Hans-Werner Sinn ist dafür bekannt, dass er seinen Zuhörern nicht den Bauch pinselt. Hart geht der Ifo-Präsident regelmäßig mit der deutschen Wirtschaftspolitik ins Gericht. In der Euro-Krise weist er seit Monaten darauf hin, dass die Probleme der Währungsunion seiner Ansicht nach nicht so gelöst werden können, wie das die Mitgliedsländer gerade versuchen (Target ist nur ein Stichwort). Eine ganze Generation junger Menschen in den Krisenländern werde um ihre Zukunft gebracht, mahnte er nun auch auf einer Investorenkonferenz der Fondsgsellschaft Union-Investment in Mainz.
Dort zeichnete er nicht nur nach, wie die Krise entstand, sondern auch, was jetzt zu tun sei. Sein Vorschlag besteht aus einer Serie schmerzhafter Maßnahmen:
1. Eine europäische Schuldenkonferenz: Die Staatsschulden vieler Euroländer sind nach Ansicht Sinns so hoch, dass sie nicht zurückgezahlt werden können. Deswegen sollen sich die Länder zusammensetzen und Schulden restrukturieren und im Endeffekt teilweise streichen. Auf Kosten der Gläubiger.
2. Euro-Austritt einiger Länder: Mindestens Griechenland und Portugal und womöglich auch Spanien sollten aus der Währungsunion austreten (mit dem Recht, später wieder einzutreten), um wettbewerbsfähiger zu werden. Alle Schulden, auch die Auslandsschulden, dieser Länder könnten beispielsweise in die jeweils neuen heimischen Währungen umgeschrieben werden – der Schuldenschnitt entstünde dann in Höhe der zu erwartenden Abwertung gegenüber dem Euro.
3. Mehr Inflation in Deutschland: Um die großen Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Währungsunion abzubauen, müsse Deutschland höhere Teuerungsraten akzeptieren. Sinn verlangte, dass sich die Krisenländer weiter anpassen. Angesichts der schweren Rezession in Form hoher Arbeitslosigkeit besonders unter jungen Menschen hält er gesellschaftlich aber für unmöglich, dass nur dort Löhne und Preise sinken und dies die gesamte Anpassung leiste. Aber auch Deutschland könne die Anpassung nicht alleine stemmen. Sinn zeigte anhand einer Rechnung der Bank Goldman Sachs, dass dafür jährliche Inflationsraten von mehr als 5 Prozent über einen Zeitraum von zehn Jahren notwendig wären – schlicht undenkbar. Also müssten sowohl die Krisenländer wie auch Deutschland einen Teil der Anpassung leisten. Sinn stellte dabei heraus, wegen des frei schwanken Euro-Wechselkurses sei ökonomisch ohnehin nicht entscheidend, ob Deutschland gegenüber anderen Euroländern real aufwerte oder diese abwerteten. In diesem Zusammenhang sagte Sinn auch, dass Deutschland zurecht für seinen hohen Leistungsbilanzüberschuss (in Höhe von derzeit beinahe 7 Prozent des BIP) kritisiert werde.
Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz pflichtete dem deutschen Top-Ökonomen in nahezu allen Punkten bei. Auch Stiglitz sagte, er halte einen Schuldenschnitt, beziehungsweise eine Schuldenumstrukturierung für unumgänglich. Auch er kritisierte die teils großen Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen auf der ganzen Welt als ein Grund für das vergleichsweise mäßige Wirtschaftswachstum.
Stiglitz stellte allerdings – so wie das viele amerikanische Ökonomen tun – stärker als Sinn auch darauf ab, dass sich die Euro-Krise ohne umfangreiche Änderungen am institutionellen Rahmen der Währungsunion nicht überwinden lasse. Als unabdingbar nannte er die derzeit viel diskutierte Bankenunion. Und betonte, dass sie nicht nur aus einer gemeinsamen Bankenaufsicht bestehen dürfe, sondern auch aus einem Abwicklungsmechanismus und nicht zuletzt einer gemeinsamen Einlagensicherung.
Sinn entgegnete dem, dass auch er sich mit einer Einlagensicherung anfreunden könne – besonders wenn sie von den Banken aufgebaut und finanziert werde. Der Knackpunkt sei aber, ob dieses Sicherungsnetz nur künftig gilt – oder ob es auch rückwirkend greift etwa für alle womöglich noch auftretenden Folgen der aktuellen Finanzkrise. Die Krisenländern dringen tendenziell auf Letzteres, Deutschland und andere Gläubigernationen wollen das naturgemäß nicht.
Stiglitz äußerte dafür Verständnis, machte aber noch einmal deutlich, dass er mehr Integration innerhalb der Währungsunion als notwendig für das Überleben der Gemeinschaftswährung erachte. Den Euro einzuführen sei ein Fehler gewesen, sagte er. “Aber da Sie ihn jetzt nun einmal haben, müssen Sie entscheiden, was damit passieren soll.” Europa müsse nicht die Vereinigten Staaten von Amerika kopieren. Es gebe aber ein notwendiges Minimum an politisch-fiskalischer Integration, wenn man die Währungsunion erhalten wolle.