und Co im Dienst unterordnen müssen: Sie dürfen sich nicht in die Entwicklung anderer Zivilisationen einmischen. Weil diese Regel für Raumfahrer so eminent wichtig ist, trägt sie im Star-Trek-Universum den Titel “Oberste Direktive”. Faktisch ist sie so etwas wie die No-Bailout-Klausel der Sternenflotte. “Die Oberste Direktive, auch Hauptdirektive oder Erste Direktive genannt, ist die wichtigste offizielle Direktive der Sternenflotte. Im Kern ist sie ein Ausdruck des Prinzips der Nichteinmischung”, heißt es beispielsweise auf der für Star-Trek-Hintergründe relevanten Internetseite memory-alpha.org (vielen Dank an den Kollegen Franz Nestler, der auf diese Quelle und ihre Bedeutung hinwies).
Die Regel wird dort präzisiert als insbesondere gültig im Umgang mit so genannten Präwarp-Zivilisationen. In die Sprache der Nicht-Nerds übersetzt, sind das Zivilisationen, die (noch) nicht in der Lage sind, Raumschiffe zu bauen, die schneller sind als das Licht (also mit Warp-Geschwindigkeit fliegen). Würde man das Star Trek-Vokabular in die Sprache der Finanzkrisenforscher übersetzen, wäre “präwarp” das funktionale Äquivalent zu “nicht systemrelevant”. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht hier nicht darum, nicht systemrelevante Banken oder Länder als unterentwickelt darzustellen, sondern um die Frage, ob man ihnen helfen darf oder soll, wenn sie in Schwierigkeiten stecken.
Zurück zum Film: Der Enterprise-Captain entscheidet sich dafür, den Untergang besagter Zivilisation zu verhindern. Das gelingt ihm und seiner Crew auch – allerdings nicht so wie geplant. Spock gerät in Lebensgefahr; die Enterprise-Crew kann ihn aber retten. Dabei sehen die Eingeborenen allerdings das Raumschiff und verehren es fortan – gleichsam als “unintended consequence” – als eine Art Gottheit. Genau so etwas sollte die Direktive verhindern.
Kirk (der Pragmatiker) muss sich infolgedessen vor dem Oberkommando der Sternenflotte verantworten. Sein Mentor Admiral Pike (der Dogmatiker) stellt ihn zur Rede und doziert über Verantwortung und Respekt, die sich mit dem Amt eines Raumschiffkapitäns verbänden, warum es Regeln gebe und es unerlässlich sei, diese einzuhalten, wenn Gemeinschaft (in diesem Fall: eine Raumflotte) funktionieren soll. Es klingt, als würde ein Vater mit seinem Sohn schimpfen. Und wirkt deswegen in gewisser Weise albern. Kirk weiß all das sowieso und kann nicht widersprechen. Auf seiner Seite steht bloß das Faktum, dass die Alternative seines Handelns viele Tote bedeutet hätte.
Der geneigte Zuschauer kann Kirks Handeln trotz des offensichtlichen Regelbruchs nachvollziehen und richtig finden. Warum? Nun, mit einer schlichten Gegenfrage geantwortet: Was hätte er denn stattdessen tun sollen? – Eben.
Man ahnt: Hier hat sich gerade so etwas wie die Dialektik des Dogmatischen gezeigt. Gerade um ein Ideal (hier: Regelwerk) zu erhalten, muss es möglicherweise mitunter gebrochen werden. Der Grund ist derselbe wie immer in diesem Kernkonfliktfeld – frei nach Böckenförde könnte man sagen: Auch die “Oberste Direktive” (und übrigens auch die während der Euro-Krise über den Haufen geworfene No-Bailout-Klausel) fußt auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. Oder konkret und auf diesen Star-Trek-Fall gemünzt: Die notwendige Voraussetzung dafür, dass eine vereinbarte Regel angewendet werden kann, bleibt, dass die Anwender überleben.
Gar nicht so relevant ist dabei, dass der Oberkommandierende der Sternenflotte, also das qua Funktion Person gewordene Dogma, selbst nahezu jede Regel außer der “Obersten Direktive” bricht, wie sich später im Film zeigen wird. Relevant – wiederum mit Blick auf die Gegenwart – ist eine wichtige Unterscheidung zwischen der Krise der geretteten Zivilisation in den Weiten des Star-Trek-Universums und der Finanzkrise und ihren Folgen: Ersteres ist eine (drohende) Natur-, das Zweite eine Kulturkatastrophe. Gegen Erdbebenhilfe hat niemand etwas einzuwenden.
Genug zur wirtschaftswissenschaftlich interessanten Seite des Films. Sehenswert sind selbstredend nicht bloß die ersten zwanzig Minuten, sondern der gesamte Kinofilm. Als gute Nachricht haben wir auch aufgenommen, dass J. J. Abrams nach den beiden gelungenen Raumschiff-Enterprise-Verfilmungen offenbar auch im ersten Star Wars-Film aus dem Hause Disney Regie führen wird.