Als 2008 die Finanzkrise mit aller Wucht über die Welt hereinbrach, waren die Schuldigen schnell gefunden. Wer war’s gewesen? Die Banken und ihre geldgierigen Mitarbeiter. Das war zumindest das Bild, das sich in der öffentlichen und oft auch der veröffentlichten Meinung festsetzte. Eine der populärsten Theorien über die Ursachen der Krise rückt dabei die Verbriefung von Hauskrediten in den Mittelpunkt.
Danach vergaben Banken riskante Hauskredite, die sie, nach Risiken sortiert und in Bündel verpackt, am Kapitalmarkt wieder verkauften. Mit diesen Verbriefungen reichten die Banken das Kreditrisiko an Investoren weiter. Die Anreize, die Kreditnehmer hinreichend auf Qualität und Zahlungsfähigkeit zu prüfen, schwanden.
Als die Hauspreise zusammenbrachen, flogen die schlechten Kredite auf, und die Krise war da. Investoren – und das waren oft genug andere Finanzhäuser – erlitten große Verluste und standen kurz vor dem Zusammenbruch.
Fehlverhalten der Käufer oder der Verkäufer?
Dieser Gedankengang hat große Schwächen. Die größte ist, dass er das Fehlverhalten allein den kreditgebenden Banken zuschiebt, nicht aber den Käufern der Kredite. Solche Einseitigkeit führt in der Marktwirtschaft meistens in die Irre. Niemand zwingt Investoren, ihre Portfolios mit hypothekenbesicherten Wertpapieren zu füllen. Sollten die Käufer Regress beim Verkäufer anmelden können, wenn die Anlagen sich als Reinfall erweisen? Besser nicht.
Das wäre so ähnlich wie der Fettleibige, der McDonald’s auf Schadensersatz verklagen darf, wenn er einen Herzinfarkt erleidet – mit dem Argument, die vielen Hamburger hätten zu viele Kalorien gehabt. Das Risiko des Essens oder der Investition in Hypothekenanleihen würden einseitig dem Verkäufer angehängt, und die Käufer wären jeder Verantwortung für ihr Handeln enthoben. Chance und Risiko der Anlageentscheidung wären entkoppelt. Eine solche Entkopplung wäre die beste Voraussetzung für Fehlinvestitionen und wirtschaftliche Katastrophen. Denn die Käufer der Hypothekenpapiere waren hochbezahlte Anlageprofis anderer Finanzhäuser. Es wäre ein Fehlanreiz allererster Güte, wenn sie ihr Versagen mit dem Argument kaschieren könnten, dass ihnen Schrottpapiere angedreht wurden.
“Skin in the game”
In der amerikanischen Regulierungsdebatte nach der Finanzkrise standen dennoch die Verkäufer und nicht die Käufer der Papiere am Pranger. Auf sie zielt eine Regelung in der Finanzmarktreform, nach denen Banken und Finanzhäuser, die verbriefte Hypotheken verkaufen, mindestens 5 Prozent davon behalten müssen. „Skin in the game“, eigene Haut im Spiel behalten, nennen das die Amerikaner. Das hehre Ziel: die Anreize der Verkäufer zu korrigieren, so dass sie mehr auf die Qualität der verbrieften Hypotheken achten. Die besseren Anreize sollen so dafür sorgen, dass die Banken bessere Kredite vergeben. Einer der Väter der Finanzmarktreform, der demokratische Abgeordnete Barney Frank, nannte diese Regel gar den wichtigsten Teil des Gesetzes.
In einem wenig beachteten, aber sehr nachdenklich machenden Aufsatz hat der Ökonom Paul Willen die Regulierung auf der Jahrestagung der American Economic Association gerade auf ihre ökonomische Stichhaltigkeit geprüft. Der Schluss des Ökonomen von der Federal Reserve Bank Bostons ist verheerend. Die Regel sei logisch inkonsistent und stimme nicht mit ökonomischen Fakten überein, argumentiert Willen.
Drei Argumente bringt Willen gegen die Regel vor, und es ist schwer, ihnen etwas entgegenzusetzen. Erstens ist es heute Allgemeingut, dass die Finanzkrise entstand, weil die Banken zu viele, nicht aber zu wenige Hypothekenrisiken in ihren Büchern hielten. Der obligatorische Selbstbehalt bei der Verbriefung von Hypotheken aber zwingt die Banken nun, mehr dieser Risiken auf ihre Bücher zu nehmen. Fördert das die Finanzstabilität oder schadet das?
Investoren kannten die Risiken
Zweitens sollen, so die offizielle Begründung, mit der Regulierung die Anreize der Verkäufer der Hypotheken und der Investoren in Übereinstimmung gebracht werden. Die Käufer sollen sicher sein dürfen, dass die Banken die Kreditrisiken, die sie verkaufen, gut geprüft haben. Das kostet natürlich Geld, und den Käufern wird so die Möglichkeit genommen, billigere Hypothekenpapiere zu kaufen, die ihren Vorlieben für Risiko und Chancen womöglich besser entsprechen. Wie eine solche Einengung der Möglichkeiten die Käufer besserstellen soll, ist schleierhaft. Im Rückblick geht sie auch an den Gründen der Finanzkrise vorbei.
Populär ist zwar immer noch der Glaube, dass die Investoren nicht wussten, was sie taten. Doch Untersuchungen der Analystenberichte vor der Finanzkrise zeigen, dass die Investoren genau wussten, welchen Risiken sie sich aussetzten. Die Kalkulationen der Kreditrisiken waren – in Abhängigkeit von der Hauspreisentwicklung – auch mit dem Wissen nach der Finanzkrise sehr genau, zeigte etwa 2009 eine Ökonomengruppe in einem Aufsatz für die Brookings Institution. Anders gesagt: Analysten und Investoren überschätzten vor der Krise die künftige Entwicklung der Hauspreise. Sie unterschätzten aber nicht die Risiken in den verbrieften Hypothekenbündeln. Insoweit geht die Pflicht zum Selbstbehalt am Problem vorbei.
Drittens widerspricht die Regulierung genau dem, was die ökonomische Theorie über gute Lösungen im Fall von unvollständigen und ungleich verteilten Informationen lehrt. Wohlstandsverluste treten unter solchen Annahmen üblicherweise dann auf, wenn Risiken nicht genügend geteilt werden. Die Anhänger des Selbstbehalts aber argumentieren genau gegenteilig, dass die Risiken der Hypotheken durch die Verbriefung zu breit gestreut wurden.
All diese guten Gegenargumente sind kein Beweis, dass der verpflichtende Selbstbehalt bei Verbriefungen von Hypotheken schädlich ist. Willen zeigt aber ein spannungsvolles Gegeneinander von Regulierung und ökonomischer Theorie, das der Auflösung bedarf. Denn sie wissen nicht, was sie tun – gilt das nun für die Regulierer oder für die Ökonomen?
Paul Willen (2014): Mandated Risk Retention in Mortgage Securitization: An Economist’s View.
Kristopher Gerardi et al. (2009): „Making sense of the subprime crisis“. Brookings Papers on Economic Activity, 2008(2), Seiten 69 – 159.
Der Beitrag erschien als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 19. Januar. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.
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