Die Überraschung war groß, als im April eine Umfrage zeigte: Die Deutschen haben weniger Vermögen als die Leute in vielen anderen Staaten Europas. Die Umfrage kam nicht von irgendwem, sondern von der Europäischen Zentralbank, doch die Ergebnisse waren so überraschend, dass sie kaum jemand glauben wollte. Die Deutschen seien viel reicher, als die EZB-Umfrage vermuten lasse, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und die Italiener vermuteten, die Deutschen hätten bei der Befragung geschummelt. Mancher Fernsehsender fand die Studie gar so abstrus, dass er sie als unseriös abqualifizierte und in den Nachrichten komplett auf sie verzichtete. Warum sollten auch die reichen Deutschen weniger Vermögen haben als der Rest der Europäer?
Auf diese Frage gibt es jetzt eine mögliche Antwort. Vor einigen Tagen hat eine Gruppe italienischer Ökonomen eine Analyse veröffentlicht, die noch einmal auf anderem Weg die Vermögen in unterschiedlichen Staaten vergleicht. Ursprünglich hatten die Forscher die Studie schon im November für eine Tagung der wirtschaftspolitischen Organisation OECD ausgearbeitet, doch veröffentlicht haben sie die Daten erst jetzt.
Der wichtigste Unterschied zur EZB-Studie ist, woher die Daten stammen. Die Europäische Zentralbank hat das Vermögen ermittelt, indem sie die Menschen danach gefragt hat. Riccardo De Bonis von der Italienischen Notenbank und seine Kollegen wählen einen anderen Weg: Sie nehmen das gesamte Finanzvermögen der Haushalte, das die Statistiker der einzelnen Länder aus gesamtwirtschaftlichen Kennzahlen ermitteln. Zudem verwenden sie OECD-Daten über das reale Vermögen, also Immobilien und Fabriken. Ihre Werte setzen sie ins Verhältnis zur Bevölkerungsgröße und zur Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder. Dabei vergleichen sie nicht die EU-Staaten miteinander, sondern wichtige Wirtschaftsstaaten der ganzen Welt.
Das Ergebnis ist allerdings wieder das gleiche: Die Deutschen haben kaum Vermögen angespart. Von den acht großen Staaten, die die Forscher untersucht haben, besitzen die Menschen nur in einem Land weniger Finanzvermögen als in Deutschland: das ist Spanien. Doch während Spanien seinen Rückstand mit hohen Realvermögen wieder wettmacht, fehlt es den Deutschen auch daran.
Wie kann das passieren?
Sind zum Beispiel die Immobilienwerte in Spanien nur deshalb so hoch, weil sie in der EZB-Studie im Jahr 2008 auf dem Höhepunkt der spanischen Immobilienblase gemessen wurden? Das lässt sich nach der neuen Studie von De Bonis und seinen Kollegen fast ausschließen. Ihre aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2011, und sie zeigen: Die Vermögen der Spanier und Italiener sind in den vergangenen Jahren zwar wieder etwas zurückgegangen. Doch sie sind immer noch viel größer als die Vermögen der Deutschen.
Liegt es an der Wiedervereinigung und daran, dass Millionen Menschen in der Zeit der DDR kaum Vermögen bilden konnten? Nicht, wenn man den drei italienischen Forschern glaubt. Die Wiedervereinigung ist in ihren Daten nicht mal zu sehen.
Kann der Grund sein, dass die Deutschen in der Euro-Krise so viel Geld abschreiben mussten, das sie in die Peripheriestaaten investiert hatten? Nein, denn der Studie zufolge begann die Misere der Deutschen schon viel früher, bereits in den achtziger Jahren war ihr Vermögen vergleichsweise klein.
Oder sind die Deutschen reicher als gedacht, weil sie so eine großzügige Rente bekommen, wie Angela Merkel behauptete? Ältere Untersuchungen zeigen, dass die Rentensysteme von Italien oder Spanien mindestens genauso großzügig sind wie die deutschen. Und: Wenn die Deutschen sich auf ihre Rente verließen, dann würden sie weniger sparen. Tatsächlich aber spart kaum jemand mehr als die Deutschen. Von ihrem hohen Einkommen legen sie seit Jahren jedes Jahr mehr als ein Zehntel zurück.
Doch aus den Daten von De Bonis und seinen Kollegen ergibt sich eine andere Antwort auf die Frage, wo das Geld der Deutschen bleibt. Ihre Linien zeichnen ein Bild von einer Nation, die spart wie verrückt, aber ihr Geld vollkommen falsch anlegt. Aus lauter Angst um das kostbare Ersparte stecken die Deutschen ihr Geld in Anlageformen, die als sicher gelten – aber auf Dauer viel zu wenig Geld bringen.
Da ist zum Beispiel das allseits beliebte Tagesgeldkonto: Fast die Hälfte des deutschen Finanzvermögens liegt in Einlagenkonten. Dort geht selten etwas verloren, aber die Rendite ist mickrig. Das eine Prozent, das Direktbanken im Moment zahlen, gleicht nicht mal die Inflation aus.
Auch die Liebe der Deutschen zu ihrer Lebensversicherung findet sich in der Studie wieder: Versicherungsansprüche machen in Deutschland ein Drittel des Finanzvermögens aus. Auch die sind aber eher schlecht verzinst.
Der Lohn des Ganzen: Die Deutschen sind – zusammen mit den Franzosen und den Japanern – die Einzigen, die im Jahr 2011 schon wieder ihre Verluste aus der New-Economy-Krise ausgeglichen hatten. Aber sie hatten eben schon vor der New Economy kaum Vermögen. In den Ländern, in denen die Menschen mehr Geld in Aktien und Immobilien investieren, waren zwar die Verluste größer – aber das Gesamtvermögen war trotzdem deutlich höher, weil die Menschen vorher mehr verdient hatten.
De Bonis und seine Kollegen zeigen: Die Deutschen sparen zwar viel. Aber was den Zins angeht, gehören sie seit den späten neunziger Jahren fast jedes Jahr zu den Schlusslichtern. Das macht die ganze große Ersparnis zunichte. Und die Deutschen arm.
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