Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Euroland im Wandel: Deutschland wird französischer – und andere ändern sich auch

Die Krise der vergangenen Jahre hat Politik und Wirtschaft in der Eurozone nicht unbeeindruckt gelassen. Das gilt auch für drei der vier großen Länder: In Deutschland, Frankreich und Spanien ändern sich die "Geschäftsmodelle".

Dieser Beitrag fasst eine aktuelle Arbeit (“Swapping growth models in Europe”) von Gilles Moec zusammen, der als Ökonom bei der Deutschen Bank in London arbeitet, und ergänzt sie mit eigenen Bemerkungen und Hinweisen. Dass sich in der Euro-Wirtschaft etwas tut, ist unübersehbar – und wurde vor einiger Zeit von internationalen Kapitalanlagern entdeckt.

 

1. Deutschland wird französischer

Die Entwicklung der Produktivität in Deutschland und Frankreich verläuft schon lange parallel, wie die Grafik zeigt:

Allerdings wurden diese Produktivitätsgewinne unterschiedlich verwendet, wie der Blick auf die Lohnstückkosten (Unit Labour Costs, ULC) belegt: In Frankreich stiegen die Reallöhne, während in Deutschland lange Zeit Lohnzurückhaltung herrschte. Daraus leitet sich der nicht nur in Frankreich vernehmbare Vorwurf ab, Deutschland verhalte sich gegenüber seinen Partnern unkooperativ, weil es mit einer Niedriglohnpolitik seine Exporte fördere, aber gleichzeitig die für zunehmende Importe wichtige Zunahme seiner Binnennachfrage unterminiere. Das kann man auch heute noch von manchen linken Kritikern in Deutschland hören. *)

Bloß, stimmt das überhaupt noch? Moec: “Yet, such a view probably refers to an obsolete version of what is now the “German model”. Actually, since 2008, growth in unit labour costs has been remarkably similar across the two countries.” Und er fasst auch mit Blick auf aktuelle Debatten in Deutschland zusammen: “After 15 years of hard toil, it seems that the ‘zeitgeist’ in Germany is evolving towards some ‘controlled decompression’. We find it quite telling that the institution of a minimum wage is at the centre of the current negotiations between CDU and SPD towards forming a government coalition.”

Die Lohnerhöhungen ebenso wie die zunehmende Beschäftigung haben zu einer Belebung des privaten Konsums in Deutschland beigetragen – und damit nähert sich Deutschland dem französischen Modell an. In den vergangenen Jahren war der Konsum in Deutschland sogar dynamischer als in Frankreich.

Moec sieht damit auch Gefahren verbunden: “If price competitiveness stops improving – as has been the case in since 2008 – or even deteriorates if the wage dynamics get out of control, Germany will be faced with the simple choice of either accepting a lower contribution from net trade to GDP growth, thus embarking on France’s slippery slope, or offsetting the stagnation in price-competitiveness by increasing the intrinsic appeal of its products.”

Eine Veränderung des deutschen Wirtschaftsmodell, ohne in die französischen Kalamitäten zu geraten, erfordert nach Ansicht Moecs vor allem eine Steigerung der sogenannten Totalen Faktorproduktivität (TFP), also jener Produktivität, die nicht durch zusätzliche direkte Steigerung des Einsatzes von Kapital und Arbeit in den Produktionsprozess zu gewinnen ist:  “Germany continues to outperform the rest of Europe with the exception of Spain, but TFP has decreased, while it has continued to increase in the US and in Japan.”

Hier sieht Moec im wesentlichen zwei Möglichkeiten für den Staat:

– Staatsausgaben, die den technischen Fortschritt und seine Einbindung in den Produktionsprozess fördern, also Ausgaben für Bildung und Infrastruktur. Moec hält auch bessere Forschung an Universitäten für notwendig, was für ihn aber mehr ein organisatorisches als ein finanzielles Problem darstellt.

– Flexibilisierung der Wirtschaft, um einen effizienten Einsatz von Kapital und Arbeit zu erleichtern: “According to the OECD synthetic indicator on Product Market Regulation, Germany is still the most flexible country within the large Euro area member states, but the gap with the other European countries is thinning.”

Zusammengefasst: Dass  Deutschland mit Blick auf die Verteilung der Produktivitätsgewinne etwas “französischer” wird, ist nicht unbedingt nachteilig. Aber Moec beschreibt auch die Gefahr, dass Deutschland zu “französisch” wird, indem es einen zu hohen Mindestlohn einführt und zu hohe Staatsausgaben mit sich schleppt und gleichzeitig die weitere Flexibilisierung seiner Wirtschaft verschläft. Aber zwingend ist das nicht: “That Germany permanently embarks of this ‘French shift’ is not a foregone conclusion. There are ‘checks and balances’ in the German political and economic structures that are missing in France. In particular, the ultimate dependence of the German economy on foreign trade (exports in 2012 stood for 52.3% of GDP there against 28% only in France) offers a strong ‘selfstabilizing force’.”

 

2. Spanien wird deutscher

Die spanische Wirtschaft war in den Jahren vor der Krise in etwa das Gegenteil der effizienten deutschen Wirtschaft: Angefeuert durch negative Realzinsen wurden große Mengen an Kapital und Arbeit in einen wenig produktiven Wirtschaftszweig, die Baubranche, eingebracht. Seit Ende der neunziger Jahre verlief folgerichtig die Produktivitätsentwicklung in Spanien für einige Jahre sehr viel ungünstiger als in Deutschland und Frankreich.

Gleichwohl – auch dies ändert sich schon seit Jahren: “However, the catch-up in productivity observed since 2008 is impressive, with the gap relative to Germany and France accumulated between 1998 and 2008 closed in only 4 years. This was not simply due to some re-allocation across sectors following the collapse of construction. Actually productivity accelerated significantly across all the sectors of the Spanish economy.”

Besonders auch Moecs letzter Punkt ist wichtig. Nicht zuletzt Hans-Werner Sinn hat oft behauptet, der – nicht bestreitbare – Aufschwung der durchschnittlichen Produktivität in Spanien sei überwiegend das Ergebnis der Entlassung wenig produktiver Mitarbeiter in der Baubranche. Die Daten zeigen aber, dass die Produktivität nicht nur in der Baubranche zugenommen hat, sondern auch in der Industrie und im Dienstleistungsgewerbe.**)

 

Aber nicht nur die Arbeitsproduktivität ist gestiegen, sondern auch die Totale Faktorproduktivität (TFP) als Folge der geringen Leistungskraft der kreditgebenden Banken: “The overall drop in credit availability was enough to trigger a more efficient use of capital and labour (as captured not just by labour productivity but also by the turnaround in TFP).”

Diese Verbesserungen haben es den spanischen Unternehmen in den vergangenen Jahren gestattet, mehr zu exportieren und ihre Rentabilität zu steigern. Die Veränderungen in der Leistungsbilanz sind geradezu dramatisch.

 

Damit befindet sich Spanien auf dem Weg, “deutscher” zu werden:

“Judging by these various metrics pertaining to the financial position of the business sector, Spain now is, among the large Eurozone countries, the closest to Germany.”

Und: “A decline in the share of wages in value added arithmetically reflects a decline in unit labour costs, which is itself consistent with improved competitiveness, which helps skewing further the transition of Spain from a inward-looking growth model to an export-driven economy, following the example of Germany. Actually, Spain’s export performance, i.e., the difference between actual exports and world demand, has been very reminiscent of that of Germany. While there is still a very significant gap, the share of exports in GDP in Spain is converging towards Germany (52% as of late 2012) faster than in France and Italy.”

Moec sieht zu dieser Strategie allerdings auch keine Alternative: “In any case, pursuing wage austerity is in our view the only avenue in the medium run for Spain. While TFP growth has moved back into positive territory since the beginning of the crisis in Spain, Spain’s best chance at growth still lies, in our view, on making the most of its clearest competitive advantage: the low absolute level of labour costs, by European standards.”

 

3. Frankreich wird spanischer

Frankreich befindet sich fraglos in einer Krise, die unter anderem durch Wachstumsschwäche und hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Aber die Prognosen von Schwarzmalern, die vor der Bundestagwahl für den Herbst eine schwere Krise im Euroraum mit Frankreich als Epizentrum prophezeiten, haben sich zumindest bisher nicht bewahrheitet. Was ist da los?

Frankreichs traditionelles Wachstumsmodell beruht nicht nur auf dem privaten Konsum. Es beruht zudem auf Investitionen, und wie Moec zeigt, ist auch in den vergangenen Jahren die Investitionsquote in Frankreich höher gewesen als in Deutschland.

Das wirft eine offensichtliche Frage auf: “What is surprising however is that French businesses have been able to maintain a high investment ratio in spite of a deep deterioration in profitability, which is the flip-side of the strong resilient wage growth.” Und weil das nicht zusammen zu passen scheint, hatte auch Moec zu Jahresbeginn noch eine deutliche Kürzung der Investitionspläne durch französische Unternehmen erwartet.

Warum ist es dazu nicht gekommen? Weil Frankreich sich zumindest in einer Hinsicht an Spanien vor der Krise annähert.

Nach Moecs Analyse hat die Geldpolitik der EZB in der jüngeren Vergangenheit in kaum einem anderen Land so gut gewirkt wie in Frankreich. Nicht nur ist der Notenbankzins gefallen, auch die Zinsen für Kredite an Unternehmen in Frankreich sind zurückgegangen, was den anderweitig sehr belasteten Unternehmen eine unerwartete und willkommene Entlastung beschert hat: “Indeed, the cost of credit has fallen substantially in France since the beginning of the great recession. What is particularly striking is that interest rates on corporate loans above 1 million euros with a maturity of more than one year – which we think is the relevant class of loans for investment purposes – fell in France much more quickly in late 2008/2009 than in the other ‘strong’ Eurozone countries such as Germany and the Netherlands.” Die Unternehmenskredite sind in Frankreich in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als in anderen Euro-Ländern.

Positiv daran ist zweifellos: “5 years into the crisis, France has protected its productive capital base better than Germany. Since it has been able to maintain a decent investment rate, the post-2008 recession may not leave as deep scars on the French economy’spotential than the 1992/1993 recession.”

Auf der anderen Seite steht die an das spanische Beispiel gemahnende Zunahme der Unternehmensverschuldung: “However, the cost of this swift response to the monetary stimulus is a significantly increased debt ratio in the corporate sector. Before the crisis started in 2008, France’s corporate debt to GDP ratio stood at 50 pp below that of Spain. As Spain is (slowly) deleveragingwhile French businesses continue to accumulate debt, the difference now stands at only 17 pp.”

Wie weit der französisch-spanische Vergleich tragen wird, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, ob die aktuellen französischen Investitionen rentabler sein werden als die ehemaligen spanischen Bauinvestitionen.

 

4. Italien …. bleibt italienisch

Das Kapitel über Italien kann sehr kurz bleiben. Moec sieht hier keine Annäherung an ein anderes Modell, sondern, von der Finanzpolitik abgesehen, sehr viel Stagnation.

 

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*)Der entgegengesetzte Vorwurf, dass es Frankreich mit der Verteilung zugunsten der Lohnempfänger übertrieben habe und darunter die gesamte französische Wirtschaft in Gestalt eines erheblichen Verlustes an (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit leide, wird nicht nur aus Deutschland und von der EZB erhoben. In Frankreich war diese Beobachtung Teil des Gallois-Reports; eine Folge war eine interne Abwertung. (Über den Gallois-Report und die interne Abwertung hatten wir in FAZIT hier berichtet.)

**)Wir hatten letztes Jahr in FAZIT einen längeren Beitrag zu diesem Thema, der auch Kritik an Sinns Position behandelt. Sinns Argumentation lautete, weil die Produktivitätszahlen wenig aussagekräftig seien, müsse man den BIP-Deflator als Beleg für die Entwicklung von Wettbewerbsfähigkeit heranziehen – eine problematische Position, weil der BIP-Deflator selbst allenfalls eingeschränkt tauglich ist.