Völlig überraschend hat Thomas Straubhaar am Donnerstag angekündigt, dass er seine Position an der Spitze des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) aufgeben will. Der 57 Jahre alte Schweizer Wirtschaftsforscher wird im September nächsten Jahres ausscheiden, um sich eigenen Forschungsinteressen zu widmen, ließ er über die Universität Hamburg mitteilen. Er wolle sein „Lebenswerk“, das HWWI, dadurch bewahren, dass er zum richtigen Zeitpunkt abtrete, so dass ein geeigneter Nachfolger gesucht werde könne, sagte Straubhaar, der seit 1999 Präsident des Instituts ist.
Damals hieß es noch Hamburgisches Weltwirtschafts-Archiv und war wegen mangelnder Forschungsleistungen in eine tiefe Krise geraten. Drei Jahre blieb der Chefposten unbesetzt. 2005 erhielt das HWWA ein vernichtendes Zeugnis, daraufhin drohte der Verlust der öffentlichen Förderung. Straubhaar schaffte es, für ein neues Institut private Geldgeber aus der hamburgischen Wirtschaft aufzutreiben. Das HWWI – mit der Uni und der Handelskammer als Gesellschaftern – beschäftigt nun 50 Leute und hat seinen Ruf als Forschungsinstitut gefestigt.
Sein Abgang hinterlässt nun eine Lücke. „Ich bin fast vom Stuhl gekippt, als ich die Meldung gesehen habe“, sagte ein langjähriger Mitarbeiter des Instituts dieser Zeitung. Straubhaar wird seinen Lehrstuhl an der Universität Hamburg behalten. Außerdem habe er eine Einladung als ständiger Fellow der Transatlantic Academy in Washington. Er plane ein Freisemester dort, kündigte Straubhaar an, der vor allem über Migration, Arbeitsmärkte und die Globalisierung geforscht hat.
In Europa hat der Ökonom seit der Krise Freunde wie Gegner mit seinen Thesen überrascht. Mitarbeiter sprechen von einem spürbaren „Linksdrall“. „Ich bin linksliberal gestartet“, erklärt er selbst, jetzt kehre er zu dieser Position zurück. Schon seit langem plädiert Straubhaar für ein bedingungsloses staatliches Grundeinkommen. Einst forderte er zur Überwindung der deutschen Massenarbeitslosigkeit vor allem Deregulierung und weniger Kündigungsschutz. Der Ruf nach „mehr Markt“ geht ihm heute kaum noch über die Lippen. Finanzmärkte seien nicht so effizient, wie er einmal geglaubt habe, es brauche schärfere Regulierung.
„Ich will nicht mehr alte Thesen vertreten, von denen ich nicht mehr überzeugt bin“, sagt er. „Auch die Unabhängigkeit der Notenbank, an diese These glaube ich auch nicht mehr so sehr.“ Seine noch 2009 geäußerte Sorge vor hoher Inflation ist verflogen. Straubhaar ist der Einführung von Eurobonds nicht abgeneigt. Gänzlich unschweizerisch empfiehlt er, in Europa mehr Zentralismus zu wagen: Die EU sollte eine eigene Einkommensteuer erheben dürfen, zudem sei ein Länderfinanzausgleich nötig. Als einer der wenigen bekannten Ökonomen in Deutschland wirbt er für eine EU-Transferunion.